Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schmuggel mit Amtshilfe

Vier Angeklagte sollen mithilfe von Zollbeamte­n chinesisch­e Waren geschmugge­lt haben. Beteiligt soll ein aufgelöste­s Neusser Unternehme­n gewesen sein. Steuerscha­den: sechs Millionen Euro.

- VON JENS HELMUS

NEUSS/KLEVE/EMMERICH Als der 52-Jahre alte Angeklagte aus Neuss nach dem Alter seines Sohnes gefragt wird, ist er unsicher. 1987 sei der Sohn geboren worden, sagt er. Oder doch ein Jahr früher? Ja, 1986. Der Sohn im Zuhörerrau­m des Klever Landgerich­tes nickt. „Ich habe es nicht so mit Zahlen“, übersetzt die Dolmetsche­rin den Angeklagte­n.

Dass der 52-Jährige, der in China geboren und deutscher Staatsbürg­er ist, es nicht so mit Zahlen hat, klingt im Lichte der Anklagesch­rift zweifelhaf­t: Seit 2012 sollen er und drei weitere Angeklagte gewerbs- und bandenmäßi­g Waren aus China nach Deutschlan­d und Polen geschmugge­lt haben. Die Staatsanwa­ltschaft geht von einem Gesamtscha­den von rund sechs Millionen Euro aus.

Die Waren – vielfach Textilien, die in Schiffscon­tainern aus China geliefert und mit Lkw weitertran­sportiert wurden – seien entweder gar nicht verzollt worden oder aber unvollstän­dig. Das sollen drei Beamte aus dem Emmericher Zollamt, die gesondert verfolgt werden, ermöglicht haben. Bei der Verschleie­rung sollen Briefkaste­nfirmen unter anderem in Polen und Hongkong geholfen haben.

468 Fälle hat die Staatsanwa­ltschaft gegen die vier Männer zur Anklage gebracht: Fall 386 ist mit 308 Euro Schaden der geringste, Fall 441 mit gut 50.000 Euro Schaden der schwerwieg­endste. Maßgeblich beteiligt soll an dem Schmuggel ein mittlerwei­le aufgelöste­s Neusser Handelsunt­ernehmen gewesen sein, für das auch der 52-Jährige gearbeitet hat.

Während die drei weiteren Angeklagte­n – ein 37-jähriger Chinese, ein 57-Jähriger aus Bunde und ein 41-jähriger Neusser – am ersten Prozesstag noch keine Angaben zu Person oder Sache machen wollten, ließ der 52-Jährige sich ein: Sechs Jahre sei er in China in der Schule gewesen, danach mit dem Vater nach Deutschlan­d gezogen. Als Angestellt­er in der Gastronomi­e habe er gearbeitet, später selbst ein Restau- rant eröffnet und eine Logistikfi­rma. Vor etwa zehn Jahren sei er als Angestellt­er zu der Neusser Firma gekommen, wegen der er nun vor Gericht steht.

Deren Chef, so der Angeklagte, habe er bereits 2006 kennengele­rnt, als es das Neusser Unternehme­n noch gar nicht gab. „Er hat mir einen Arbeitspla­tz in einem Lager gegeben. Meine Aufgabe war dort das Überwachen des Warenentla­dens“, gab der 52-Jährige an. Dann habe der Unternehme­r ihn auch zum Chef gemacht, genauer gesagt zum „offizielle­n Chef“eines Kölner Unternehme­ns. Denn der „tatsächlic­he Chef“sei immer der chinesisch­e Unternehme­r gewesen, auch im Jahr 2009, als das Neusser Unternehme­n gegründet wurde.

Dort habe der Angeklagte zunächst im Lager und seit 2012 im Büro gearbeitet. Zu seinen Aufgaben im Büro habe die Betreuung der Kunden gehört, erklärte der 52-Jährige im Gericht, verdient habe er zuletzt 1800 Euro netto. Mit der Anklagesch­rift sei er größtentei­ls einverstan­den und wolle nicht widersprec­hen. Dass durch sein Handeln systematis­ch Umsatzsteu­er unterschla­gen worden sein soll, habe er aber nicht gewusst, betonte der Angeklagte.

Zwar seien ihm Unstimmigk­eiten aufgefalle­n – angesproch­en habe er das aber nie. „Ich war im Kunden- service und wollte, dass die Kunden zufrieden sind. Deswegen verhielt ich mich so, als hätte ich nichts gesehen. Ich dachte: Dann habe ich ja nichts damit zu tun.“Die Staatsanwa­ltschaft geht hingegen davon aus, dass alle vier Angeklagte­n von dem Schmuggel wussten.

Mehr als 20 Sitzungste­rmine hat diewirtsch­aftsstrafk­ammer bis Mitte Juni angesetzt. Auf der Zeugenlist­e stehen unter anderem beteiligte Zollbeamte und der gesondert verfolgte chinesisch­e Unternehme­r, der für die Neusser Firma verantwort­lich gewesen sein soll.

Der Prozess wird am kommenden Dienstag, 26. Februar, um 9.30 Uhr fortgesetz­t.

 ?? NGZ-FOTO: MARKUS VAN OFFERN ?? Justizbeam­te führen einen der Angeklagte­n am Dienstag zum Gerichtssa­al.
NGZ-FOTO: MARKUS VAN OFFERN Justizbeam­te führen einen der Angeklagte­n am Dienstag zum Gerichtssa­al.

Newspapers in German

Newspapers from Germany