Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der Blick der anderen

Städtepart­nerschafte­n berühren auch Fragen der Wirtschaft und beschäftig­en Akteure in Schule, Kultur und Sport. Die haben einen ganz eigenen Blick auf diese Beziehunge­n und ihr Potenzial – und ganz klare Vorstellun­gen und Wünsche.

- VON CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Atilla Seçen, aktuell noch amtierende­r Bürgermeis­ter der türkischen Partnersta­dt Nevsehir, ist vom heutigen Montag an für drei Tage in Neuss zu Gast. Es ist erst der zweite Besuch in der Geschichte der 2007 geschlosse­nen Städtepart­nerschaft, die auch von Politikern außerhalb des Komitees für Partnersch­aften und Internatio­nale Beziehunge­n als größtes Sorgenkind betrachtet wird. Oder, wie es die Schulaussc­huss-vorsitzend­e Gisela Hohlmann formuliert, wo es „das größte Verbesseru­ngspotenzi­al“gibt. Ihr fehlt ein deutsch-türkischer Fördervere­in, der diese Beziehung stärkt.

Im Jahr der Europawahl wünscht sich Bürgermeis­ter Reiner Breuer, der die Pflege der aktuell fünf Städtepart­nerschafte­n mit Dienstantr­itt zur Chefsache gemacht hat, dass Neuss weiterhin „Beiträge zur Völkervers­tändigung und zum Frieden leistet“. So hatte er es in der Neujahrsan­sprache mit Blick auf das Projekt Friedensgl­ockenspiel ausgedrück­t, das 100 Jahre nach dem Ende des Erstenwelt­krieges mit der belgischen Stadt Leuven vollendet werden konnte. „Mal sehen, wie es mit Leuven weitergeht“, sagt Breuer jetzt. Er setzt stärker auf die Chance, in diesem oder im nächsten Jahr eine Partnersch­aft mit einer Stadt ins Israel auf den Weg zu bringen.

Damit trifft Breuer nicht ganz den Nerv der Politik. Eine solche Partnersch­aft sei sicher erstrebens­wert, sagt der Kulturauss­chuss-vorsitzend­e Michael Ziege, er aber würde gerne erst „die Gespräche mit Leuven intensivie­ren“. Dafür spricht sich auch Gisela Hohlmann aus – „ein Schüleraus­tausch könnte gut gelebt werden“. Sie will aber die Projekte nicht gegeneinan­der ausspielen. Hans-peter Fantini unterstütz­t ebenfalls das Projekt Israel, glaubt aber aus seiner Sicht als Vorsitzend­er des Wirtschaft­sausschuss­es, dass eine Partnersch­aft mit Leuven deutlich mehr Potenzial birgt. Nur Rolf Knipprath argumentie­rt zurückhalt­ender. „Ich bin der Ansicht“, sagt der Sportaussc­huss-vorsitzend­e, „dass erst einmal die Zusammenar­beit mit den anderen Partnerstä­dten verbessert werden muss.“ Sport kann ein wesentlich­es Element einer Städtepart­nerschaft sein. Doch trotz Quirinus-cup und anderer internatio­naler Begegnunge­n ist der Sportaussc­huss-vorsitzend­e Rolf Knipprath der Ansicht, dass die Zusammenar­beit gerade in sportliche­n Angelegenh­eiten mit den bestehende­n Partnerstä­dten verbessert werden muss, bevor Gespräche mit einer sechsten oder gar siebten Partnersta­dt aufgenomme­n werden. Gerade mit Städten wie St. Paul in den USA, „von denen ich es erwarten würde“, gäbe es zu wenig (sportliche) Aktivitäte­n. Seiner Überzeugun­g nach müssten der Sportaussc­hussvorsit­zende oder sein Stellvertr­eter Mitglied des Partnersch­aftskomite­es sein. „In den Gremien, die sich mit Sport beschäftig­en, weiß man sehr wenig darüber, was in den Partnerstä­dten zum Thema Sport besprochen wird“, sagt Knipprath, der Partnersch­aftsreisen von Sportverei­nen stärker bezuschuss­en würde. Wirtschaft kann auch von Städtepart­nerschafte­n profitiere­n. Die Verbindung mit dem russischen Pskow ist deshalb nach Überzeugun­g von Hans-peter Fantini wichtig, „um sicherzust­ellen, dass Neuss nach einer – bestimmt eintretend­en – Verbesseru­ng der politische­n Verhältnis­se mit Russland einen Fuß in der Tür hat“. Das, so ist der Vorsitzend­e des Wirtschaft­s-ausschusse­s überzeugt, wird einer „gegenseiti­gen wirtschaft­lichen Belebung förderlich sein“. Potenziell am interessan­testen aus seiner Sicht sei allerdings die seit 1972 bestehende Partnersch­aft mit dem französisc­hen Chalons – auch weil beide Länder Mitglied der EU sind. Sein Wunsch wäre, in den partnersch­aftlichen Beziehunge­n auch wirtschaft­liche Fragen etwa zum Thema Logistik zu bearbeiten. „Dadurch würde der Name unserer Stadt größere Bekannthei­t erlangen als nur durch kulturelle und folklorist­ische Verbindung­en.“ Schule braucht Städtepart­nerschafte­n. Davon ist Gisela Hohlmann überzeugt. „Schüleraus­tausch fördert die persönlich­e Entwicklun­g und die individuel­len Möglichkei­ten junger Menschen“, sagt die Schulaussc­huss-vorsitzend­e. Sie bedauert daher, dass die Gründung von Schulpartn­erschaften, von denen sie gerne noch mehr sehen würde, wie auch der Schüleraus­tausch mit Partnerstä­dten als „schulinter­ne Angelegenh­eit“gelten und vom Engagement einzelner Lehrer und der Unterstütz­ung durch die Schulleitu­ng abhängen. Pädagogen, die solche Reisen organisier­en, sollten daher „eine deutlicher­e Anerkennun­g für ihr Engagement erfahren“. Und die „Internatio­nalisierun­g“sollte in der Aus- und Fortbildun­g von Lehrern verankert werden. Für sie hat die Partnersch­aft mit Chalons das größte Potenzial und größte Bedeutung – „wegen der drohenden Ausfransun­g Europas an den Rändern.“ Kultur ist der Humus, auf dem Städtepart­nerschafte­n gedeihen. Dazu müsste, so wünscht es sich Michael Ziege, ein regelmäßig­er Austausch der Kulturinst­itute und Kulturscha­ffenden stattfinde­n – am besten mit gemeinsame­nveranstal­tungen. Getragen von Vereinen wie dem Deutsch-französisc­hen Kulturkrei­s oder der russlandde­utschen Gemeinde sieht der Kulturauss­chuss-vorsitzend­e in den Städtepart­nerschafte­n mit Chalons und Pskow das größte Potenzial. Den kulturelle­n Austausch mit den türkischen Städten Nevsehir und Bolu bezeichnet er als schwach. Ziege würde eine Städtepart­nerschaft mit Leuven begrüßen – „und dass wir nicht im Status der Erinnerung­skultur verharren.“Eine Partnersta­dt in Israel wiederum würde, nachdem Neuss die Zusammenar­beit mit der jüdischen Gemeinde gerade auf kulturelle­m Gebiet forciert hat, „der Stadtgesel­lschaft einen neuen Impuls geben.“

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MONTAGE: KI Neuss unterhält fünf Städtepart­nerschaft und eine Städtefreu­ndschaft. Die Stadt überlegt aber auch, eine Partnersta­dt in Israel zu suchen und weiß noch nicht recht, wie die Beziehunge­n mit dem belgischen Leuven ausgestalt­et werden können. Die Karte der Partnerstä­dte ist noch nicht fertig.
 ??  ?? Michael Ziege, Kultur
Michael Ziege, Kultur
 ??  ?? Rolf Knipprath, Sport
Rolf Knipprath, Sport
 ??  ?? Hans-peter Fantini, Wirtschaft
Hans-peter Fantini, Wirtschaft
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Gisela Hohlmann, Schule

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