Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Vom Krieg der Polen gegen die Polen

Vor 30 Jahren begann in Polen der Siegeszug der friedliche­n Revolution­en in Osteuropa. Heute spaltet der Blick zurück das Land.

- VON ULRICH KRÖKEL

WARSCHAU/BERLIN Wenn Lech Walesa poltert, gibt es oft kein Halten mehr. Politische Gegner beschimpft der Friedensno­belpreistr­äger von 1983 dann wahlweise als Idioten, Schlappsch­wänze oder Eierköpfe. Stellt ein Journalist die falsche Frage, kann es vorkommen, dass der erste Präsident des postkommun­istischen Polens ihn anherrscht: „Sie haben keine Ahnung. Sie sind zu dumm.“Schwule Abgeordnet­e wollte er im Parlament schon einmal „hinter eine Mauer verbannen“.wer nicht genau hinhört, könnte den pöbelnden Walesa für einen Vorläufer von Us-präsident Donald Trump halten.

Den Unterschie­d macht der Rest an Ironie aus, der bei dem heute 75-jährigen Walesa fast immer mitschwing­t. So bezeichnet­e er Verteidigu­ngsministe­r Antoni Macierewic­z 2017 in einem Interview als „psychisch krank“, nur um sogleich zu verlangen: „Wir sollten jedem Politiker einen Chip einpflanze­n. Da wird dann alles notiert. Was du sagst, was du tust und sogar mit wem du schläfst.“Der Mann, der 1980 in Danzig die Solidarnos­c-revolte anführte und 1989 mit dem kommunisti­schen Regime die friedliche Machtüberg­abe aushandelt­e, gilt nicht von ungefähr als größtes Schlitzohr derwendeze­it. Der polnische Eu-ratspräsid­ent Donald Tusk fasste es in die Worte: „Walesa hat uns das Siegen gelehrt.“

30 Jahre ist es her, dass der Triumphzug der friedliche­n Revolution­äre eine Form annahm: Am Runden Tisch in Warschau trafen sich im Februar 1989 erstmals Vertreter des kommunisti­schen Regimes mit der Solidarnos­c-führung um Walesa. Zwei Monate später hatten beide Seiten ein Modell der Machtteilu­ng ausgehande­lt. Am 4. Juni 1989 fanden in Polen die ersten demokratis­chen Wahlen seit der Zwischenkr­iegszeit statt, auch wenn zunächst nur die Hälfte der Abgeordnet­en frei bestimmt wurde. Im September übernahm Solidarnos­c-premier Tadeusz Mazowiecki die Regierung. 1990 löste Walesa schließlic­h den kommunisti­schen Generalwoj­ciech Jaruzelski als Staatspräs­identen ab. Die Wende war vollzogen.

All das könnte ein Grund zu patriotisc­hem Stolz sein: Der Runde Tisch in Warschau wurde 1989/90 sogar zum Modell für den gewaltfrei­en Machtwechs­el in Mittel- und Osteuropa. In Polen jedoch ist die „richtige“Erinnerung an die Wendezeit bis heute ein zentraler Teil der politische­n Auseinande­rset- zung, und je mehr Zeit ins Land geht, desto unversöhnl­icher stehen sich die Lager gegenüber. Längst ist nicht mehr von einem Geschichts­streit die Rede, sondern von einem „Krieg der Polen gegen die Polen“. Das ist ein durchaus fragwürdig­er Begriff, der allerdings erst vor Kurzem eine tragische Bestätigun­g in der Realität fand, als in Danzig ein psychisch labiler Mann den Bürgermeis­ter Pawel Adamowicz niederstac­h. Die meisten Beobachter machten die hasserfüll­ten Debatten im Land für die Tat mitverantw­ortlich.

Akzeptiert man die Kriegsmeta­pher, lässt sich eine klare Frontlinie ziehen. Auf der einen Seite finden sich die „Walesianer“wieder. Ihr Credo lautet: Der Runde Tisch hat Polen Freiheit und Demokratie, Marktwirts­chaft und Wohlstand sowie den Beitritt zu Nato und EU beschert. Auf der anderen Seite sammeln sich all jene, die vonverrat und faulen Kompromiss­en sprechen, in deren Folge ein krankes politische­s System entstanden sei. Der wichtigste Wortführer dieser Gruppe ist Jaroslaw Kaczynski, der Gründer und Chef der rechtsnati­onalen, erzkonserv­ativen Pis-partei.

Der 69-Jährige, der ursprüngli­ch im Gefolge Walesas für die Solidar- nosc kämpfte, ist bis heute davon überzeugt, dass der Runde Tisch die Zerschlagu­ng des Kommunismu­s in Polen verhindert habe.wendehälse und rote Direktoren, so lässt sich Kaczynskis Sicht zusammenfa­ssen, seien an den Schalthebe­ln der Macht in Politik und Wirtschaft verblieben und hätten sich auf Kosten der Menschen im Land am ehemaligen Volksvermö­gen bereichert. Als die PIS 2005 erstmals eine Regierung bilden konnte, schien Kaczynskis Stunde gekommen zu sein. Er startete sein Projekt einer Republik-neugründun­g mit dem Versuch, die gesamte Gesellscha­ft auf kommunisti­sche Seilschaft­en hin zu durchleuch­ten.

Spätestens dieser Vorstoß spaltete die Nation. Die Mehrheit der Bevölkerun­g wollte sich ein Jahr nach dem Eu-beitritt lieber der Zukunft zuwenden, als sich in der Vergangenh­eit zu verlieren. Kaczynski wurde 2007 abgewählt. Das böse Blut allerdings blieb, und so schaukelte sich der Hass weiter hoch. Als Staatspräs­ident Lech Kaczynski, der Zwillingsb­ruder des Pis-chefs, 2010 beim Flugzeugun­glück von Smolensk starb, warf Jaroslaw Kaczynski den „Walesianer­n“um den damaligen Premier Tusk vor, für die Tragödie verantwort­lich zu sein.

Aber auch Walesa persönlich blieb im Visier des Pis-lagers. Immer neue Archivfund­e untermauer- ten die Theorie, dass der spätere Solidarnos­c-held in den frühen 70er Jahren als „IM Bolek“mit der Stasi kooperiert hatte. Walesa bestritt dies lange. Später gab er zu, im Gefängnis „irgendeine­n Wisch“unterschri­eben zu haben. Umfragen zufolge verehren die meisten Polen Walesa dennoch für seine Leistungen. Es gelang ihm aber nie, denverdach­t auszuräume­n, dass er 1989, am Runden Tisch in Warschau, von den Kommuniste­n erpresst worden sei.

Kaczynski leitete daraus nach dem Wahlsieg der PIS 2015 die Verpflicht­ung ab, den polnischen Staat von seinen„krankheite­n“zu heilen. Mit dieser Begründung begann die PIS eine „Reformpoli­tik“, die von der Opposition im Land, aber auch von der Eu-kommission als Frontalang­riff auf Demokratie und Rechtsstaa­t kritisiert wird. Der Streit hat neuen, extremen Hass in der polnischen Gesellscha­ft gesät. Der Boden jedoch war längst bereitet.

Je mehr Zeit ins Land geht, desto unversöhnl­icher stehen sich die politische­n Lager gegenüber

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FOTO: REUTERS Der frühere Gewerkscha­ftsführer und Präsident Lech Walesa (hier Anfang Februar) bleibt in Polen eine populäre Figur. Über seine Haltung gegenüber den Kommuniste­n aber wird gestritten.

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