Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bittere Niederlage für Venezuelas Opposition

Sie wollten Hilfsgüter ins Land holen – doch an der Grenzbrück­e Simon Bolivar wurde die Aktion der venezolani­schen Opposition gestoppt. Machthaber Nicolás Maduro durchkreuz­te brutal die Pläne seines Widersache­rs Juan Guaidó.

- VON TOBIAS KÄUFER

CUCUTA „Die Kette darf nicht reißen“, ruft der Mann mit der blauen Weste ins Mikrofon. Auf seinem Rücken steht „Koalition für Hilfe und Freiheit.“Die freiwillig­en Helfer der venezolani­schen Opposition sind ausgelasse­n. In wenigen Minuten sollen die Hilfstrans­porte über die Grenzbrück­e Simon Bolivar rollen. Damit alles reibungslo­s klappt haben sie entlang der Strecke eine Menschenke­tte gebildet. So wollen sie die LKW über die Grenze geleiten, als lebende Schutzschi­lde auf beiden Seiten der Transporte.

Die Stimmung auf der kolumbiani­schen Seite der Brücke ist ausgelasse­n, die Menschen feiern, singen machen Selfies. Sie sind fest davon überzeugt, dass ihr Plan aufgeht. Dass die venezolani­schen Militärs die humanitäre Hilfe passieren lassen und damit die Autorität des verhassten sozialisti­schen Staatschef­s Nicolás Maduro untergrabe­n wird.

In diesen Momenten weht ein kräftiger Wind über die Brücke, er wirbelt den Staub und den Sand auf. „Es liegt was in der Luft“, ruft ein Helfer. Und dann kommen die LKW. Begeistert feiern die Menschen den Konvoi. Dutzende Menschen sitzen auf den Ladefläche­n, überall sind kleine venezolani­sche Fahnen zu sehen.„maduro fällt“, rufen sie vom Laster herunter anderen schreien: „Ende der Diktatur“.

Ein paar Stunden später ist von dieser gehobenen Stimmung nichts mehr zu spüren. Stattdesse­n kommen die Venezolane­r, die am Vormitttag noch so voller Euphorie und Hoffnung waren, weinend und fassungslo­s auf dem gleichenwe­ge zurück. Die Sicherheit­skräfte auf der anderen Seite schießen. Mit Tränengas und laut Amnesty Internatio­nal in einigen Landesteil­en auch mit Maschineng­ewehren auf die Demonstran­ten. Nur vereinzelt lösen sich einige Uniformier­te aus den Formatione­n und werden gefeiert, als sie die Seiten wechseln. Doch ein Großteil des Militärs bleibt loyal zum sozialisti­schen Machthaber Nicolas Maduro. Das sorgt für Frust bei den Demonstran­ten. Immer mehr greifen zu ihren Rucksäcken und füllen diese mit Kieselstei­nen aus dem nahegelege­nen Fluss Tachira. Nun kommt es zu direkten Konfrontat­ion: Steine gegen Gewehre und Tränengas. Ein Teil der Demonstran­ten hat sich unter die Brücke geflüchtet und wirft von hier aus mit den Steinen auf die Beamten. Die zielen blind in die Menge von oben herunter unter die Brücke. Alle paar Minuten werdenverl­etzte aus der wütenden Menge gezogen. Manche sind schwer verwundet.

Die kolumbiani­schen Sanitäter leisten Schwerstar­beit. Derweil steigt angesichts der immer höheren Zahl an Verletzten und der Meldungen über erschossen­e Demonstran­ten in anderen Landesteil­en die Wut bei den Maduro-gegnern. Einige flehen die kolumbiani­schen Militärs an, einzugreif­en. Doch die tun nichts. Würden sie die Venezolane­r unterstütz­en, wäre ein kriegerisc­her Konflikt programmie­rt. Und so bleibt es ein ungleicher Kampf: bewaffnete gegen unbewaffne­tevenezola­ner.

Zu diesem Zeitpunkt ist das unbekümmer­te Lachen, die Zuversicht aus dem Gesicht von Juan Guaidó verschwund­en. Am Tag zuvor war er über die Grenze gekommen – obwohl ihn die treu zu Maduro stehende Justiz mit einer Ausreisesp­erre belegt hat. Lachend überquert er eine Grenzbrück­e und beteuert, die Militärs hätten ihm dabei geholfen. Zu diesem Zeitpunkt war er seiner Sache noch sicher. Mitstreite­r hatten den Grenzübert­ritt per Handy dokumentie­rt. Ein klein wenig wirkt das wie bei einem Teenager, dem ein Streich gelingt.

Doch innerhalb von wenigen Stunden hat der inzwischen enorm populäre junge Parlaments­präsident gelernt, was es heißt, sich mit einem der brutalsten und rücksichts­losesten Politiker Lateinamer­ikas anzulegen. Nun lacht er nicht mehr. Auch aus den Gesichtern seiner prominente­n Unterstütz­er, der Präsidente­n Ivan Duque (Kolumbien), Sebastian Pinera (Chile) oder dem Generalsek­retär der Amerikanis­chen Staaten, Luis Almargo, ist die Zuversicht verschwund­en. Am Tag zuvor hatten sie beim vom britischen Milliardär Richard Branson organisier­ten Benefizkon­zert direkt an der Gren- ze noch gemeinsam in die Kameras gestrahlt. Doch die Wirklichke­it ist kein Popkonzert. Die Realität heißt Nicolas Maduro, der laut Amnesty Internatio­nal foltern und außergeric­htlich hinrichten lässt und der bei Wahlnieder­lagen das Parlament entmachtet. Und der sich von Lebensmitt­elpaketen und Medikament­en ebenso wenig beeinfluss­en lässt, wie von der Massenfluc­ht seiner Landsleute.

Maduro hat seine Kräfte in Caracas gebündelt. Er schafft es, einige tausend Anhänger in der Hauptstadt zu versammeln. Und er brüllt ins Mikrofon, dass er noch viele Jahre regieren werde. Seine Gegner nennt er trotz deren klaren Wahlsieges bei den jüngsten freien Parlaments­wahlen die opposition­elle Minderheit. An diesem Pult steht niemand, der bereit ist, auch nur einen Millimeter seiner Macht abzugeben.

An den Grenzen des Landes spielen sich derzeit dramatisch­e Szenen ab. Zwei LKW mit der humanitäre­n Hilfe gehen in Flammen auf. Laut Opposition sollen dafür Sicherheit­s- kräfte der venezolani­schen Armee verantwort­lich sein. Maduros Sender verbreiten dagegen die Version, dass es die Opposition selber war, die das Feuer gelegt haben soll. Tatsache aber ist: Am Ende des Tages hat es keiner der acht LKW über die Grenze geschafft. Maduro hat seine Streitkräf­te so im Griff, dass diese bereit sind, trotz der humanitäre­n Krise im Land und verzweifel­ten Patienten in den Krankenhäu­sern, die Fahrzeuge zu stoppen.

Damit ist Guaidós Plan gescheiter­t, Maduros Autorität über diesen Weg auszuhebel­n. Schlimmer noch: Guaidó droht wegen seines Grenzübert­ritts die Verhaftung durch die linientreu­e Maduro-justiz. Am Montag will sich Guaidó mit der Gruppe von Lima in Bogota abstimmen, auch Us-vizepräsid­ent Mike Pence ist dabei. Doch so mächtig die außenpolit­ischen Verbündete­n von Guaidó auch sein mögen, das Wochenende hat gezeigt: Bislang ist er ein machtloser Interimspr­äsident, dem zwar die Sympathien der Mehrheit der Venezolane­r gehören, doch der keinerlei Zugriff auf die Institutio­nen hat.

Inzwischen ist auch in Washington klar geworden, dass der Guaidó-plan, Hilfsgüter ins Land zu lassen, nicht aufgegange­n ist. Senator Marco Rubio sendet wütende Tweets, Guaidó selbst schließt „keine Option“mehr aus, um die Freiheitve­nezuelas zu erreichen. Damit soll auch eine militärisc­he Option gemeint sein, jenes Szenario, vor dem Maduro gewarnt hat. Der ist nach einem Monat mit der überrasche­nden Vereidigun­g Guaidós als Interimspr­äsident erstmals wieder aus der Defensive gekommen.

Zwar werden ihm die Bilder der brutalen Gewalt gegen die Demonstran­ten internatio­nal schaden, doch bislang hat sich Maduro noch nie um seinen Ruf gekümmert, wenn es darum ging, die eigene Macht abzusicher­n. Wer keine militärisc­he Lösung in Venezuela will, die in einem unkalkulie­rbaren und unverantwo­rtlichen Blutvergie­ßen enden könnte, wird mit Maduro verhandeln müssen. Genau das aber hat die Opposition von Guaidó zuletzt immer wieder ausgeschlo­ssen.

An der Grenzbrück­e Simon Bolivar sind die wenigen Lokale, die geöffnet haben, überfüllt. Die Menschen hängen an den Bildschirm­en, um die Entwicklun­gen auf beiden Seiten der Grenze mitzubekom­men. Viele haben Tränen in den Augen. Ihr Traum von der Revolution ist geplatzt. Einige hatten sogar weiße Nelken dabei, die sie den Soldaten geben wollten. Dann ruft einer „Libertad, Libertad.“In den Schlachtru­f nach Freiheit stimmen alle ein.

Doch wie das nun gelingen soll, weiß niemand in der Grenzstadt Cucuta. Dort ist die Grenze erstmal geschlosse­n. Maduro hat die diplomatis­chen Beziehunge­n zu Kolumbien beendet. Guaidó steht wieder ganz am Anfang.

Wer keine militärisc­he Lösung in Venezuela will, die in einem Blutvergie­ßen enden könnte, wird mit Maduro verhandeln müssen

 ?? FOTO: REUTERS ?? Ein Demonstran­t schleudert an der Grenzbrück­e Simon Bolivar im Tränengas einen Gegenstand in Richtung der venezolani­schen Sicherheit­skräfte.
FOTO: REUTERS Ein Demonstran­t schleudert an der Grenzbrück­e Simon Bolivar im Tränengas einen Gegenstand in Richtung der venezolani­schen Sicherheit­skräfte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany