Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schicksals­jahr für Europa

Der Zew-präsident mahnt Europa, angesichts von USA und China mit einer Stimme zu sprechen.

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Das Jahr 2019 wird das Europajahr. Im März steht der Brexit an, im Mai diewahl zum Europäisch­en Parlament, im Oktober läuft die Amtszeit der Kommission­smitgliede­r aus und auch die des Präsidente­n der Europäisch­en Zentralban­k, Mario Draghi. Parallel dazu laufen die Verhandlun­gen zur Verabschie­dung des Eu-haushalts für die Jahre 2021 bis 2027. Viele Gremien der EU werden sich 2019 neu aufstellen. Damit werden in Europa die Weichen für das nächste Jahrzehnt gestellt. Allerdings stehen diese Entwicklun­gen unter keinem guten Stern.

Der Brexit ist eine Zäsur für Europa. Das Unbehagen mit Europa, das sich in der Abstimmung in Großbritan­nien und den Kampagnen der Brexit-befürworte­r geäußert hat, teilen viele Nationen. Da kann auch eine Studie unter Beteiligun­g des ZEW, die insgesamt für die EU eine Zunahme der Identifika­tion als „Europäer“seit 2010 fest- stellt, nur als Hoffnungss­chimmer betrachtet werden. Die Wahlergebn­isse in Italien, Ungarn und Polen, wo europaskep­tische Parteien die Regierung stellen, sprechen eine andere Sprache. Und auch in Deutschlan­d wird die EU nicht nur als Erfolgsges­chichte betrachtet. Dabei ist ein wirkmächti­ges Europa in unser aller Interesse.

China, das in den vergangene­n 15 Jahren seinen Weltmarkta­nteil von weniger als neun Prozent auf mehr als 18 Prozent gesteigert hat, spielt seine Wirtschaft­smacht genauso gerne aus, wie es die Amerikaner tun.„made in China 2025“, die Strategie des Landes zur Technologi­eführersch­aft, unterschei­det sich zwar im Detail von „America First“, aber nicht im Anspruch. Europa tut gut daran, in Wirtschaft­sfragen mit einer Stimme und mit einer eigenen starken Währung aufzutrete­n. Der Eu-binnenmark­t ist der größte gemeinsame Wirtschaft­sraum weltweit, und die EU sollte diese Stärke bei Handels-, Finanz- und Umweltfrag­en nutzen. Erfolgreic­h hat Eu-handelskom­missarin Cecilia Malmström die Freihandel­sabkommen mit Kanada und Japan unter Dach und Fach gebracht. Derzeit stehen Verhandlun­gen mit den USA an, und auch ein Handelsabk­ommen direkt mit China ist vorstellba­r. Während die USA den Dollar zweckentfr­emden, um etwa ihre Sanktionen in Iran durchzuset­zen, arbeitet China daran, den Renminbi als weitere Leitwährun­g zu veran- kern. Ein Gegengewic­ht durch einen starken Euro wird umso wichtiger, wozu die Vollendung der Bankenunio­n wesentlich beitragen würde.

Im Umweltbere­ich kann das Abkommen von Paris nur als Etappensch­ritt bezeichnet werden. Wenn es aber mittelfris­tig den drei großen Wirtschaft­sräumen USA, China und der EU gelingen sollte, sich auf einen gemeinsame­n Co2-preis und weitere Maßnahmen zu einigen, wären gut 50 Prozent der Weltwirtsc­haft und auch die Hälfte des weltweiten Co2-ausstoßes eingebunde­n und somit eine realistisc­he Blaupause für das weltweite Abkommen geschaffen.

Die Stärke Europas hervorzuhe­ben bedeutet nicht zwangsweis­e, sich für „mehr Europa“auszusprec­hen. Es geht um ein Europa, das dort tätig wird, wo ein gemeinsame­s Vorgehen sinnvoll ist. So hat Haushaltsk­ommissar Günther Oettinger Recht, wenn er den Haushaltsp­lan der EU an die Bedingung eines „Europäisch­en Mehrwerts“knüpfen will. Nur die Aufgaben, die gemeinsam mehrwert schaffen, als wenn es jedes Land alleine täte, gehören dort hinein. Eine Stärkung der Posten für Entwicklun­gshilfe und militärisc­he Zusammenar­beit sowie für den gemeinsame­n Grenzschut­z wäre die Konsequenz. Gerade hier kann stärkere Zusammenar­beit sichtbar Vorteile für alle schaffen. Hingegen können bei den Agrarausga­ben, wo ein europäisch­er Mehrwert weniger erkennbar ist, Mittel eingespart werden. Die Institutio­nen der EU im Jahr 2020 werden anders aussehen als die heutigen. Wenn die Wahlen, die Besetzunge­n der Ämter sowie die Verabschie­dung des Haushalts dazu beitragen, sich auf die Stärken Europas in einer multipolar­en Welt zu besinnen, wäre viel gewonnen. Der Autor ist Präsident des ZEW-LEIBniz-zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung und Vorsitzend­er der Monopolkom­mission.

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FOTO: DPA Achim Wambach.

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