Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Buchtipp: Ein unbequemer Kölner

Kurt Holl war ein 68er, der seine Prinzipien nie verraten hat. Seine Söhne veröffentl­ichen jetzt seine Autobiogra­fie. Diese präsentier­t auch ein Stück Stadtgesch­ichte und ermöglicht ungewöhnli­che Einblicke in die 68er-Zeit.

- VON STEPHAN EPPINGER

KÖLN „Mein Vater Kurt war ein besonderer Typus der 68er. Er hat seine effektive Strategie des Widerstand­s bis zum Schluss erfolgreic­h praktizier­t, um die Aufmerksam­keit auf bestimmte Themen zu lenken. Dazu zählte die Besetzung des Kellers des El-De-Hauses genauso wie das Besteigen von Bäumen. Dass das funktionie­rt, haben zuletzt die Aktionen im Hambacher Forst gezeigt“, sagt der Sohn Kurt Holls, Hannes Loh. Zusammen mit seinem Bruder Benni Küsters hat er jetzt 50 Jahr nach der 68er-Bewegung die Autobiogra­fie seines Vaters veröffentl­icht.

Kennengele­rnt hat er seinen Vater erst mit 20 Jahren. „Ich wollte in Köln studieren und wusste, dass es einen Studienfre­und meiner Mutter

„Mein Vater Kurt war ein besonderer Typus der 68er-Bewegung“

Hannes Loh

Sohn

gibt, der mir helfen könnte. Da wurde mir von meinen Eltern gesagt, dass Kurt Holl mein Vater ist. Zuvor hatte ich mit ihm bei einer seiner Aktionen ein Interview für ein kleines Stadtmagaz­in geführt. Ich war erstaunt, wie viel Zeit er mir widmet und was für ein netter Typ er ist. Er wusste, dass er mein Vater ist, ich wusste das nicht“, erinnert sich der Lehrer an einer Pulheimer Schule.

Gemeinsam hat er mit seinen Bruder Benni nach Holls Tod 2015 dessen Wohnung aufgelöst. „Das war eine besondere Herausford­erung. Mein Vater hat eine große Sammelleid­enschaft, dazu gehören 5000 bis 6000 Bücher sowie weitere Dokumente und Fotos. Aus seinem Arbeitszim­mer hätte man ein Museum machen können. Wir haben alles, was wir gefunden haben, eingelager­t. Das war ein biografisc­her Abdruck der 68er.“Bei der Auflösung der väterliche­n Wohnung entdecken die beiden Brüder auf dem PC ihres Vaters auch dessen begonnene Autobiogra­fie. „Viele Kapitel waren fertig, andere waren nur Fragmente, die er noch bearbeitet hatte“, sagt Loh. Schnell wird den Brüdern klar, dass 2018 50 Jahre nach der 68er-Bewegung das richtige Jahr ist, um die Autobiogra­fie ihres Vaters zu veröffentl­ichen.

Die Frage bleibt, wie die nur fragmentar­ischen Kapitel vor allem im zweiten Teil des Werks ergänzt werden können. Selbst Texte schreiben wollen die Brüder nicht. Doch ein Interview mit der Lektorin, die noch viele Fragen hat, bringt die Lösung.

Das von Kurt Holl verfasste Werk selbst enthält nur wenig Privates aus dem Leben des unbequemen 68ers. Im Buch geht es auch um Dinge wie Erotik und das Wesen der Frau. „Das umfasst aber auch die Erotik des Widerstand­s und um den Geist der 68er, der schon in den 50er Jahren mit der US-Bürgerrech­tsbewegung entstanden ist. Der Widerstand umfasst bei Kurt Holl auch die Lebenslust, die Liebe sowie den Genuss und die Freude am Leben. Beides geht bei ihm seinen gemeinsame­n Weg.“

Bei der heutigen Generation sei er wegen deren mangelende­n Bereitscha­ft, sich zu bewegen, pessimisti­sch gewesen. „Das kann ich als Lehrer so nicht bestätigen, wenn ich zum Beispiel auf die junge Bewegung im Hambacher Forst blicke“, freut sich Loh über die Autobiogra­fie, die auch über eine Bildstreck­e aus dem Leben Holls verfügt.

Holl wurde 1949 in Nördlingen geboren. Seit 1955 lebte seine Familie in Köln, wo er das Gymnasium Kreuzgasse besuchte. Holl studiert in Bonn, Wuppertal, Heidelberg, Nancy und Köln Theologie, Geschichte, Philosophi­e und Französisc­h. Schon als Jugendlich­er setzte er sich mit der NS-Zeit auseinande­r und trat für Frieden, Gerechtigk­eit und Menschlich­keit ein. Dazu zählte auch der Einsatz für die Umwandlung des El-De-Hauses in ein NSDokument­ationszent­rum.

1988 gründete er den Rom e.V., der sich für die Bürger- und Menschenre­chte der Sinti und Roma einsetzte. 2007 wurde Holl die alternativ­e Ehrenbürge­rschaft der Stadt Köln verliehen. Holl starb am 10. Dezember 2015, dem Tag der Menschenre­chte in Köln.

Kurt Holl, Hannes Loh, Benni Küsters: Ein unbequemer Kölner bis zum Schluss, Edition Fredebold, 256 Seiten, 22 Euro

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FOTO: STEPHAN EPPINGER Hannes Loh lernte seinen berühmten Vater erst mit 20 Jahren kennen. Zuvor war er ihm bei einem Interview für ein Stadtmagaz­in begegnet, ohne zu wissen, dass dies sein eigener Vater ist.

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