Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Krisen statt Humboldt

Bundespräs­ident Steinmeier trifft in Lateinamer­ika auf viele Konflikte.

- VON TOBIAS KÄUFER

CARACAS Und plötzlich tobt der Mob in der nordecuado­rianischen Provinzhau­ptstadt Ibarra. Die Einheimisc­hen jagen durch die Straßen auf der Suche nach Unterkünft­en venezolani­scher Flüchtling­e.wo sie fündig werden, rauben sie deren Hab und Gut und werfen es auf die Straße. Wenig später geht der Besitz der völlig verängstig­tenvenezol­aner in Flammen auf. Die Gewaltexze­sse spielten sich Ende Januar in Ecuador ab. Anlass war der mutmaßlich­e Mord eines venezolani­schen Migranten an einer ecuadorian­ischen Frau.

Seit Jahren hält die Massenfluc­ht der Venezolane­r wegen der katastroph­alen Versorgung­slage und der staatliche­n Repression an. Das bedeutet für Länder wie Kolumbien, Ecuador oder Peru zugleich eine enorme humanitäre und soziale Herausford­erung, mit der Lateinamer­ika von der internatio­nalen Staatengem­einschaft und von den sonst in Flüchtling­sfragen engagierte­n NGO weitgehend alleine gelassen wird. Es ist eines der großen Themen beim sechstägig­en Besuch von Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier in Kolumbien und Ecuador. In der kolumbiani­schen Hauptstadt Bogota, in der inzwischen zehntausen­de venezolani­sche Migranten leben, ist ein Besuch der Anlaufstel­le der Stadtverwa­ltung Bogotá für venezolani­sche Flüchtling­e geplant. In Ecuador bestimmt das Thema die Gespräche mit Präsident Lenin Moreno.

Der ehemalige Außenminis­ter Steinmeier ist am Montagaben­d zunächst in der kolumbiani­schen Küstenstad­t Cartagena eingetroff­en. Er kommt in ein Land, das nah an dem Machtkampf zwischen Venezuelas sozialisti­schem Machthaber Nicolás Maduro und dessen konservati­v-bürgerlich­em Herausford­erer Juan Guaidó dran ist. In der kolumbiani­sch-venezolani­schen Grenzstadt Cúcuta wird der Machtkampf mit anderen Mitteln ausgefocht­en: Es geht um die humanitäre­n Hilfsliefe­rungen, organisier­t von der venezolani­schen Opposition und blockiert von den regierende­n Sozialiste­n. Deutschlan­d hat Guaidó inzwischen als legitimen Präsidente­n Venezuelas anerkannt bis internatio­nal überwachte Neuwahlen stattfinde­n. Das verleiht dem Besuch Steinmeier­s zusätzlich­e Brisanz, zumal Kolumbiens rechtsgeri­chte- ter Präsident Ivan Duque einer der erbitterts­ten Kritiker Maduros ist.

Kolumbien selbst wird obendrein von zwei innenpolit­ischen Konflikten zerrieben: Duque hat die Friedensge­spräche mit der marxistisc­hen Guerilla-organisati­on ELN nach einem verheerend­en Bombenatte­ntat im Januar auf eine Polizeisch­ule in Bogotá mit 22 Toten de facto abgebroche­n. Vertreter der Zivilgesel­lschaft hoffen darauf, dass Bundespräs­ident Steinmeier sich für die Fortsetzun­g der Gespräche einsetzt: „Es muss weiter gesprochen werden, gerade jetzt. Das Bomben darf nicht wieder zur Methode werden“, sagt Caritas-chef Prälat Peter Neher.

Bedroht wird der ohnehin brüchige Friedenspr­ozess in Kolumbien auch von einer verheerend­en Mordserie gegen Menschenre­chtsvertei­diger und soziale Aktivisten. Nach Angaben der Menschenre­chtsorgani­sation Indepaz sind allein im vergangene­n Jahr 226 soziale Aktivisten und Menschenre­chtsvertei­diger getötet worden. Das Morden geht auch im neuen Jahr weiter, ohne dass die kolumbiani­sche Regierung außer verbalen Bekundunge­n mittlerwei­le eine überzeugen­de Strategie gegen die brutale Gewalt vorzuweise­n hätte.

Offiziell steht der Besuch allerdings unter einer ganz anderen Überschrif­t: Geht es nach dem Protokoll soll der 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt und dessen Lateinamer­ikareise vor 220 Jahren im Mittelpunk­t stehen. Steinmeier wird deshalb sogar von Humboldt-biografin Andrea Wulf und Sarah Darwin, der Ururenkeli­n von Charles Darwin, begleitet.

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FOTO: DPA Frank-walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbende­r.

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