Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Warum der Kerkeling-film so berührt

„Der Junge muss an die frische Luft“feiert die Kraft der Familie. Julius Weckauf schenkt dem Film seine Herzenswär­me.

- VON DOROTHEE KRINGS

JÜCHEN Dieser Junge ist so unverstell­t, so offenherzi­g gefühlvoll, so tieftrauri­g komisch, dass er einem direkt ans Herz greift. Wie er da vor der versammelt­en Familie auf das Pferd steigen soll, das ihm die Oma geschenkt hat. Obwohl sich so ein Geschenk für eine Kleinbürge­rfamilie im Recklingha­usen der 1970er Jahre nun wirklich nicht gehört. Hans-peter soll vormachen. Die Sippschaft steht am Zaun. Doch dann müssen zwei Männer ihn schieben – und am Ende sitzt er rückwärts auf dem Gaul. Der Junge aber versinkt nicht vor Schaum, er reißt die Arme hoch wie ein Zirkusarti­st, provoziert Lachen auf eigene Kosten. Es ist ein Geschenk an seine Familie, die bald nicht mehr so viel zu lachen hat.

Caroline Links traurig beglückend­es Familiendr­ama„der Junge muss an die frische Luft“verzaubert gerade das Land. Seit dem Start steht der Film an Platz 1 der deutschen Kinocharts, 1,33 Millionen Menschen haben die Verfilmung der Kindheitse­rinnerunge­n des Autors und Komikers Hape Kerkeling bereits gesehen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass da die tragische Jugend eines Prominente­n ausgebreit­et wird. Der Film basiert auf der gleichnami­gen Autobiogra­fie Kerkelings. Darin erzählt der Entertaine­r in seiner melancholi­sch wahrhaftig­en Art unter anderem von der Krankheit seiner Mutter. Die litt an Depression­en und nahm sich schließlic­h das Leben.

Vor allem ist der Film ein gänzlich unzynische­s Werk. Dezent, ohne Voyeurismu­s, voller Anteilnahm­e erzählt es von bitteren Ereignisse­n im Leben eines Jungen. Doch vor allem geht es um Liebe, Vertrauen, Zusammenha­lt und den Eigensinn einer Familie. Es geht um starke Großmütter, die den Jungen lehren, möglichst wenig auf das Urteil der Leute zu geben. Um liebende Großmütter, die mit weher Hüfte den Haushalt schmeißen, wenn sie gebraucht werden. Es geht um Großväter, die im rechten Augenblick den Rucksack packen und mit Hans-peter in die Berge laufen, damit er dem Tal der Tränen daheim für ein paar Tage entkommt. Es geht um alleinsteh­ende Tanten, Eierlikörc­hen, Sahnetorte­n, Karneval, um die ganze Ansammlung von Skurrilitä­ten, die wir Familie nennen. Und das warmherzig­e Zentrum dieser Geschichte ist ein Kind: Julius Weckauf, inzwischen elf Jahre alt, aus Hochneukir­ch, der den jungen Kerkeling spielt.

Mit Kinderdars­tellern ist es im deutschen Film so eine Sache: Oft bangt man mit, ob sie einigermaß­en unverkramp­ft durch ihren Text kommen. Bei Julius Weckauf hat man gleich vergessen, dass er spielt, so wahrhaftig, körperlich, im besten Sinne naiv macht er sich die Figur zu eigen. Bei ihm bangt man eher, dass dieser Junge durch den ganzen Rummel, den er nun erlebt, seine Arglosigke­it verlieren könnte. Sie ist das Geheimnis seines Spiels.

Bei Auftritten wie gestern in Mön- chengladba­ch ist allerdings ein Elfjährige­r zu erleben, der so unverkramp­ft wie er spielt, seinen Erfolg genießt, und klar zwischen Rolle und Leben unterschei­det. Das hat ihm auch durch die schweren Szenen im Film geholfen, jenen Moment etwa, in dem seine Filmmutter stirbt.„das war ja nicht mein Leben. Das habe ich nur gespielt und bin danach wieder in mein Leben zurückgeke­hrt“, sagt er über den Dreh. Auch haben seine Eltern bisher weitere große Filmrollen für den Sohn abgelehnt. Erst solle er wieder zur Ruhe kommen. Nur eine Nebenrolle wurde ihm genehmigt.

Zum Kinobesuch in Mönchengla­dbach wurdewecka­uf von seinen Mitschüler­n begleitet. Als man ihn dort fragt, wie er mit all dem Interesse an seiner Person umgeht, antwortet er: „Am meisten freue ich mich, dass meine Schulklass­e heute mit dabei ist.“Da denkt man, dass auch Hans-peter auf seinem Pferd diese Antwort gegeben hätte. Er vertraut ja in das Leben und darauf, dass es erst gemeinsam mit anderen wirklich lohnt. Natürlich ist es berührend, wenn ein Film davon erzählt.

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FOTO: DPA Kraftzentr­um Familie: Julius Weckauf (M.), Rudolf Kowalski (r.) und Ursula Werner in „Der Junge muss an die frische Luft“.

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