Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Abstiegskampf!
ANALYSE Sportvorstand Heidel inszeniert seinen Abschied vom FC Schalke 04. Trainer Tedesco steht nun ziemlich alleine da. Die Fans der Königsblauen verlieren immer mehr die Nerven. Aufsichtsratschef Tönnies steht vor einem Scherbenhaufen.
MAINZ/GELSENKIRCHEN Es ist der Moment, wenn die Menschenwürde ganz weit in den Hintergrund gedrängt wird. Erwachsene Männer stehen regungslos vor der Kurve und lassen minutenlang Beschimpfungen und Pöbeleien über sich ergehen. Kein Kassierer, Handwerker, Busfahrer würde das von einem Kunden unkommentiert stehen lassen. Doch die Fußballprofis des FC Schalke 04 mitsamt ihres Trainers Domenico Tedesco stellen sich in Mainz nach der kläglichen Niederlage (0:3) der Basis. Auf den Rängen wird das Angebot bereitwillig angenommen. Die Königsblauen befinden sich mitten im Abstiegskampf, und das ist für einige Anlass genug, sich die Narren-freiheit zu nehmen, mal so richtig Dampf abzulassen und den Millionären auf dem Rasen die Meinung zu geigen. Minutenlang geht das so, bis irgendwann irgendein Spieler als erster bedröppelt abdreht und mit gesenktem Haupt den Arbeitsplatz verlässt.
Christian Heidel hat sich der großen Bühne entzogen – und seinen Abgang inszeniert. Ausgerechnet beim alten Arbeitgeber in Mainz hat er die Öffentlichkeit über seine Absichten informiert, nicht mehr Sportvorstand des FC Schalke 04 sein zu wollen. Die Gedanken habe er seit geraumer Zeit gehabt. Er habe sich immer wieder geprüft und schließlich festgestellt, dass er auch ein Teil des Problems sein könne. „Für die Ruhe kann ich im Moment nicht mehr sorgen“, sagte der 55-Jährige. Die Diskussionen um seine Person würde dem Verein schaden. Er gehe freiwillig, verzichte auf das Geld, das ihm bis 2020 zustehe, wenn dervertrag ausgelaufen wäre, er stünde natürlich noch bis Saisonende als Berater zur Verfügung, wenn es gewünscht sei.
Heidel hat mit gewisser Genugtuung noch einmal in Erinnerung gerufen, dass der Verein ja im Viertelfinale des Dfb-pokals und im Achtelfinale der Champions League stehe. Nur halt in der Bundesliga habe man die hohen Erwartungen nicht erfüllen können. Er erwähn- te nicht, dass er natürlich auch ein gewichtiger Teil des Problems gewesen ist – schließlich hat er mit seinen Transfers recht zielsicher daneben gelegen. Null Leistungsträger. Er hat einfach keine Typen fürs Revier gefunden, keine Malocher, wie sie dort geliebt werden. Stattdessen hat sich Heidel lieber einen Seitenhieb gegönnt: Die aus seiner Sicht zu aggressive Berichterstattung von „Bild“und„sport Bild“habe ihm ein normales Arbeiten unmöglich gemacht. Er fühlte sich ungerecht be- handelt.
Auf Schalke steht mal wieder Großreinemachen an. Es gilt derzeit als äußerst fraglich, ob Domenico Tedesco noch den Schalter umlegen kann. Es heißt, er habe Teile der Mannschaft verloren. Solche nach außen lancierten Vorwürfe sind mindestens deutliche Indizien dafür, dass einiges im Argen liegt. Tedesco, im Vorjahr hatte er die Mannschaft immerhin zur Vize-meisterschaft geführt, wirkt zunehmend ratlos. Heidel war sein großer Förderer, sein Beschützer. Ohne diese Unterstützung wird Tedesco nicht mehr viel Kredit haben, denn die Zeit läuft den Gelsenkirchenern davon, noch etwas machen zu können, um mal wieder einen Umschwung einzuläuten.
Heidel selbst hat als seinen Nachfolger Jonas Boldt ins Gespräch gebracht. Mit dem ehemaligen Sportdirektor von Bayer Leverkusen hatte er sich getroffen, um über eine Zusammenarbeit zu reden. Es ist kaum vorstellbar, dass Boldt als Solokünst- ler bei Schalke engagiert wird. Boldt hat in der Branche einen ausgezeichneten Ruf, ist gut vernetzt, aber einer für die erste Reihe in einem chronisch unruhigen Klub ist er (noch) nicht. Namen wie die von Klaus Allofs und Christoph Metzelder werden ins Rennen geworfen.
Clemens Tönnies, der mächtige Aufsichtsratsvorsitzende, muss schnell eine Lösung finden, die zumindest kurzfristig für Ruhe sorgt. Mehr erwartet auf und von Schalke schon keiner mehr.