Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Experten: Innenminister trickst bei Kriminalitätsstatistik
Nrw-innenminister Herbert Reul (CDU) sagt, dass die Polizei mehr als die Hälfte aller Straftaten aufgeklärt hat. Davon kann aber keine Rede sein.
DÜSSELDORF Experten haben erhebliche Zweifel an der zentralen Erfolgsmeldung zur Kriminalitätsstatistik 2018, die Nrw-innenminister Herbert Reul (CDU) vor Kurzem veröffentlicht hat. „Mehr als die Hälfte (53,7 Prozent) der Straftaten konnte von der Polizei aufgeklärt werden“, ließ Reul verbreiten. Das sei ein Rekord in der Landesgeschichte. Reul sagte: „Ein tolles Zeugnis für die 43.000 Polizistinnen und Polizisten im Land.“
Der Mülheimer Polizeiwissenschaftler Frank Kawelovski widerspricht: „Dass in NRW mehr als jede zweite Straftat gerichtsfest aufgeklärt worden sein soll, halte ich für ausgeschlossen.“Auch Thomas Feltes, Kriminologe an der Ruhr-universität Bochum, sagt: „Bei mehr als 70 Prozent der von der Polizei als aufgeklärt eingestuften Fälle wird dasverfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt, zumeist weil sie die Beweise nicht für ausreichend erachtet.“Beidewissenschaftler haben mehrfach zur Aufklärungsquote geforscht. „Die Aufklärungsquoten sind in NRW, wie auch in anderen Bundesländern, massiven Verzerrungen ausgesetzt, die sie in ihrer Aussagekraft wertlos machen“, bilanziert Kawelovski.
Der Begriff „Tataufklärung“werde zur Verschönerung der Statistik weit interpretiert. Oft würden der „Aufklärung“kaum mehr als Mutmaßungen zugrunde liegen mit der Folge, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren aus Mangel an Beweisen sofort wieder einstellt – eben weil die Tat nicht aufgeklärt ist. In frü- heren Studien wies Kawelovski Fälle nach, die ohne jeglichen Hinweis auf einen Verdächtigen als „geklärt“in der Statistik standen.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen stellte 2016 in einer bundesweiten Studie, bei der mehrere tausend Einbrüche untersucht wurden, fest: Die Beweislage bei „geklärten“Fällen war so schwach, dass nur 2,6 Prozent verurteilt wurden. Kriminologe Feltes sagt dazu: „Rechtspolitisch und kriminologisch ist die Aufklärungsquote nutzlos.“
Die Strafverfolgungsstatistik der Justiz gibt Auskunft darüber, was aus den von der Polizei weitergereichten Fällen wurde. Die jüngsten Zahlen sind von 2016. Für dieses Jahr meldete Reul im Frühjahr 2017 eine Aufklärungsquote von 52,3 Prozent. Von den 1,2 Millionen staatsanwaltschaftlich behandelten Fällen endeten aber nur 21,2 Prozent mit einer Anklage oder einem Strafbefehl.
Mehr als die Hälfte aller Verfahren wurde eingestellt – davon wiederum etwa die Hälfte ohne jegliche Auflage. Diese Zahlen sind seit Jah- ren weitgehend konstant.
Innenminister Reul hält die Aufklärungsquote dennoch für ein wichtiges Indiz: „Statistik kann nie perfekt sein“, sagte der Nrw-innenminister unserer Redaktion, „aber die Polizeiliche Kriminalitätsstatistik ist die beste und objektivste, die wir haben.“Sie genüge einem bundesweit verabredeten Vergleichsstandard und sei eine taugliche Diskussionsgrundlage etwa für Vergleiche mit anderen Ländern oder früheren Jahren. „Alles andere führt zur Beliebigkeit“, meint Reul.