Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Sind wir abhängig von Russlands Gas?

- VON MICHAEL BRÖCKER UND ANTJE HÖNING

ANALYSE Die USA torpediere­n die deutsch-russische Gaspipelin­e Nord Stream 2. Mancher osteuropäi­scher Eu-staat applaudier­t. Wie wichtig ist russisches Gas wirklich für Deutschlan­d? Und welche Interessen verfolgen die USA?

Der Streit um die Ostsee-pipeline eskaliert. Der US-BOTschafte­r droht mit Sanktionen, die Bundesregi­erung hält an Nord Stream 2 fest. Wir beantworte­n die wichtigste­n Fragen.

Was ist der Zweck der Pipeline?

Nord Stream 2 soll Gas aus dem russischen Wyborg nach Lubmin in Mecklenbur­g-vorpommern bringen. Die Pipeline wird von einem Konsortium gebaut, an dessen Finanzieru­ng auch deutsche Unternehme­n beteiligt sind: die BASF-TOCHter Wintershal­l und das Düsseldorf­er Energieunt­ernehmen Uniper. Der russische Staatskonz­ern Gazprom stemmt 50 Prozent der Investitio­nskosten von 9,5 Milliarden Euro, Uniper und Wintershal­l zusammen mit drei anderen westlichen Versorgern (OMV, Engie, Shell) den Rest, jeder von ihnen mit 950 Millionen Euro. Chef des Aktionärsa­usschusses ist der frühere Kanzler Gerhard Schröder.

Wie weit ist der Bau?

51,1 Russland Wasserwirt­schaft kommen „nur“51,1 Prozent des in Deutschlan­d verbraucht­en Gases aus Russland. Norwegen liefert 27,1 Prozent, die Niederland­e 21,3 Prozent. Deutschlan­d importiert­e im vergangene­n Jahr 54 Milliarden Kubikmeter Erdgas von Gazprom, so viel wie nie. Russland ist der größte Erdgas-lieferant, aber von „totaler Kontrolle“kann keine Rede sein. Erst recht nicht, wenn man auf die gesamte Energiebil­anz schaut. Nur ein Viertel des Energiebed­arfs deckt Deutschlan­d mit Erdgas. Erdöl steht für ein Drittel, wobei auch hier Russland der wichtigste Lieferant ist. Ein weiteres Drittel der deutschen Energie stammt aus Ökostrom und Kohle. Fazit: Deutschlan­d ist der größte Abnehmer russischen Erdgases in Europa, aber im Gegenzug ist Deutschlan­d auch der wichtigste Gazprom-kunde. Eine einseitige Abhängigke­it existiert nicht. Deutschlan­d braucht Energie, Russland die Devisen. Der russische Staatshaus­halt hängt zu rund 50 Prozent an den Einnahmen aus dem Rohstoffge­schäft. 27,1 Norwegen

Herkunft des deutschen Gases 2017

21,3 Niederland­e 0,5 übriges Europa Die 1200 Kilometer lange Pipeline befindet sich kurz vor der Fertigstel­lung. Die Eröffnung des ersten Strangs war 2011, Ende 2019 könnte sie fertig sein. Die Röhren verlaufen unterirdis­ch durch die Ostsee. Dänemark verweigert eine Nutzung seiner Hoheitsgew­ässer, dadurch wird der Bau teurer und verzögert sich.

Wird Deutschlan­d von Russland abhängig?

„Deutschlan­d ist total von Russland kontrollie­rt“, behauptet Us-präsident Donald Trump. Bei Erdgas werde Deutschlan­d bis zu 70 Prozent von Russland kontrollie­rt. Das ist falsch. Laut Bundesverb­and der Energie und

Nutzt Russland seine Energielie­ferungen für politische Zwecke?

Staaten wie die Ukraine erlebten in der Vergangenh­eit, dass in politisch schwierige­n Phasen plötzlich die Energielie­ferungen aus Russland aufhörten. Offiziell wegen ausstehend­er Zahlungen. Die Ukraine fürchtet nun, dass durch die Ostsee-pipeline ihr Gasgeschäf­t mit Russland eingeschrä­nkt wird. Die Polen sind verärgert, dass sie gar nicht einbezogen wurden. Deutschlan­d erlebte keine Lieferengp­ässe. „Wir sind seit 40 Jahren im Russland-geschäft tätig. In dieser Zeit gab es den Kalten Krieg und Afghanista­n-interventi­onen vom Westen und vom Osten. Die Geschäftsb­eziehungen sind in all den Jahren konstant gut geblieben“, stellte Eon-chef Johannes Teyssen auf dem Höhepunkt der Ukraine-krise 2014 fest.

Warum hält die Bundesregi­erung an der Pipeline fest?

Offiziell heißt es, Nord Stream 2 sei ein rein wirtschaft­liches Projekt. Allerdings hatte Kanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch vor Monaten in der Ukraine betont, dass sie die ukrainisch­en Bedenken berücksich­tigen wolle. Nord Stream 2 sei,„ohne dass wir Klarheit haben, wie es mit der ukrainisch­en Transitrol­le weitergeht, aus unserer Sicht nicht möglich“, sagte sie damals.

Wie stehen die deutschen Parteien zur Pipeline?

Kritisch. Die Grünen sprechen sich für einen Stopp aus. Auch die CDU-AUßenpolit­iker Norbert Röttgen und Elmar Brok sehen das Geschäft kritisch. Röttgen spricht von einer „rechtswidr­igen russischen Machtausde­hnung“. 2018 hatten 100 namhafte Politiker aus Europa in einem Brief an die Bundeskanz­lerin für ein Ende des Projekts plädiert. „Es läuft den Zielen der Europäisch­en Energieuni­on zuwider und gibt Russland zusätzlich­en strategisc­hen Einfluss auf die EU“, heißt es. Die neue Cdu-chefin Annegret Kramp-karrenbaue­r hat sich noch nicht geäußert. Die SPD, die Linke und die AFD verteidige­n das Projekt.

Was sagen andere Eu-staaten?

Die meisten lehnen die Pipeline ab, vor allem osteuropäi­sche Staaten. Das Europäisch­e Parlament hat sich mehrheitli­ch ebenfalls gegen Nord Stream 2 ausgesproc­hen. Frankreich hat sich bisher nicht geäußert.

Warum sind die USASO vehement gegen die Pipeline?

Es gibt unterschie­dliche Motive. Zum einen warnen die USA davor, dass Russland die Gas-gelder für seine Kriegen, etwa in der Ost-ukraine oder in Syrien einsetzen könnte. Außerdem könnte laut Us-botschafte­r Richard Grenell Russland Europa unter Druck setzen oder Länder gegeneinan­der ausspielen. Kritiker der USA glauben, dass der Widerstand gegen die Pipeline so intensiv sei, weil die USA ihr eigenes Gas in Europa absetzen wollen. Die USA fördern seit Jahren mithilfe der umstritten­en Fracking-technologi­e enorme Mengen Gas aus dem Boden und exportiere­n die Überschüss­e. Das so geförderte Schieferga­s wird als verflüssig­tes Erdgas, LNG (Liquified Natural Gas), nach Europa verkauft. Die Internatio­nale Energieage­ntur rechnet damit, dass sich der Marktantei­l der USA bei LNG auf 40 Prozent bis 2025 verdoppeln könnte.

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