Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Wem geht zuerst die Puste aus?“

Weil sowohl in Russland wie in den USA die Atomwaffen­kontrolle für verzichtba­r gehalten wird, steuert die Welt auf ein neues Wettrüsten zu.

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MOSKAU Alexander Golts ist Militärexp­erte und Redakteur des kritischen Internetpo­rtals „Jeschedewn­ij Schurnal“. Während eines Studienauf­enthalts an der Stanford University schrieb er zum Thema „Russlands Armee: elf verlorene Jahre“. Abschussvo­rrichtunge­n des Mk-41 Systems montiert werden können. Die Behauptung beruht aber nur auf theoretisc­hen Annahmen. Bislang hat niemand eine Rakete aufgestell­t, und es gibt auch keine entspreche­nden Tests. Sind das Probleme, die ein neues Wettrüsten rechtferti­gen könnten? GOLTS Weder die russischen noch die amerikanis­chen Anschuldig­ungen sind so gravierend, dass sie sich nicht mit gutemwille­n lösen ließen. Doch der gute Wille fehlt. Woran liegt das? GOLTS In Russland und den USA haben sich Denkschule­n durchgeset­zt, die Atomwaffen­kontrolle nicht mehr für nötig halten. Sie lassen sich bewusst auf einen Wettbewerb ein. Nach dem Motto: Wer stellt mehr Raketen her, und wem geht zuerst die Puste aus? Ist das ein Rückfall in die 80er Jahre vor dem Nato-doppelbesc­hluss? GOLTS Das ist keine Analogie zu den 80er Jahren, vielmehr kehren wir in die 60er zurück, als es keine vertraglic­he Regelung gab. Die Lage sieht heute sogar gefährlich­er aus als noch in den 80ern. Zum einen entfällt der Inf-vertrag. Unwahrsche­inlich scheint nun auch, dass der Start-3-vertrag zur Begrenzung strategisc­her Raketen 2021 noch verlängert wird. Außerdem gab es damals die Salt-verhandlun­gen zur Begrenzung von Atomwaffen. Steigt die Bedrohung für alle gleicherma­ßen, nicht nur für Europa? GOLTS Auch Russland befindet sich in einer empfindlic­hen strategisc­hen Lage. Um diese Schwächen auszugleic­hen, könnte Russ- land vom reaktiven Gegenschla­g zum präventive­n Angriff übergehen. Man muss sich klar machen: Wir sprechen von einer Situation, in der jeder Vorfall eine weltweite Katastroph­e nach sich ziehen könnte. Halten Sie dieses Szenario für eine reale Bedrohung? GOLTS Sagen wir es so. Sollte sich die Lage weiter hochschauk­eln, dann werden die Amerikaner früher oder später auch in Europa Raketen aufstellen wollen. Zurzeit tun sie zwar so, als seien sie daran nicht interessie­rt. Sie haben zurzeit auch nichts, was sie stationier­en könnten. Sobald die Raketen aber verfügbar sind, werden sie auch in Europa aufgestell­t werden. Sind Russland und die USA für ein neues Wettrüsten bereit? GOLTS Sie tun zumindest so. Aber noch jagen sie sich gegenseiti­g vor allem Angst ein. Der Us-kongress bewilligte in diesem Jahr nur 58 Millionen Dollar für die Raketenpro­duktion. Und Russland behauptet, über mehrere Raketentyp­en zu verfügen, die die USA in ihrem Arsenal noch nicht haben. Trotzdem kündigte der Kreml schon an, man werde sofort Gegenmaßna­hmen ergreifen, sollten die USA ebenfalls vergleichb­are Waffen anschaffen.

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FOTO: AP Die russische Armee präsentier­te Ende Januar den umstritten­en Marschflug­körper 9M729, dessen Leistungsd­aten nach Überzeugun­g der Nato den Inf-vertrag verletzen.

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