Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Kalenderblatt 10. Januar 1919
Als die Siegermächte nach dem Ende des Erstenweltkriegs ihre Besatzungszonen festlegten, taten sie dies am Schreibtisch. Mit dem Zirkel zogen die Planer um die Städte Mainz und Koblenz zwei Kreise. Dabei unterlief ihnen ein folgenschwerer Fehler: Die Linien überschnitten sich nicht, sie berührten sich nicht einmal. Der Kreis um Koblenz endete nördlich von Lorch und Lorchhausen, der Kreis um Mainz im Süden dieser beiden Ortschaften am Rhein. Der Streifen, der dabei entstand, reichte bis etwa nach Limburg, 17.000 Menschen wohnten auf dem Gebiet, für das sich niemand zuständig fühlte. Am 10. Januar 1919 rief der Lorcher Bürgermeister Edmund Pnischek kurzerhand den „Freistaat Flaschenhals“aus und teilte mit, dass „zwischen Bonn und Mainz wenigstens noch ein Streifen wirklichen deutschen Rheines verbleiben soll“. Doch der Flaschenhals brachte vor allem Probleme. Die willkürliche Grenzziehung hatte alle Versorgungswege abgeschnitten, die Bevölkerung litt Not. Man reagierte pragmatisch: In den folgenden vier Jahren florierte der Schwarzhandel im Freistaat. Gezahlt wurde mit dem, was im Rheingau vorhanden ist: Wein und selbstgebrannter Schnaps. 1923 endete die Geschichte des Staats, den niemand so richtig gewollt hatte. Als die alliierten Truppen das Ruhrgebiet besetzten, holten sich die Franzosen den Flaschenhals. 1924 wurde die Region in die Weimarer Republik integriert.