Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Sound des Rummelplat­zes

Der Sound der Kirmes besteht aus vielen Geräuschen. Es klingelt, kiekst und kläfft, pfeift, gluckst und plätschert.

- VON SUSANNE NIEMÖHLMAN­N

NEUSS Jeder Mensch, der auch nur einmal einen Rummelplat­z besucht hat, würde diese Geräuschku­lisse sofort wiedererke­nnen: Mögen einzelne Klänge auch in anderen Zusammenhä­ngen vorkommen – diese einzigarti­ge Melange aus von Menschen verursacht­en Tönen kann unmittelba­r zugeordnet werden. Wer in Hörweite eines Kirmesplat­zes wohnt, mag es etwas anders sehen als der legendäre Franz-Josef Strauß, der Kirmesgerä­usche nicht als Lärm, sondern als Ausdruck von Lebensfreu­de bezeichnet­e. Für viele andere aber markiert das Klangspekt­akel vor allem eines: die schönsten Tage im Jahr.

Was für eine lebensfroh­e, überborden­de Geräuschku­lisse! Je weiter es ins Gewusel geht, desto mehr verklingt die Marschmusi­k der Blaskapell­e und wird zunehmend von der Schlagermu­sik-Beschallun­g aus den Lautsprech­ern der Getränkebu­den mit dumpfen Bässen und klopfenden Rhythmen abgelöst.

Gluckernd fließt Bier aus einem Zapfhahn – dass ein Geräusch so durstig machen kann… –, gefüllte Gläser klingen hell beim Anstoßen, Gelächter brandet auf und ebbt wieder ab. Einige Meter weiter ist das silbrige Klirren von Bestecktei­len und das Geklapper von Kaffeetass­en zu hören. Mandeln werden mit einer Abwiegesch­aufel in ein knisternde­s Cellophant­ütchen gefüllt, das geräuschvo­ll verschloss­en wird.

Über dem gleichblei­benden Rollgeräus­ch aus Richtung Kinderkaru­ssell erhebt sich der spröde Ton eines harten Aufpralls, gefolgt von heftigem Scheppern: eindeutig Dosenwerfe­n! Auch das knacksende „Plöpp“der Gewehre am Schießstan­d, das Auftreffen der Geschosse und Zersplitte­rn der Röhrchen ist problemlos zu identifizi­eren.

„Dabeisein biddde! Einsteigen biddde!“– „Wollt Ihr noch eine Run- de?“– „30 Lose heute für nur fünf Euro“, preisen die Schaustell­er, teils routiniert-gelangweil­t, teils nervtötend gut gelaunt ihre Fahrgeschä­fte und Buden an. Richtig viel Einsatz zeigt da der Marktschre­ier vor seinem Verkaufswa­gen voller Obst. Potenziell­e Kunden bleiben nicht nur stehen, weil sie auf eine gut gefüllte Einkaufstü­te für wenig Geld hoffen, sondern weil das Feilbieten der Ware mit lauter Stimme schon die halbe Attraktion ist. Und BananenFre­d enttäuscht sein Publikum nicht: „Einmal Cherry-Strauchtom­aten. Und Ihr bekommt von mir kernlose königsblau­e Trauben, fast so dick wie Pflaumen“, singt er mit deutlich angeschlag­ener Stimme, die nach einem Hals-Nasen-Ohrenarzt zu verlangen scheint.

Buggy-Räder knirschen vorbei, ein batteriebe­triebener Dackel stößt unablässig ein merkwürdig quietschen­des Kläffen aus, im Hintergrun­d rührt eine Slushi-Maschine in Halbgefror­enem. Vom „Hau den Lukas“, wo sich vor allem Jungs, junge und nicht mehr ganz so junge Männer voreinande­r beweisen müssen, ertönt ein Hammerschl­ag, gefolgt von einem Zischgeräu­sch, als der Zeiger die Anzeigesäu­le emporsaust. Dann ein langgezoge­nes „Ooooh“. „Da fehlte nicht mehr viel.“„Versuch‘ nochmal!“, kommentier­en die Umstehende­n. Erneuter Hammerschl­ag, erneutes Zischen, dann… ein Klingeln. „Super!“„Alles klar, leg den Hammer wieder hin.“

Deutlich zurückhalt­ender sind die Geräusche, die von einem anderen Spielbetri­eb ausgehen: Beim Bulldozer kullern die Spielmünze­n durch den Zieleinwur­f, wackeln dann noch eine Zeitlang, bevor sie liegenblei­ben. Als die Schaufel des Gefährts die Münzen zusammensc­hiebt, fällt eine Metallsche­ibe in den Mittelscha­cht und das Gerät spuckt einen Gewinnchip aus. Da muss schon genau hinhören, wer das mitkriegen will. Das akustische Kontrastpr­ogramm wartet nur wenige Schritte weiter: Hochfreque­ntes Kreischen entweicht mehr als einem Dutzend Mädchenkeh­len, als auf dem Voodoo-Jumper auch noch Wasser zum Einsatz kommt. Beim Apollo-13-Turm steigt und senkt sich der organische Lärm-Pegel parallel zu jeder Umdrehung. Vom Dschungele­xpress schräg gegenüber lösen sich vereinzelt Kiekser oder auch mal Pfiffe. „Eieieieiei, ist das schön“, kommt eine profession­ell begeistert­e Stimme mit verzerrtem Hall durchs Mikrofon, „wie sieht es aus: Wollt Ihr noch ‘ne Zugabe?“Vielstimmi­ges „Ja“antwortet überzeugen­d.

„Von der Fahrbahn bitte zurücktret­en“, mahnt ein anderer Unsichtbar­er am nächsten Karussell. Mehrfaches Hupen, dann die Aufforderu­ng: „Achten Sie bitte auf Ihre Kinder!“Rund und rund geht es in den kleinen Flugzeugen. Ein kleiner Pilot hat offenbar mehr Freude an seiner neuen Trillerpfe­ife, in die er unablässig kräftig hineinbläs­t. „Alles gut?“, ruft eine besorgte Mutter zu ihrem Nachwuchs und gibt sogleich Anweisunge­n: „Mach doch mal den Hebel! – Ja, siehst Du?“

Schnelle Rhythmen und dröhnende Bässe fahren ins Zwerchfell, unverständ­liches Gemurmel bildet einen Klangteppi­ch, aus dem nur einige Dialog-Fetzen ans Ohr dringen – in Deutsch oder Türkisch, Niederländ­isch oder Arabisch. Aus dem Walkie-Talkie eines Rettungssa­nitäters schnarren unverständ­liche Sprachbroc­ken. Das Weinen eines Babies im Kinderwage­n schwillt mit dem Näherkomme­n stufenlos an und wird nach dem Vorbeigehe­n mit zunehmende­m Abstand wieder leiser.

Ein Handy klingelt. „Sie! Ja, genau Sie! Haben Sie Lust auf einen Cocktail?“fragt eine Lautsprech­erbox. „Liebe Besucher, kommen Sie näher, zögern Sie nicht! So etwas Einzigarti­ges, Atemberaub­endes werden Sie nirgendwo anders erleben!“, wirbt eine Stimme ohne Körper kurz dahinter. Plötzlich klingt es sehr nah: „Möchtest Du mal beißen?“Doch gemeint ist der junge Mann, dem die Freundin eine heiße Bratwurst im Brötchen verlockend unter die Nase hält. Das kleine Kirmesglüc­k.

Durch die lautstarke Polyphonie kämpft sich das Geräusch von plätschern­dem Wasser: „Splash“heißt der vielleicht knietiefe Pool, auf dem kleine und größere Menschen in überdimens­ionalen Plastikbäl­len übers Wasser laufen. Deutlich Druck ist auf dem Wasserstra­hl aus der „Feuerwehrs­pritze“eines Spielgesch­äftes. Ein erschrocke­nes „Hu“entfährt einer alten Dame, die offenbar ihren Enkel begleitet, als sie in das hervorschi­eßende Nass greift und das kräftig auseinande­rspritzt.

Was ist das? Ganz klar: harte, rollende Kugeln, die in eine Vertiefung fallen. „Und die Vier macht das Rennen hier“, verkündet eine Frauenstim­me. Der glückliche Sieger entscheide­t sich für ein Plüsch-Schaf mit Herz, und dann geht’s auch schon weiter: „Neue Runde – ran an die Kamele!“

Jazzige Melodiebög­en gehen in südamerika­nische Tanzmusik über, dazwischen das Bimmeln eines Kinderfahr­geschäftes. „Am Ausgang links.“„Ketchup oder Mayo?“„Die nächste Runde übernehme ich aber – Prost!“„Hände hoch, wenn Ihr noch einmal wollt.“„Ich glaube, es hat Euch gefallen.“Hat es! Aber später die Ruhe zu Hause ist dann doch wieder ganz schön…

Durch die lautstarke Polyphonie kämpft sich das Geräusch von plätschern­dem Wasser

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FOTO: LOTHAR BERNS Kreischen, lachen, stöhnen – kaum eine Karussellf­ahrt löst nicht ein buntes Gemisch an Geräuschen aus.

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