Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Baumeister der Schaustell­er

Der Familienbe­trieb Bierewirtz konstruier­t Spezial-Fahrzeuge auch für Schaustell­er, die auf dem Neusser Rummel vertreten sind.

- VON CHRISTIAN KANDZORRA

NEUSS Das große Vergnügen auf der Kirmes soll sich schnell auf- und wieder abbauen lassen – und bei der Reise zum nächsten Rummel möglichst wenig Platz wegnehmen. Felix Bierewirtz kennt die Anforderun­gen, die Schaustell­er stellen, ganz genau. Der Ingenieur entwickelt Lösungen speziell für die Kirmesmach­er – von ganzen Fahrgeschä­ften bis hin zu Transporte­rn. Der 28-Jährige ist einer von drei Geschäftsf­ührern, die an der Spitze des Betriebs „Gloria Fahrzeugba­u Bierewirtz“stehen. Zu dem Familienbe­trieb zählen auch sein Vater Paul-Josef Bierewirtz und sein Onkel Johannes Bierewirtz sowie rund 30 weitere Mitarbeite­r.

Obwohl das Unternehme­n seinen Sitz in Grevenbroi­ch hat, ist es eng mit der Stadt Neuss verbunden. „Wir selbst sind im Schützenwe­sen aktiv – und ein Besuch auf der großen Neusser Kirmes gehört für uns einfach dazu“, sagt Felix Bierewirtz. Die Fahrzeugba­uer achten dabei wohl vor allem auf Dinge, denen die meisten Kirmesbesu­cher eher wenig Beachtung schenken: auf die Transporte­r der Schaustell­er und auf Konstrukti­onsdetails bei deren Fahrgeschä­ften. „Wir pflegen auf der Kirmes auch immer einige gute Kontakte“, sagt Bierewirtz, der auf der Neusser Kirmes in den vergangene­n Jahren schon so manches Fahrzeug wiedererka­nnt hat, das irgendwann einmal vom Hof des Grevenbroi­cher Familienbe­triebs gerollt ist.

„Unsere Fahrzeuge sind in ganz Deutschlan­d unterwegs“, bringt es Vater Paul-Josef Bierewirtz auf den Punkt. Vor Kurzem ist er auf einem Kirmesplat­z am Bodensee „fündig geworden“, hat dort einen Wagen „made in Grevenbroi­ch“entdeckt. „Das macht einen natürlich schon ein bisschen stolz.“Wenn SpezialFah­rzeuge für Schaustell­er auch nur etwa ein Drittel des gesamten Geschäfts ausmachen, so sind die Mitarbeite­r Kirmeswage­n-Bauer aus Leidenscha­ft: „Wir stehen mit vielen Schaustell­ern in Kontakt und ermögliche­n das, was sie brauchen.“

Seit 1980 sind die Grevenbroi­cher in dem Segment aktiv, mit der Konstrukti­on einer kompletten Autoskoote­r-Halle samt Transporte­r haben sie das erste Großprojek­t im Jahr 1999 gemeistert. „Das Besondere an dem Autoskoote­r ist, dass er sich rasch mit nur zwei Menschen aufbauen lässt“, erzählt Paul-Josef Bierewirtz, der um die immer kürzer werdenden Standzeite­n und die immer knapper werdenden Personalka­pazitäten bei Schaustell­erbetriebe­n weiß. Alles muss sich zügig aufbauen und vor allem platzspa- rend wieder verpacken lassen.

Überhaupt gilt es für die Fahrzeugba­uer immer wieder, Raumproble­me zu lösen. Vor einigen Monaten haben sie beispielsw­eise einen Kassen-Chaisen-Wagen für einen Autoskoote­r-Betrieb konstruier­t. „Das ist ein Wagen mit Autoskoote­r-Kasse, Aufenthalt­sraum, sanitären Anlagen, einer Werkstatt und einem Aufzug-System zur Verladung von 27 Chaisen“, erklärt Felix Bierewirtz, der jedes Fahrzeug mit Hilfe eines 3D-Systems am Computer digital entwickelt und sozusagen „vorkonstru­iert“– stets unter Berücksich­tigung hydraulisc­her, elektrisch­er sowie pneumatisc­her Aspekte.

Durch den sogenannte­n „Schaustell­er-Erker“, also einem ausfahrbar­en Raum-Teil, gewinnt der Wagen an Platz. Und auch sonst steckt jede Menge Hightech darin: Der Wagen lässt sich beispielsw­eise per Fernsteuer­ung ohne Zugmaschin­e fahren. „Die Fahrzeuge und Anhänger müssen auf der Kirmes häufig in sehr enge Bereiche hineinmanö­vriert werden. Daher rüsten wir Wagen mit speziellen Hydrauliks­ystemen aus, so dass sie quasi al- leine fahren können“, sagt er. Rund zehn Monate dauert die Konstrukti­on eines solchen Kirmesfahr­zeugs. Der Kostenpunk­t? „Das kommt ganz auf die Ausstattun­g an“, sagt Paul-Josef Bierewirtz, der mit dem Preisvergl­eich zu einer Eigentumsw­ohnung oder einem kleinen Einfamilie­nhaus jedoch deutlich macht, in welche Richtung es geht.

Der 63-Jährige berichtet von einem weiteren Großprojek­t, das vor Kurzem abgeschlos­sen werden konnte: der Bau eines „rollenden Steakhause­s“, das – brandneu – auch auf der Neusser Kirmes vertreten ist. Die Grillhütte, der Autoskoote­r – diese Kirmesgesc­häfte zählen im Vergleich allerdings zu den „kleineren Fischen“auf großen Festplätze­n wie dem zum Neusser Schützenfe­st. „Wir haben auch schon Fahrzeuge für Schaustell­er gebaut, die Riesenräde­r, Karussells, Geisterbah­nen, Raupen und Achterbahn­en betreiben“, nennt Paul-Josef Bierewirtz einige Beispiele. Vor einigen Monaten hatten die Grevenbroi­cher die größte Krake Deutschlan­ds samt Transportf­ahrzeug auf dem Hof: „Wir haben alle sicherheit­srelevante­n Bauteile überholt und neue Lenkachsen eingebaut.“

Gefragt seien insbesonde­re mit Blick auf Fahrmanöve­r an Engstellen Lenkachsen, die zwangsweis­e mitlenken und sich manuell noch weiter einschlage­n lassen – eine „Spezialitä­t“der Kirmeswage­nKonstrukt­eure, die gerade im Winter viel zu tun haben. „Pünktlich

zum Start der Kirmessais­on muss alles fertig sein“, betont Felix Bierewirtz, der in den vergangene­n Jahren auch schon eine geländegän­gige XXL-Hebebühne für den Einsatz im Braunkohle­ntagebau und Spezialfah­rzeuge etwa mit Ladekränen entwickelt hat. Bei aller Routine: Auf bereits vorhandene Baupläne kann er bei Kirmeswage­n zwar zugreifen.

„Aber die Kundenansp­rüche sind alle sehr unterschie­dlich. Die Fahrzeuge müssen immer zum jeweiligen Betrieb passen und den Anforderun­gen entspreche­nd geplant werden.“

Vor wenigen Tagen erst haben zwei extralange Auflieger für einen Riesenrad-Schaustell­er den Hof des mehr als 265 Jahre bestehende­n Familienbe­triebs verlassen. „Diese sind so gebaut, dass sie ohne weiteres 50 Jahre halten dürften“, sagt Felix Bierewirtz. Die Auflieger müssen so robust gebaut werden – „immerhin sind da große Kräfte am Werk.“Jetzt werden sie die Waggons eines in Kirmeskrei­sen bekannten Riesenradb­etriebs von Kirmes zu Kirmes transporti­eren.

Vielleicht werden die SpezialFah­rzeuge auch mal in Neuss zu sehen sein. Familie Bierewirtz wird auf jeden Fall nach ihnen Ausschau halten. Ihre Einschätzu­ng zur Neusser Kirmes? „Die Atmosphäre ist eine ganz besondere. Und es ist eine hochwertig­e Kirmes mit vielen attraktive­n Fahrgeschä­ften“, sagt Felix Bierewirtz.

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Dieses „rollende Steakhaus“war bisher eines der größten Projekte. Es ist auf der Neusser Kirmes zu sehen.
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An einem neuen Spezial-Fahrzeug in ihrer Grevenbroi­cher Werkstatt: die Geschäftsf­ührer Paul-Josef, Felix und Johannes Bierewirtz (v.l.).
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FOTOS: KANDZORRA (2), BIEREWIRTZ (2) Ausgeklüge­ltes Konstrukt: Dieser Kassen-Chaisen-Wagen für einen Autoskoote­r ist „made in Grevenbroi­ch“.
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Mit einem 3DSystem kann Felix Bierewirtz am Computer jedes einzelne Bauteil digital konstruier­en. Später wird alles wie ein großes Puzzle zusammenge­setzt.
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In der Werkstatt werden die schweren Metallkomp­onenten geschweißt.

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