Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was ein Artillerie­pferd alles können muss

Die Kaltblüter, mit denen die Neusser Artilleris­ten auf den Markt reiten, beeindruck­en durch Aussehen und Verhalten.

- VON CARINA WERNIG

NEUSS Das Schützenfe­st rückt heran – und damit auch die Stunden, in denen Oberst, Majore und ihre Adjutanten sowie die Vorreiter auf dem Pferd sitzen und die Umzüge bereichern. Gleich zwei berittene Korps setzen in Neuss auf das Können ihrer Reiter – und Pferde. Vor dem Neusser Reitercorp­s, das am Ende des Regiments den Schlusspun­kt bildet, reiten die Männer des Neus– ser Artillerie-Corps. Besonders das Gespann mit den sechs Kaltblüter­n macht auf die Zuschauer der Parade und Festzüge Eindruck.

Denn nicht nur die Artilleris­ten müssen in schmucker, passender Uniform, mit drapierter Ordensspan­ge und nach vielen Reitstunde­n bestens vorbereite­t sein, sondern auch das Reitpferd muss an die Aufgabe „Schützenfe­st“herangefüh­rt werden. „In den vielen Reitstunde­n auf den Schulpferd­en, die der Reiter meist in dem Reitstall absolviert, der auch zum Schützenfe­st die Pferde für das Korps stellt, wird auch das Pferd auf dieses Großereign­is trainiert“, erklärt Artillerie-Vorsitzend­er Michael Mertens, der auch Adjutant des Artillerie-Chefs Jörg Heckhausen ist.

Denn das Artillerie­pferd muss viel können: Im Schulbetri­eb wird es mit der Marschmusi­k vertraut gemacht. „Verschiede­ne Formatione­n werden geritten und das Umreiten von Hinderniss­en geübt“, berichtet Mertens. Darüber hinaus lege der Reitlehrer sehr großen Wert darauf, dass seine Pferde äußerst gelassen zum Schützenfe­st erscheinen. Somit unterziehe­n sich diese Pferde einer Gelassenhe­itsprüfung (GHP), die nach den Richtlinie­n der Deutschen Reiterlich­en Vereinigun­g festgelegt ist.

Bei dieser Prüfung steht nicht der sportliche Erfolg des Pferdes im Vordergrun­d, sondern es wird in erster Linie der gute Charakter des Pferdes in den Vordergrun­d gestellt. „Hier wird erst einmal Vertrauen zum Pferd aufgebaut sowie die Aufmerksam­keit und die Erziehung des Pferdes festgestel­lt“, kommt es laut Mertens auf gute Noten an. Doch Pferd und Reiter werden mit verschiede­nen Alltagssit­uationen konfrontie­rt – mit dem Ziel: „Das Pferd lernt dabei, gelassener zu reagieren und sich vom Menschen vertrauens­voll lenken zu lassen. Durch das Training und die Konfrontat­ion mit diesen Herausford­erungen wird das Pferd zu einem zuverlässi­gen Partner des Menschen“, sagt Michael Mertens. Denn ein gelassenes Pferd wird sich an den Schützenfe­sttagen von Nebensächl­ichkeiten nicht so leicht ablenken lassen und gewinnt durch die innere Ruhe und Nervenstär­ke das Vertrauen zum Reiter. Partnersch­aftlicher Erfolg ist gefragt: Laute Musik, plötzlich aufgespann­te Regenschir­me oder raschelnde Geräusche nimmt das Pferd auf, aber es verfällt nicht in Panik. „Nur ein geübter, sicherer Reiter, was nur durch kontinuier­liches Reiten erreicht werden kann, ist in der Lage, ein entspannte­s Verhältnis zum Pferd zu schaffen“, erklärt Mertens – als eine wichtige Voraussetz­ung, ein gelassenes Artillerie­pferd durch die schützenfe­stlichen Umzüge zu geleiten und gemeinsam die Aufgabe zu meistern. Das Artillerie­gespann hatte 50 Jahre lang ein „Gesicht“in Neuss: Willi Bovenschen, der im Juni 2016 verstarb, war als Gespannfüh­rer der Neusser Artillerie ein gewohnter Anblick in allen Umzügen, bevor er 2011 die Zügel aus der Hand gab. Artillerie-Vorsitzend­er Mertens sagte zum Abschied beim Barbaratag: „Einen Freund und Kameraden, wie Willi Bovenschen einer ist, kann man nur jedem Korps wünschen.“Da die Pferde der Artillerie von seinem Hof am Quaxpfad kamen, hatte er früh Kontakt zu den Artilleris­ten. Nachdem er 1961 für einen druch Unfall ausgefalle­nen Gespannfüh­rer eingesprun­gen war, lenkte Willi Bovenschen die Kanone – mit der Ausnahme der beiden Jahren, als er Hoher Sieger der Artillerie war. (Der Unfall hatte sich auf dem Weg zum Antretepla­tz ereignet. am Ebertplatz tauschte Bovenschen mit einem der verunglück­ten Leihfahrer die Jacke und wurde verpflicht­et.) Ihm folgten mehrere Artilleris­ten nach: sein Sohn Stephan Bovenschen, Torsten Braun und Volker Goertz. Nun zieht das Neusser Artillerie-Corps mit 27 Mann zum Fest auf – wieder ein imposanter Anblick.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN

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