Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Kinderrechte sind Grundrechte“
Seit 25 Jahren ist der Dormagener Spd-politiker Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes.
Herr Hilgers, Sie sind seit 25 Jahren Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie für dieses ehrenamtliche Amt auf Bundesebene in Frage kamen?
Im Mai werden es sogar schon 26 Jahre sein, die ich unbezahlte Arbeit verrichte – und zwar mit viel Freude. Davor war ich schon anderthalb Jahre stellvertretender Vorsitzender und Interimspräsident. Gesucht wurde damals jemand, der fachlich qualifiziert, erfahren war und über gute politische Kontakte verfügte. Da ich bis 1985 als ehemaliger Jugendamtsleiter in Frechen gearbeitet hatte und familien- und jugendpolitischer Sprecher der Spd-landtagsfraktion war, schien ich wohl ein geeigneter Kandidat.
Heinz Hilgers
Hat Ihnen dieses Amt auch für Ihre politische und gesellschaftspolitische Arbeit in Dormagen geholfen? Hilgers Natürlich habe ich dadurch glänzende Kontakte, spreche mit vielen Experten und werde selbst gehört: So kann ich mich für die Kinderrechte und den Kinderschutz ganz gezielt einsetzen. Das Prinzip des „Dormagener Modells“, das die Eltern frühzeitig stärkt und präventiv und gezielt Hilfe zur Selbsthilfe anbietet, bevor es zur Krise gekommen ist, ist auch auf andere Bereiche als die Frühen Hilfen anwendbar. Welche Kontakte meinen Sie? Hilgers Ich war jetzt auf meinem 25. Neujahrsempfang beim Bundespräsidenten. Da habe ich von Richard von Weizsäcker über Roman Herzog, Johannes Rau, Heinz Köhler, Christian Wulff, Joachim Gauck bis zu Frank-walter Steinmeier sieben verschiedene Persönlichkeiten getroffen. Vielleicht erlebe ich ja auch noch den achten. Auch bei den Familienministerinnen ist „meine“Reihe lang, sie begann übrigens mit Angela Merkel... Um welche Hauptthemen ging es bei der Fachtagung in Hamburg, bei der auch der 65. Geburtstag des Kinderschutzbundes und Ihre 25 Jahre an der Spitze des Bundesverbandes gefeiert wurden? Hilgers Wir kämpfen weiterhin darum, die Kinderarmut einzudämmen – und darum, dass die Kinderrechte endlich im Grundgesetz verankert werden. Zu letzterem hat nun die Große Koalition nach langem Ringen verabredet, bis zum Ende des Jahres einen entsprechenden Entwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen. Allerdings muss der dann noch durch Bundestag und Bundesrat. Warum ist es so wichtig, dass die Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz stehen? Hilgers Die Kinderrechte sind Grundrechte und sollten als solche auch verankert werden. Dann kann sich niemand mehr herausreden. Das Kindeswohl muss dann bei allen Entscheidungen berücksichtigt werden. In den vergangenen Jahren haben wir uns sehr dafür eingesetzt. Unser bisher größter Erfolg ist das Recht auf gewaltfreie Erziehung, das erst seit 2000 so festgeschrieben ist. 90 Prozent der Eltern bekommen das auch so hin – die anderen brauchen Unterstützung. Daher setzt der Kinderschutzbund darauf, die Eltern zu stärken. Wenn Prävention und Krisenbewältigung funktionieren sollen, müssen Eltern und Fachkräfte gemeinsame Erziehungspartner sein. Eine Präventionskette wie das Dormagener Modell bringt den pädagogischen Fachkräften regelmäßige Rückkopplungen und Einsicht in Probleme.wichtig ist ein Menschenbild voller Wertschätzung und Hilfsbereitschaft. Und Kinder sollten ernst genommen werden. Sie können sich schon an Entscheidungsprozessen beteiligen, wie es in Dormagen mit dem Kinderparlament seit vielen Jahren erfolgreich läuft. Wie kann Kinderarmut bekämpft werden? Hilgers Zum Glück scheint nun auch mehr Bewegung in das Thema Kindergrundsicherung zu kommen. Kinder sind keine kleinen Arbeitslosen und haben daher beim Jobcenter nichts verloren. Wir müssen die Chancen für Kinder erhöhen. Leider scheinen viele Entscheidungsträger ein bodenloses und grundloses Misstrauen den Eltern gegenüber zu haben, denen sie nicht zutrauen, mit mehr Geld für ihre Kinder verantwortungsvoll umgehen zu können. Wie viele Kinder sind von Kinderarmut in Deutschland betroffen? Hilgers Die Dunkelziffer mitgerechnet, haben wir 4,4 Millionen Kin- der, die auf oder unter dem Existenzminimum leben. Davon leben 2,8 Millionen Kinder in Haushalten, in denen die Eltern berufstätig sind. Trotz bester Wirtschaftslage haben wir eine steigende Kinderarmut. Die Politik ist nicht in der Lage, einen ge- rechten Familienleistungsausgleich zu regeln. Denken Sie ans Aufhören als Präsident des Kinderschutzbundes? Hilgers (lacht) Natürlich habe ich schon daran gedacht. Wir haben sehr fähige Ehrenamtler im Bundesvorstand, die meine Arbeit übernehmen können. Noch macht mir meine Arbeit sehr viel Spaß.