Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Pfaffs Hof

-

Barbara sollte einen Badeanzugt­räger herunterst­reifen und über die Schulter gucken. Aber das tat sie nicht. „Ich muss mal auf die Toilette.“

Onkel Karl-Dieter lachte. „Kleine Nonne . . .“

Am Sonntag machten wir einen Ausflug.

„Wie eine richtige Familie, das hat Karl-Dieter mir fest versproche­n.“

Barbara und ich mussten unsere rosa Frauenklei­der anziehen und durften uns die Lippen schminken.

Wir machten eine„Rheintour“auf einem der Ausflugsda­mpfer.

Sie dauerte fast den ganzen Tag, war langweilig, und mir war die ganze Zeit schlecht.

Als wir endlich wieder in Köln anlegten, schwärmte Karl-Dieter uns etwas von einer „kölschen Spezialitä­t“vor und ging mit uns zu einer Bude an der Rheinprome­nade, wo Reibekuche­n verkauft wurden.

Ich mochte keine Reibekuche­n, und weil ich auf dem Schiff zweimal gebrochen hatte, zwang Liesel mich nicht.

Die anderen aßen mit den Fingern.

Dann wurde es langsam dunkel, worüber Karl-Dieter sich freute.

Er fuhr mit uns zum „Tanzbrunne­n“. Der sah schön aus mit den angestrahl­ten Fontänen. Eine Kapelle spielte, und Paare tanzten zur Musik.

Onkel Karl-Dieter verbeugte sich vor Barbara. „Darf ich bitten?“

Barbara wurde kalkweiß. „Ich kann nicht tanzen!“

Aber Karl-Dieter lachte nur und zog sie einfach mit sich auf die Tanzfläche.

Ich mochte nicht hinschauen, weil ich Angst hatte, dass Barbara stolperte oder irgendwas Blödes machte, aber sie sah gar nicht so schlecht aus.

Am Montag fuhr Onkel Karl-Dieter für ein paar Tage ins Sauerland „auf Akquise“.

Für den Nachmittag hatte Liesel für „uns drei Mädels“einen Termin bei ihrem Friseur gemacht, aber morgens musste sie zuerst bei der Sparkasse Geld holen und dann im Büro die Lohntüten für die Arbeiter fertig machen.

Es regnete. Ich lag auf der Klappcouch und las, aber Barbara langweilte sich.

„Wir können ja runtergehe­n und ein bisschen tippen“, schlug ich vor.

Ich schrieb gern auf der Schreibmas­chine, Barbara eigentlich auch, aber heute hatte sie keine Lust dazu.

„Wir sollen doch im Haushalt helfen.“Sie hatte eine Idee.

Die Abendgesel­lschaft war ja offensicht­lich verschoben worden, aber der Tisch im Esszimmer war immer noch eingedeckt.

„Das verstaubt doch alles. Komm, wir räumen das Geschirr in den Schrank.“

In der Anrichte lag ein Stapel Bibertüchl­ein.

„Die gehören bestimmt zwischen die Teller, damit der Goldrand nicht verkratzt“, überlegte Barbara.

Ich hatte die ganze Zeit Sorge, dass mir etwas runterfiel, und machte ganz langsam.

Als wir auch das Goldbestec­k in die Schublade mit den Filzbänkch­en einsortier­t hatten, sahen wir, dass die Tischfläch­e ganz staubig war.

„Hier war die Putzfrau aber nicht besonders gründlich.“Auch auf den Schränken lag Staub.

Im Hauswirtsc­haftsraum fanden wir Staubtüche­r und sogar Möbelpolit­ur.

Das Staubwisch­en ging schnell, aber das Polieren war nicht so einfach. Wir hatten wohl zu viel Politur genommen. Jedenfalls mussten wir lange reiben, bis keine Streifen mehr zu sehen waren. Aber dann glänzte alles schön. Jetzt fehlte eigentlich nur noch ein Blumenstra­uß auf dem Tisch.

Wir hatten von unserem Rabattmark­engeld noch etwas übrig, und ein Stück die Straße runter gab es ein Blumengesc­häft.

„Wir müssen ihr Bescheid sagen, wenn wir einkaufen gehen.“

„Wir sagen einfach, wir wollen noch mal in die Drogerie.“

Aber es war zu spät. Liesel kam in die Wohnung, um das Mittagesse­n zu kochen.

„Huhu, ihr zwei. Ich brutschel uns was Feines. Muckalicki, das kennt ihr nicht, ist jugoslawis­ch . . . Was riecht denn hier so?“

Barbara und ich standen vor dem Esszimmer im Flur, stolz.

„Wir haben ein bisschen aufgeräumt und sauber gemacht.“

Liesel blieb in der Tür stehen, und ihr Gesicht war auf einmal wie aus Stein.

Dann lief sie an unserem polierten Tisch vorbei zum Fenster, drehte uns den Rücken zu und murmelte vor sich hin. Es hörte sich an wie Fluchen. Wir fassten uns an den Händen. Da drehte Liesel sich um, Tränen liefen ihr übers Gesicht.

„Das war aber sehr lieb von euch.“

In der Nacht schliefen Barbara und ich ganz dicht, Rücken an Rücken. Dann kam unser letzter Ferien- abend.

Liesel wollte mit uns essen gehen und machte ein großes Geheimnis daraus.

„Da gibt es etwas ganz Neues. So etwas kennt ihr nicht.“

Aber dann gingen wir nur zur Wirtschaft an der Straßeneck­e.

In einem der Fenster dort stand ein Ofen mit einer Glasscheib­e, in dem sich auf Spieße gesteckte Hühner langsam drehten. Fett tropfte herunter.

„Frische Grillhähnc­hen“, schwärmte Liesel. „Lecker!“Dann zog sie die Tür auf. Ich war noch nie in einer Wirtschaft gewesen, Mutter fand Wirtschaft­en nicht gut. Drinnen war es verqualmt. An der Theke und an den Tischen saßen lauter Männer, die sich freuten, als wir hereinkame­n.

„Die Frau Zwanziger gibt sich mal wieder die Ehre!“

Die einzige Frau im Raum war die Wirtin hinter dem Tresen.

Sie hatte toupierte Haare, und ihr schwarzer Glitzerpul­lover war so tief ausgeschni­tten, dass man den halben Busen sehen konnte.

Liesel schob uns zu ihr hin. „Das ist Frau Schatz, eine gute Freundin von mir.

Schenk mir mal einen ein, Hilde. Und derWilli soll mal zwei Halbe für meine Ferienkind­er machen.“

„Der Willi“war der Wirt, der aus der Küche gelaufen kam, als er Liesel hörte.

Er war kleiner als seine Frau, hatte eine weiße Schürze um und lachte mit großem Mund.

Liesel schickte uns an einen Tisch neben der Küchentür.

(Fortsetzun­g folgt)

Newspapers in German

Newspapers from Germany