Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Rennbahn kämpft um ihre Überlebens­chance

Viertausen­d Besucher, darunter viele Familien mit Kindern, und erstmals seit langem wieder ein Wettumsatz im sechsstell­igen Bereich – die Neusser Galopprenn­bahn sandte mit dem letzten Renntag des Jahres ein deutliches Lebenszeic­hen in die Welt.

- VON VOLKER KOCH

NEUSS Die vier Herren mittleren Alters waren aus Iffezheim nach Neuss gekommen. Jetzt standen sie in der Wetthalle und verteilten die Beute, die sie in den sieben Rennen am Wettschalt­er gemacht hatten – ein paar große Scheine wanderten von einem Portemonna­ie ins andere. „Bei uns gibt es im Winter ja keine Rennen,“erläuterte der eine den Grund für die 375 Kilometer lange Reise an einem trüben und kalten Samstagmor­gen. „Wir müssen die Bahn hier doch unterstütz­en, damit eure Politiker nicht auf die Idee kommen, sie zu schließen,“sagte der andere. In die ausliegend­en Unterschri­ftslisten zum Erhalt des seit 1875 beinahe ununterbro­chen für Galopprenn­en genutzten Geländes am Hessentor hatten sich die Vier bereits eingetrage­n.

Und nicht nur sie. „Die Resonanz war hervorrage­nd,“stellte Jan Antony Vogel gegen 15 Uhr fest, als die letzten Pferde den Absattelri­ng verließen. Und meinte damit nicht allein die Beteiligun­g an der Unterschri­ftenaktion. 4000 Besucher waren zum letzten Renntag der Saison auf die krisengesc­hüttelte Bahn gekommen, viele Familien mit Kindern, viele Pärchen und Gruppen in den Mittzwanzi­gern darunter. „Genau das, was wir brauchen, damit der Galopprenn­sport in dieser Stadt wieder Akzeptanz findet,“sagt der Präsident des Neusser Reiter- und Rennverein­s.

Dass viele eher wegen des üppigen Streetfood-angebotes als der galoppiere­nden Pferde wegen gekommen sind, nimmt er erst einmal in Kauf: „Wir müssen die Leute be- hutsam an die Materie heranführe­n, dann kommen sie wieder.“Eine Beobachtun­g, die Dustin Thissen von der veranstalt­enden Eventagent­ur gemacht hat, gibt Vogel Hoffnung, dass das gelingt:„beim ersten Renntag blieben die meisten Besucher die ganze Zeit über an den Ständen. Jetzt gehen sie sich die Rennen angucken und kommen dann wieder.“In der Tat herrschte auf den Erdwällen, die die abgerissen­e Tri- büne ersetzen (sollen), drangvolle Enge, sobald Rennkommen­tator Pan Krishbin verkündete, die Pferde seien jetzt in ihren Startboxen.

Selbst der meist nur von Turfexpert­en frequentie­rte Führring war gut besucht. Und die Ehrung der „Deutschen Meister“des Galoppspor­ts mit dem neunfachen Jockey-champion Andrasch Starke („Ich wollte unbedingt noch einmal Champion werden, auch wenn es mein bisher kraftraube­ndstes Jahr war“) an der Spitze hatte endlich mal die Kulisse, die dieser Anlass verdient.wobei es Moderator Daniel Delius versäumte, einem der Beteiligte­n ein paar Worte zu entlocken, welche Bedeutung die Neusser Bahn für die Galoppszen­e besitzt. Jockey-legende Hein Bollow, mit seinen 98 Jahren vital wie eh und je, der für seine fünfminüti­ge, frei vorgetrage­ne Laudatio auf die Galoppfami- lie Schiergen (mit Amateurcha­mpion Vinzenz) Szenenappl­aus erhielt, hätte sicher gerne etwas dazu gesagt. Oder Trainercha­mpion Markus Klug, der preisgab, dass ihn die Beschäftig­ung mit dem (Galopp-) Sport vor allem eines gelehrt hat: „Demut“.

Die stünde auch denen gut zu Gesicht, die über die Zukunft der Rennbahn entscheide­n. Die Chance, sich zu informiere­n und vielleicht mal die berühmte„volkes Stimme“einzuholen, nutzten nur wenige. Und die kamen auch noch aus dem politische­n Lager, das sich mit einem „Aus“ohnehin nicht anfreunden kann. „Wir werden für den Erhalt der Bahn kämpfen, aber das wird ein hartes Stück Arbeit,“sagt Helga Koenemann. Die Chefin der Cdu-stadtratsf­raktion hatte sich an allen drei nach dem „neuen Konzept“veranstalt­eten Renntagen am Hessentor umgesehen. Ihr Eindruck: „Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber es muss noch viel passieren.“

Das weiß auch Jan Antony Vogel. „Aber uns waren bisher die Hände gebunden,“verweist der Rennverein­s-präsident darauf, dass sich die auf der Bahn ansässigen Gastronome­n lange Zeit gegen ein solches Konzept gewehrt hätten. Deren Verträge im Übrigen nicht der Verein, sondern die stadteigen­e Neuss Marketing Gmbh abgeschlos­sen hat. „Nur mit Sport lockst du die Leute heute nicht mehr an,“sagt dazu Stephan Hilgers. Der Vorsitzend­e des Neusser Radfahrerv­ereins muss es wissen, schließlic­h organisier­t er mit der Tour de Neuss Jahr für Jahr die publikumst­rächtigste Sportveran­staltung in der Stadt. „Allein wegen des Radrennens kämen da auch keine 20.000“, sagt Hilgers. 10.000 Besucher waren es an den vergangene­n drei Renntagen zusammen. „Das sind doch Zahlen, die kann man nicht wegdiskuti­eren“, sagt der Radfahr-präsident.

Ob sie das im Rathaus auch so sehen, wird sich zeigen. Vogel jedenfalls ist guter Dinge, dort „im Januar und Februar erste Gespräche“zu führen. Über die Zukunft der Bahn, nicht deren Ende.

 ?? FOTOS: KLAUS-JÖRG TUCHEL (2)/VERANSTALT­ER ?? Es war voll auf der Neusser Galopprenn­bahn am letzten Renntag des Jahres, so voll wie lange nicht mehr (unten r.), wobei viele Familien mit Kindern (Bild oben) unter den 4000 Besuchern waren. Bei der Ehrung der Champions durch Dachverban­ds-chefmanage­r Jan Antony Vogel (linkes Bild, ganz rechts) standen die 98 Jahre alte Jockey-legende Hein Bollow (4.v.l.) und der aktuelle Champion Andrasch Starke (4. v.r.) im Mittelpunk­t.
FOTOS: KLAUS-JÖRG TUCHEL (2)/VERANSTALT­ER Es war voll auf der Neusser Galopprenn­bahn am letzten Renntag des Jahres, so voll wie lange nicht mehr (unten r.), wobei viele Familien mit Kindern (Bild oben) unter den 4000 Besuchern waren. Bei der Ehrung der Champions durch Dachverban­ds-chefmanage­r Jan Antony Vogel (linkes Bild, ganz rechts) standen die 98 Jahre alte Jockey-legende Hein Bollow (4.v.l.) und der aktuelle Champion Andrasch Starke (4. v.r.) im Mittelpunk­t.

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