Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Ergebnisse der Bundestagswahl für SPD und Grüne
nach dem fulminanten Wahlsieg 1998 zu ihrer ersten Sitzung in den Bundestag nach Bonn eilen, erfüllt sie „Euphorie und fast kindliche Freude“, wie sich der damalige SPD-Fraktionschef Peter Struck später erinnert. Nicht zuletzt sind auch Unionsabgeordnete trotz aller Enttäuschung über das Ergebnis ihrer Partei erleichtert, nach den langen Kohl-Jahren den Neuanfang wagen zu können.
Tatsächlich gibt es in der Bundesrepublik erstmals eine linke Mehrheit. Und erstmals löst ein neues Bündnis eine alte Koalition komplett ab. DerWechsel 1969 war ja nur zustande gekommen, weil die FDP den Koalitionspartner austauschte – ebenso wie 1982. Es scheint, als hätten sich 1998 dieWunschpartner gefunden. Der „Spiegel“kommentiert treffend: „Souveräner hätte sich die alte Bundesrepublik nicht verabschieden können.“
Doch wie so oft bei übersteigerten Erwartungen erweisen sich die Blütenträume des rot-grünen Projekts als Illusion. Schon der Gesetzesmarathon der ersten Monate wirbelt das Bündnis ordentlich durcheinander. In rekordverdächtigem Tempo werden die letzten Beschlüsse der Vorgängerregierung wie die Einführung eines Karenztages im Krankheitsfall, der gelockerte Kündigungsschutz für Arbeitnehmer oder der Demografiefaktor in der Rentenversicherung außer Kraft gesetzt. Die erste Vollentgleisung passiert bei der anvisierten Abschaffung der Mini-Jobs und der Scheinselbstständigkeit. Die bürokratischen Regelungen und die volle Sozialversicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte treffen vor allem die eigene Klientel. Die Umfragewerte von Rot-Grün rauschen in den Keller, die „Nachbesserung“bei vielen Gesetzen wird zum geflügelten Wort.
Es sind wilde Zeiten in Bonn und später nach dem Regierungsumzug in Berlin. Kanzler Schröder beherrscht das Spiel mit den Medien, lässt aus seinem Unmut über manche Parteifreunde und Koalitionspartner freien Lauf. Auf „Bild, Bams und Glotze“komme es an, weil Boulevard und privates Fernsehen nach Ansicht Schröders eher dieVolksmeinung abbilden als die seriösen Medien. Ein „politisch-medialer Komplex“bildet sich heraus, weil in ganz neuer Weise sich Politik und Medien gegenseitig beeinflussen und darüber teilweise ihren eigentlichen Auftrag vergessen. Auch Schröders Lebensstil mit teurem Rotwein, Cohiba-Zigarren und feinem Zwirn provoziert und wird Gegenstand der Klatschspalten.
Bereits im Februar 1999, nur wenige Monate nach dem Regierungswechsel, mahnt Wolfgang Clement, der spätere NRW-Ministerpräsident, im SPD-Präsidium an, „nicht in Depression zu verfallen“. Die Euphorie über das rot-grüne Projekt ist schon damals in eine gewisse Endzeitstimmung umgeschlagen – nach dem mehr als holprigen Start.
Stabile Verhältnisse kehren erst ein, als mit dem verheerenden Anschlag der Terror-Organisation al Kaida in New York am 11. September 2001 eine neue Ernsthaftigkeit in die Politik der rot-grünen Regierung einkehrt. SPD und Grüne sind in der brutalen Realität angekommen, in der Welt geht zum ersten Mal seit
der Kuba-Krise 1962 wie-