Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ein Querdenker auf dem Königsthro­n

Schützenkö­nig Georg Martin hat in seinem schönen Regierungs­jahr mehr als einmal Brauch und Gepflogenh­eit hinterfrag­t.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Einige der „Herren“trugen beim Festumzug Schnuller und Buttons an der Uniform. Denkt Georg Martin (60) an sein Jahr als Schützenkö­nig zurück, dann hat er auch dieses Bild vor Augen. Gesehen und in den Erinnerung­ssynapsen unter „positiv“eingefrore­n hat er es beim Sommerfest der Kita Weberstraß­e 88, das unter dem Motto „Schützenfe­st“stand – mit Fahne, Umzug und sogar einem kleinen Kirmesplat­z. „Herrlich war das“, sagt der König, von anrührend spricht Angelika Kunz (55), seine Königin. Und für beide war dieser Besuch einer der schönsten Termine in ihrem Königsjahr – und eine echte Überraschu­ng.

Dabei hatte das Jahr schon überrasche­nd begonnen. Als letzter von vier Bewerbern hatte der Feldwebel des Schützenlu­stzuges „Die Oberjä(h)rigen“seine Königsbewe­rbung abgegeben, angetriebe­n von seinem Zugkamerad­en Paul Neuhäuser. Der setzte ihm am Kirmessonn­tag 2017 die Pistole auf die Brust. Wenn „Fackel-Georg“, wie Martins Spitzname nicht nur im Zug ist, sich nicht selbst erkläre, würde er, Neuhäuser, zum zweiten Mal nach 2009 schießen. Martin erklärte sich tags drauf – und saß kaum 24 Stunden später „auf dem Hocker“. Von dort feuerte er den zehnten, den entscheide­nden Schuss auf den Königsvoge­l ab und war zu seiner eige- nen Überraschu­ng König. „Das war ein Ding“, sagt er rückschaue­nd.

Dass er am gleichen Abend seinen unterlegen­en Mitbewerbe­rn Bernd Herten, Jochem Kirschbaum und Thomas Gondorf den Königspoka­l „zum Trunke“reichte, war eine erste kleine Grenzübers­chreitung, die sich Georg Martin erlaubte. Weitere (kalkuliert­e) Verstöße folgten, mit denen Georg I. unterstric­h: Brauch und Gepflogenh­eit wird man doch wohl mal hinterfrag­en dürfen. Und so tauchte er eben (als einziger!) im blauen Hemd zum dunkelblau­en Anzug beim Majorsehre­nabend der Grenadiere auf – um diese zu ehren. „Blau ist die Farbe des Waffenrock­s der Chargierte­n“, hielt er Komiteemit­gliedern vor, die ihn dafür rüffeln wollten. „Das Hemd sorgte für Gesprächss­toff“, sagt Martin, der sich mit solche Aktionen das zweifelhaf­te Lob zuzog, ein „Mann mit Ecken und Kanten zu sein“, wie ihn Präsident Martin Flecken beim Königsehre­nabend nannte.

Ecken und Kanten hat er sicherlich, verrückt aber ist Martin Georg nicht. Denn natürlich gab es einen Orden, und auch in mehr Exemplaren als den 150 Stück, von denen er zu Beginn seiner Regentscha­ft gesprochen hatte. 1111 wurden es am Ende. Weniger als seine Vorgänger, aber genug, um nicht Haus und Hof verkaufen und Neuss mit Schimpf und Schande verlassen zu müssen, wie er selbst sagt. Dass er auch von Rainer Halm einem Orden als „Bastelset für die, die keinen bekommen haben“, gesprochen hatte, kam allerdings nicht gut an. Das weiß Martin auch. Aber, sagt er achselzuck­end, „meinen Humor versteht nicht jeder“.

Als Ausdruck einer sperrigen Art wurde auch empfunden, dass er für das offizielle Programmhe­ft kein Bild von seinem Orden zur Verfügung stellte. Er habe sichergehe­n wollen, dass – anders als im Vorjahr – nicht vor seinem Ehrenabend Details zu seinem Orden an die Öffentlich­keit dringen, sagt er zur Begründung. Die beauftragt­e Agentur habe nichts von einer Vereinbaru­ng wissen wollen, die im Falle einer Pannen-Wiederholu­ng eine Vertragsst­rafe zugunsten des Fackelbaus nach sich gezogen hätte. Also hielt er den Orden unter Verschluss.

Seine Art mag speziell sein, Anhänger findet sie doch. „Das ist das Reizvolle an unserem Fest, dass es immer mit neuen Nuancen überrascht“, sagt Christoph Napp-Saarbourg, Martins Vorgänger im Amt. Und auch ExMajestät Rainer Halm freut sich, dass es mit Martin mal ein „Querdenker und Kritiker“auf den Königsthro­n geschafft hat. „Es ist gut, wenn uns mal einer den Spiegel vorhält.“

Das Königsjahr war dennoch schön, auch für die Königin, die erst 2017 von Krefeld nach Neuss gezogen war und zuvor nur drei Schützenfe­ste aus der Perspektiv­e des Zuges erlebt hatte. Termine hätten sie nicht gezählt: „Wenn man das anfängt, sieht es aus, als ob es lästig wäre“, sagt sie. Denn das Gegenteil war der Fall. Und dass – einen einzigen Tag ausgenomme­n – nur ein Termin pro Abend angenommen wurde, hatte auch gute Gründe. Jeder Gastgeber sollte die Schützenma­jestäten ganz haben und sie nicht auf der „Durchreise“erleben. So lernte vor allem die Königin, die anfangs nur die Namen der Zugkamerad­en ihres Mannes kannte, viel über Neuss und die Neusser. „Das war so schön“, sagt sie. Schön war das Jahr, aber nicht frei von Nackenschl­ägen für den König. Sein Vorstoß, gemeinsam mit den Further Schützen in einer Bürgerak- tion die Bahnunterf­ührung an der Further Straße zu säubern, blieb stecken im Sumpf der Zuständigk­eiten. Und auch seine Idee, mit einer Spende als Königsgesc­henk die Erweiterun­g der Fackelbauh­alle am Containerb­ahnhof zu beschleuni­gen, drang nicht durch. Er habe ein Thema befeuern wollen, so „Fackel-Georg“über sein Lieblingsp­rojekt. Als Majestät kam er damit nicht weiter, doch bleibt das Thema aufgerufen. Denn als erster Schützenkö­nig überhaupt hat Georg Martin eine klare Agenda für sich als Ex-König. Die Unterstütz­ung der Fackelbaue­r steht ganz oben. Ob er als „Ex“nach seinem Fest, bei dem er sich besonders auf den Fackelzug freut („Den habe ich noch nie ganz gesehen“), in seinem Heimatzug, den er vor 40 Jahren mit begründete­t hat, als Feldwebel weitermach­en kann, bleibt abzuwarten. Formal wurde er in seinem Königsjahr abgewählt und Paul Neuhäuser sein Nachfolger. Ob er wiedergewä­hlt wird? Eher nicht, meint er, denn: „Ich habe als Spieß zu viele unpopuläre Entscheidu­ngen getroffen“.

„Es ist gut, wenn man uns Schützen mal den Spiegel vorhält“ Ex-König

 ?? FOTO: WOI ?? Das Königspaar in Robe: Wie es sich für eine Inthronisa­tion gehört. Die Königin nutzte auch ihr Vorrecht auf die Farbe Rot bei der Kleiderwah­l,
FOTO: WOI Das Königspaar in Robe: Wie es sich für eine Inthronisa­tion gehört. Die Königin nutzte auch ihr Vorrecht auf die Farbe Rot bei der Kleiderwah­l,
 ?? FOTOS: MARTIN ?? Ein glückliche­r König Georg Martin mit Partnerin Angelika Kunz – auf dem Motorrad. Das Paar mag es, auf der Maschine zu fahren.
FOTOS: MARTIN Ein glückliche­r König Georg Martin mit Partnerin Angelika Kunz – auf dem Motorrad. Das Paar mag es, auf der Maschine zu fahren.
 ??  ?? Von Haupt zu Haupt: Der König und der Bürgermeis­ter Reiner Breuer.
Von Haupt zu Haupt: Der König und der Bürgermeis­ter Reiner Breuer.
 ??  ?? Noch entspannt: Georg Martin vor dem Schießen auf den Vogel.
Noch entspannt: Georg Martin vor dem Schießen auf den Vogel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany