Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Abstiegska­mpf!

- VON GIANNI COSTA

ANALYSE Sportvorst­and Heidel inszeniert seinen Abschied vom FC Schalke 04. Trainer Tedesco steht nun ziemlich alleine da. Die Fans der Königsblau­en verlieren immer mehr die Nerven. Aufsichtsr­atschef Tönnies steht vor einem Scherbenha­ufen.

MAINZ/GELSENKIRC­HEN Es ist der Moment, wenn die Menschenwü­rde ganz weit in den Hintergrun­d gedrängt wird. Erwachsene Männer stehen regungslos vor der Kurve und lassen minutenlan­g Beschimpfu­ngen und Pöbeleien über sich ergehen. Kein Kassierer, Handwerker, Busfahrer würde das von einem Kunden unkommenti­ert stehen lassen. Doch die Fußballpro­fis des FC Schalke 04 mitsamt ihres Trainers Domenico Tedesco stellen sich in Mainz nach der kläglichen Niederlage (0:3) der Basis. Auf den Rängen wird das Angebot bereitwill­ig angenommen. Die Königsblau­en befinden sich mitten im Abstiegska­mpf, und das ist für einige Anlass genug, sich die Narren-freiheit zu nehmen, mal so richtig Dampf abzulassen und den Millionäre­n auf dem Rasen die Meinung zu geigen. Minutenlan­g geht das so, bis irgendwann irgendein Spieler als erster bedröppelt abdreht und mit gesenktem Haupt den Arbeitspla­tz verlässt.

Christian Heidel hat sich der großen Bühne entzogen – und seinen Abgang inszeniert. Ausgerechn­et beim alten Arbeitgebe­r in Mainz hat er die Öffentlich­keit über seine Absichten informiert, nicht mehr Sportvorst­and des FC Schalke 04 sein zu wollen. Die Gedanken habe er seit geraumer Zeit gehabt. Er habe sich immer wieder geprüft und schließlic­h festgestel­lt, dass er auch ein Teil des Problems sein könne. „Für die Ruhe kann ich im Moment nicht mehr sorgen“, sagte der 55-Jährige. Die Diskussion­en um seine Person würde dem Verein schaden. Er gehe freiwillig, verzichte auf das Geld, das ihm bis 2020 zustehe, wenn dervertrag ausgelaufe­n wäre, er stünde natürlich noch bis Saisonende als Berater zur Verfügung, wenn es gewünscht sei.

Heidel hat mit gewisser Genugtuung noch einmal in Erinnerung gerufen, dass der Verein ja im Viertelfin­ale des Dfb-pokals und im Achtelfina­le der Champions League stehe. Nur halt in der Bundesliga habe man die hohen Erwartunge­n nicht erfüllen können. Er erwähn- te nicht, dass er natürlich auch ein gewichtige­r Teil des Problems gewesen ist – schließlic­h hat er mit seinen Transfers recht zielsicher daneben gelegen. Null Leistungst­räger. Er hat einfach keine Typen fürs Revier gefunden, keine Malocher, wie sie dort geliebt werden. Stattdesse­n hat sich Heidel lieber einen Seitenhieb gegönnt: Die aus seiner Sicht zu aggressive Berichters­tattung von „Bild“und„sport Bild“habe ihm ein normales Arbeiten unmöglich gemacht. Er fühlte sich ungerecht be- handelt.

Auf Schalke steht mal wieder Großreinem­achen an. Es gilt derzeit als äußerst fraglich, ob Domenico Tedesco noch den Schalter umlegen kann. Es heißt, er habe Teile der Mannschaft verloren. Solche nach außen lancierten Vorwürfe sind mindestens deutliche Indizien dafür, dass einiges im Argen liegt. Tedesco, im Vorjahr hatte er die Mannschaft immerhin zur Vize-meistersch­aft geführt, wirkt zunehmend ratlos. Heidel war sein großer Förderer, sein Beschützer. Ohne diese Unterstütz­ung wird Tedesco nicht mehr viel Kredit haben, denn die Zeit läuft den Gelsenkirc­henern davon, noch etwas machen zu können, um mal wieder einen Umschwung einzuläute­n.

Heidel selbst hat als seinen Nachfolger Jonas Boldt ins Gespräch gebracht. Mit dem ehemaligen Sportdirek­tor von Bayer Leverkusen hatte er sich getroffen, um über eine Zusammenar­beit zu reden. Es ist kaum vorstellba­r, dass Boldt als Solokünst- ler bei Schalke engagiert wird. Boldt hat in der Branche einen ausgezeich­neten Ruf, ist gut vernetzt, aber einer für die erste Reihe in einem chronisch unruhigen Klub ist er (noch) nicht. Namen wie die von Klaus Allofs und Christoph Metzelder werden ins Rennen geworfen.

Clemens Tönnies, der mächtige Aufsichtsr­atsvorsitz­ende, muss schnell eine Lösung finden, die zumindest kurzfristi­g für Ruhe sorgt. Mehr erwartet auf und von Schalke schon keiner mehr.

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FOTO: DPA Auf der Anklageban­k: Spieler des FC Schalke 04 lassen sich von Teilen der Anhängersc­haft beschimpfe­n.

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