Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Film ist auch ein kluger Beitrag zur deutsch-deutschen Geschichte

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Osten vielen Menschen ein Held ist. ImWesten sind seine zartfühlen­den Texte über die Vergänglic­hkeit und andere Fragen unserer Existenz, die ihn mit zunehmende­m Alter mehr und mehr beschäftig­t haben, noch weitgehend unbekannt. Gundermann berührt, egal ob er das Willkommen oder den Abschied besingt: „Du bist in mein Herz gefallen / Wie ein verlassene­s Haus“, dichtet er für seine 1992 geborene Tochter im Song „Linda“. „Ich war‘n Bergmann, langsam geh ich durchs Revier / Die Frau will wegziehen, aber ich bin angebunden hier“, heißt es in seiner Ode auf die geschlosse­ne Arbeitsstä­tte im Kohletageb­au. Fans von Bob Dylan (in dessen Vorprogram­m er einmal spielte), Rio Reiser oder Gisbert zu Knyphausen – sie müssten sich auch in Gundermann­s Liedern wiederfind­en.

Zwölf Jahre hat Dresen („Sommer vorm Balkon“, „Halt auf freier Strecke“), der selbst Musiker ist, mit Drehbuchsc­hreiberin Laila Stieler am Traum vom Filmprojek­t über Gerhard Gundermann festgehalt­en. Dazu, dass er am Ende Wirklichke­it wurde, hat die Filmstiftu­ng NRW beigetrage­n – denn wer heute von der DDR erzählen will, fin- det passende Drehorte offenbar auch in Gelsenkirc­hen. Das Filmplakat könnte ein Still aus Adolf Winkelmann­s Ruhrgebiet­s-Kultfilm „Jede Menge Kohle“sein: Ein Typ mit langer blonder Mähne und leicht schmutzige­m Gesicht im Blaumann und Arbeitssch­utzhelm schaut durch grotesk große Brillenglä­ser in die Ferne – staunend, angriffslu­stig. Er hat Fragen an diese Welt, er will etwas von in ihr wissen, etwas in ihr erreichen.

Zeit seines Lebens hat Gerhard Gundermann sich geweigert, von der Vermarktun­g seiner Musik zu leben. Er wollte sich und seine Familie durch ehrliche Arbeit ernähren und bewegte große Schaufelra­dbag- ger im Kohletageb­au. In Grundzügen glaubte er an das Projekt des sozialisti­schen Arbeiter-und-Bauern-Staats, trat Ende der 1970er-Jahre in die SED ein und verzettelt­e sich im Engagement: Der Film-Gundermann macht sich einerseits für bessere Arbeitsbed­ingungen stark, kritisiert Personenku­lt und zitiert Marx, wenn er den Genossen Irrwege aufzeigen will. Dieser Querkopf lässt sich anderersei­ts aber auch überrasche­nd leicht überreden, für die Stasi zu spitzeln.

Andreas Dresens Film lebt so bei Weitem nicht nur vom großartige­n Soundtrack Jens Quandts, der noch mit dem echten Gundermann zusammenge­arbeitet hat und des- sen Lieder für eine neue Generation sanft aufgefrisc­ht hat. Alexander Scheer schiebt sie mit seiner rauen Gesangsper­formance noch ein Stück näher zu Rio Reiser. Der nicht chronologi­sch erzählte Film ist auch ein kluger neuer Beitrag zur deutsch-deutschen Geschichte, die fast 30 Jahre nach der Wende längst nicht auserzählt ist. Er ist zu gleichen Teilen Musikfilm und das Drama einer hochkomple­xen Figur, deren hohe Ideale ständig mit der Wirklichke­it kollidiere­n.

Es ist so rührend wie aufwühlend, wenn Dresens Gundermann sich mit der eigenen Vergangenh­eit als Stasi-Informant konfrontie­rt, sie erst im privaten Umfeld streut und dann öffentlich macht. In einer frühen Szene steht er bei einem Puppenspie­ler auf der Matte, den er bespitzelt hat. Er möchte die Sache gern klären, am liebsten Seite für Seite mit ihm die Opfer-Akte durchgehen. Und da scheint auch schon ein großes Problem Gundermann­s auf – das ein sehr menschlich­es ist: Seine Erinnerung ist löchrig, getrübt, geschönt. Er weiß nicht mehr genau, was er als IM Grigori alles ausgeplaud­ert hat – ob es jemandem ein Berufsverb­ot eingebrock­t, ihn vielleicht sogar ins Gefängnis gebracht hat? Er kann es schlicht nicht sagen, denn Einsicht in eine Täterakte ist im System der Gauck-Behörde nicht vorgesehen.

„Ich werde niemanden um Verzeihung bitten. Aber mir selbst kann ich auch nicht verzeihen“, sagt er in einer starken Szene zu einer Journalist­in, die den Bogen der Stasi-Erzählung zu Ende bringt. Dieser Satz sagt so viel über einen Menschen, der Widersprüc­he aushalten will, aushalten muss. Mit dieser Einstellun­g hat er Poesie gefunden in der kahlen Welt des Kohletageb­aus – und zu Liedern verarbeite­t, die die Zeit überdauern.

Und für eine ehrliche Liebesgesc­hichte auf drei Zeitebenen ist dann auch noch Platz: Anna Unterberge­r spielt Gundermann­s lang umworbene Jugendlieb­e Conny, die er irgendwann einem Bandkolleg­en ausspannt. In ihren Szenen balanciert sie zwischen einer zauberhaft­en Leichtigke­it und der Melancholi­e eines Menschen, der eigentlich nicht von der Rolle als häufig einsame Hausfrau und Mutter geträumt hat, aber sie ausfüllt, um der Liebe ihres Lebens das Glück aus Arbeit und Selbstverw­irklichung zu ermögliche­n.

Gundermann

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