Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Buchtipp: Ein unbequemer Kölner
Kurt Holl war ein 68er, der seine Prinzipien nie verraten hat. Seine Söhne veröffentlichen jetzt seine Autobiografie. Diese präsentiert auch ein Stück Stadtgeschichte und ermöglicht ungewöhnliche Einblicke in die 68er-Zeit.
KÖLN „Mein Vater Kurt war ein besonderer Typus der 68er. Er hat seine effektive Strategie des Widerstands bis zum Schluss erfolgreich praktiziert, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Themen zu lenken. Dazu zählte die Besetzung des Kellers des El-De-Hauses genauso wie das Besteigen von Bäumen. Dass das funktioniert, haben zuletzt die Aktionen im Hambacher Forst gezeigt“, sagt der Sohn Kurt Holls, Hannes Loh. Zusammen mit seinem Bruder Benni Küsters hat er jetzt 50 Jahr nach der 68er-Bewegung die Autobiografie seines Vaters veröffentlicht.
Kennengelernt hat er seinen Vater erst mit 20 Jahren. „Ich wollte in Köln studieren und wusste, dass es einen Studienfreund meiner Mutter
„Mein Vater Kurt war ein besonderer Typus der 68er-Bewegung“
Hannes Loh
Sohn
gibt, der mir helfen könnte. Da wurde mir von meinen Eltern gesagt, dass Kurt Holl mein Vater ist. Zuvor hatte ich mit ihm bei einer seiner Aktionen ein Interview für ein kleines Stadtmagazin geführt. Ich war erstaunt, wie viel Zeit er mir widmet und was für ein netter Typ er ist. Er wusste, dass er mein Vater ist, ich wusste das nicht“, erinnert sich der Lehrer an einer Pulheimer Schule.
Gemeinsam hat er mit seinen Bruder Benni nach Holls Tod 2015 dessen Wohnung aufgelöst. „Das war eine besondere Herausforderung. Mein Vater hat eine große Sammelleidenschaft, dazu gehören 5000 bis 6000 Bücher sowie weitere Dokumente und Fotos. Aus seinem Arbeitszimmer hätte man ein Museum machen können. Wir haben alles, was wir gefunden haben, eingelagert. Das war ein biografischer Abdruck der 68er.“Bei der Auflösung der väterlichen Wohnung entdecken die beiden Brüder auf dem PC ihres Vaters auch dessen begonnene Autobiografie. „Viele Kapitel waren fertig, andere waren nur Fragmente, die er noch bearbeitet hatte“, sagt Loh. Schnell wird den Brüdern klar, dass 2018 50 Jahre nach der 68er-Bewegung das richtige Jahr ist, um die Autobiografie ihres Vaters zu veröffentlichen.
Die Frage bleibt, wie die nur fragmentarischen Kapitel vor allem im zweiten Teil des Werks ergänzt werden können. Selbst Texte schreiben wollen die Brüder nicht. Doch ein Interview mit der Lektorin, die noch viele Fragen hat, bringt die Lösung.
Das von Kurt Holl verfasste Werk selbst enthält nur wenig Privates aus dem Leben des unbequemen 68ers. Im Buch geht es auch um Dinge wie Erotik und das Wesen der Frau. „Das umfasst aber auch die Erotik des Widerstands und um den Geist der 68er, der schon in den 50er Jahren mit der US-Bürgerrechtsbewegung entstanden ist. Der Widerstand umfasst bei Kurt Holl auch die Lebenslust, die Liebe sowie den Genuss und die Freude am Leben. Beides geht bei ihm seinen gemeinsamen Weg.“
Bei der heutigen Generation sei er wegen deren mangelenden Bereitschaft, sich zu bewegen, pessimistisch gewesen. „Das kann ich als Lehrer so nicht bestätigen, wenn ich zum Beispiel auf die junge Bewegung im Hambacher Forst blicke“, freut sich Loh über die Autobiografie, die auch über eine Bildstrecke aus dem Leben Holls verfügt.
Holl wurde 1949 in Nördlingen geboren. Seit 1955 lebte seine Familie in Köln, wo er das Gymnasium Kreuzgasse besuchte. Holl studiert in Bonn, Wuppertal, Heidelberg, Nancy und Köln Theologie, Geschichte, Philosophie und Französisch. Schon als Jugendlicher setzte er sich mit der NS-Zeit auseinander und trat für Frieden, Gerechtigkeit und Menschlichkeit ein. Dazu zählte auch der Einsatz für die Umwandlung des El-De-Hauses in ein NSDokumentationszentrum.
1988 gründete er den Rom e.V., der sich für die Bürger- und Menschenrechte der Sinti und Roma einsetzte. 2007 wurde Holl die alternative Ehrenbürgerschaft der Stadt Köln verliehen. Holl starb am 10. Dezember 2015, dem Tag der Menschenrechte in Köln.
Kurt Holl, Hannes Loh, Benni Küsters: Ein unbequemer Kölner bis zum Schluss, Edition Fredebold, 256 Seiten, 22 Euro