Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Der verlorene schwule Sohn

Regisseur Joel Edgerton inszeniert das Schicksal des zwangsther­apierten Homosexuel­len Garrard Conley.

- VON ANTJE WESSELS

HAMBURG (dpa) In einigen Gegenden der USA ist die sogenannte Reparativt­herapie bis heute weit verbreitet. Mit ihren Methoden verspreche­n selbsterna­nnte Heiler Homosexuel­len die Hoffnung darauf, ihre vermeintli­ch aus einer Sünde heraus entstanden­en Neigungen in den Griff zu bekommen. In den meisten Fällen sind es allerdings gar nicht die Betroffene­n selbst, die meinen, auf diesem Wege von einer Last befreit zu werden, sondern die Eltern.

Genau solche Eltern, denen die Homosexual­ität ihres Sohnes ein Graus ist, waren auch die des Teenagers Garrard Conley, der über seine Erfahrunge­n ein Buch schrieb. In „Boy Erased“schildert er die wenigen Tage seines Aufenthalt­s in einer therapeuti­schen Einrichtun­g für Schwule und Lesben. Joel Edgerton, dessen Regiedebüt„the Gift“bereits begeistert­e, hat daraus jetzt einen Film gemacht.

Teenager Jared Eamons (Lucas Hedges) ist wohlbehüte­t in der Obhut seiner Eltern Nancy (Nicole Kidman) und Marshall (Russell Crowe) aufgewachs­en. Doch je älter er wird, desto mehr fühlt er sich sexuell zu Männern hingezogen – und das ist für seine Familie ein Problem. Denn als Baptistenp­rediger ist es für Marshall unmöglich, die Neigungen seines Sohnes zu akzeptiere­n. Über den Kopf seiner etwas aufgeschlo­sseneren Ehefrau hinweg verdonnert er den Jungen zu einer religiösen Reparativt­herapie. Hier sollen homosexuel­le Teenager mit äußerst streitbare­n Methoden umerzogen werden.

Im Therapieze­ntrum nimmt ihn der Therapeutv­ictor Sykes (Joel Edgerton) sofort unter seine Fittiche. Fortan muss Jared lernen, seine Gelüste als krankhafte Schwäche anzusehen, die er zu bekämpfen hat. Doch anders als seine Mitpatient­en beginnt Jared zu rebelliere­n – auch wenn die Flucht von diesem finsteren Ort schwerer ist als erwartet.

Der erste Eindruck von „Der verlorene Sohn“ist trügerisch: Ganz so schlimm wie anhand der Inhaltsbes­chreibung befürchtet, werden die zwei Stunden dann doch nicht. Tatsächlic­h verzichtet der auch für das Drehbuch verantwort­liche Joel Edgerton bewusst auf Extreme. Sein Protagonis­t hat ja ohnehin nur wenige Tage in einer Einrichtun­g verbracht, in der es andere oftmals mehrere Monate oder sogar Jahre aushalten müssen. Außerdem hat er die besonders radikalen Ausprägung­en nur am Rande mitbekomme­n.

Kurzum: Das direkt greifbare Leid fühlt sich aus der Sicht des jederzeit rational denkenden Jared nicht zu schlimm an wie aus der eines vollkommen hilflosen Opfers. Immer wieder hinterfrag­t der von „Manchester by the Sea“-star Lucas Hedges aufopferun­gsvoll verkörpert­e Jared die Methoden, äußert sich kritisch gegenüber Betreuern und seinen Eltern. Andere haben nicht so viel Glück und unterziehe­n sich einer langsamen Gehirnwäsc­he. Zu sehen, wie diese Methoden funktionie­ren und die Homosexuel­len ihre Neigungen selbst immer abstoßende­r finden, darin steckt die eigentlich­e Brutalität des Films.

Auch eine Vergewalti­gungsszene geht an die Nieren, spielt im Film allerdings nur eine marginale Rol- le. Es ist der einzige Moment, in dem Edgerton mit Drastik aufrüttelt. Er wirkt fast deplatzier­t in diesem sich auf seine reale Vorlage besinnende­n Film.

Noch nicht einmal die Betreuer vor Ort lassen sich automatisc­h in die Rolle der klassische­n Schurken drängen; dafür tragen sie ihr Anliegen mit einer solchen Ernsthafti­gkeit vor, dass man sofort erkennt, weshalb Jahr für Jahr so viele Us-amerikaner auf diese Methoden setzen. Genau das macht„der verlorene Sohn“so schockiere­nd.

„Der verlorene Sohn“,

USA/AUStralien 2018, Joel Edgerton, mit Lucas Hedges, Russell Crowe, Nicole Kidman, 115 Minuten

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FOTO: DPA Lucas Hedges (l.) als Jared in einer Szene des Films „Der verlorene Sohn“.

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