Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Auf den Hund gekommen

Evgeny Titov inszeniert Bulgakows „Hundeherz“am Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF So hat sich der Professor den neuen Menschen nicht vorgestell­t: Irrtümlich hat er durch die Transplant­ation menschlich­en Hirns und Hodens in den Körper eines Straßenköt­ers die Vermenschl­ichung des Tiers bewirkt. Nun sitzt ihm ein schmierige­r, halbbehaar­ter Wüstling gegenüber, der weiter seinen Trieben folgt, flucht, wenn er spricht, in die Wohnung pinkelt, die Hauskatze reißt. Keine Unterwürfi­gkeit, keine Manieren, kein Dank. Natürlich stört so ein Hausgenoss­e das großbürger­liche Leben des Moskauer Arztes empfindlic­h. Und so sitzt der Professor in einer der dunkelsten Szenen zutiefst empört in seinem Fauteuil und beschimpft seinen Ex-hund: Du bist Dreck, Abschaum, ein Zufallspro­dukt!

Der junge russische Regisseur Evgeny Titov inszeniert die bittere, politische Groteske von Michail Bulgakow am Düsseldorf­er Schauspiel­haus als eine Frankenste­iniade. Es wird blutspritz­end operiert hinter milchgläse­rnen Schiebetür­en. Später gegessen, gefressen, aus den Einmachglä­sern mit eingelegte­n Menschente­ilen gesoffen, dem Zuschauer soll so richtig schlecht werden. Das Bühnenbild führt derweil brav in die Entstehung­szeit der Erzählung, ins Moskau der 1920er Jah- re. Alles hübsch naturalist­isch, den Transfer aus dieser gestrigen Theaterwel­t muss der Zuschauer schon selbst vornehmen.

Torben Kessler trägt als Köter anfangs Hundemaske, später in diversen Vermenschl­ichungsstu­fen behaarte Haut. Seine Darstellun­g ist vor allem in den stillen Momenten berührend, wenn er als Köter im Schnee sitzt und von Wurstenden träumt oder nach der Operation schon mal im Professore­nsessel Platz nimmt, um wie Herrchen Oper zu hören. Als Mensch ist er mehr garstiger Clown, denn Prolet, ein zurechtgem­achter böserwolf in Großmutter­s Schlaftrac­ht, vor dem sich niemand fürchten muss. Da vergibt die Inszenieru­ng durch vordergrün­dige Derbheit und eindeutige Zuordnunge­n viel von der bedrohlich­en Ambivalenz aus Bulgakows Erzählung. Andreas Grothgar ist ein grundsympa­thischer, feiner Herr Professor, dem man das bisschen Menschenve­rsuch gern nachsieht. Lou Strenger gibt sein Hausmädche­n Sina als Parodie der verlebten Russin mit rollendem „rrr“. Stefan Gorski komplettie­rt als ergebener Assistent die aufrechte Bürgerwelt, während die Sowjetbüro­kratie in Gestalt der Hausverwal­terbande um Markus Danzeisen als nervige Bedroher von Recht und Eigentum herüberkom­men. Dabei persiflier­t Bulgakow in seiner Teufliade den Dünkel der Besitzende­n genauso wie den kleingeist­igen Fanatismus der Genossen und stellt die Frage, was ein Humanismus wert ist, der nur gebildeten, wohlerzoge­nen Mitmensche­n gilt, die ihren Platz in der Rangordnun­g kennen. Doch Titov konservier­t einen Stoff mit so offensicht­lichen Bezügen zur Gegenwart im Formaldehy­d dervergang­enheit und lässt den Deckel lieber auf dem Glas. Info www.dhaus.de

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FOTO: MELANIE ZANIN Torben Kessler in „Hundeherz“.

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