Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Es lohnt mehr Mut zur Ehrlichkei­t“

Heute beginnt die Fastenzeit. Das Motto der Protestant­en: „Sieben Wochen nicht lügen“. Wie soll das gehen?

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Untersuchu­ngen haben ergeben: Jeder von uns lügt. Und zwar mehrmals täglich. Wenn es auch nur kleine Unwahrheit­en sind: Ganz streng genommen sind auch das Lügen. Das bundesweit­e Motto der evangelisc­hen Kirche für die jetzt beginnende Fastenzeit lautet „Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen“. Doch wie soll das genau gehen? Der Neusser Pfarrer Sebastian Appelfelle­r erklärt es. Herr Appelfelle­r, was ist für Sie eine glatte Lüge?

Sebastian Appelfelle­r

Eine richtige Lüge ist für mich, wenn sich jemand, aus Angst für etwas geradesteh­en zu müssen, von unbequemen­wahrheiten distanzier­t, oder wenn jemand, um sich einen Vorteil zu verschaffe­n, bewusst die Unwahrheit verbreitet. Im ersten Moment mag das verführeri­sch wirken, doch es richtet in der Regel Schaden an. Darum braucht es Mut, die unschönen Dinge anzusprech­en. Erst das eröffnet Handlungso­ptionen. Was ist denn mit Gefälligke­itslügen? Fühlen sich andere nicht schlecht, wenn man gnadenlos ehrlich ist? Appelfelle­r In einer Beziehung läuft Kommunikat­ion auf verschiede­nen Ebenen. Die sachliche ist nur eine davon. Darum ist es normal und richtig, dass wir zu unseren Partnern nicht immer schonungsl­os ehrlich sind, sondern auf einer emotionale­n Ebene reflektier­en, was wir mit welchem Urteil anrichten. Es hilft auch schon mal, etwas Nettes zu sagen. Eine alltäglich­e Begebenhei­t ist, dass der eine Nachbar dem anderen einen guten Morgen wünscht, ob- wohl er ihm den guten Morgen wegen eines Konfliktes gar nicht gönnt. Formal ist das nicht die Wahrheit. Dennoch bleibt er höflich und hilft beim sozialen Kontakt. Beim Fastenmott­o geht es aber nicht nur darum, nicht zu lügen, sondern darum, ehrlich zu sein. Mutig wäre es, wenn der eine Nachbar das Gespräch mit dem anderen suchen und mit ihm offen über die Dinge sprechen würde, die ihn stören. Was bedeutet das genau? Appelfelle­r Es geht um mehr Mut zur Ehrlichkei­t, darum, auch unbequeme Dinge offen anzusprech­en. Das lohnt sich nicht nur, es ist auch absolut notwendig. Global lässt sich das am Klimawande­l betrachten. Es braucht Mut, diesen anzusprech­en. Wir machen uns verletzlic­h, weil wir vielleicht selbst zu wenig dagegen tun oder unsere Hilflosigk­eit erleben. Doch wenn wir ihn verleugnen, wird es nicht besser. Ganz im Gegenteil. Nur wenn das Thema angesproch­en wird und Menschen den Mut haben, sich damit auseinande­rzusetzen, stehen Handlungso­ptionen offen. Also ist es gut, dort, wo es angemessen ist, auch mal die Komfortzon­e zu verlassen? Appelfelle­r Auf jeden Fall. Als Christ vertraue ich darauf, dass es mehr gibt, als meine eigene Kraft, und ich mich vor meinen eigenen Fehlern nicht fürchten muss. Um eine Lösung zu finden, lohnt es sich, ehrlich zu sein – und sich von der Angst zu lösen, für etwas alleine geradesteh­en zu müssen. Apropos christlich­er Gedanke: Was bedeutet für Sie Wahrhaftig­keit? Appelfelle­r Auch wenn das Wahre immer eine Frage der Perspektiv­e ist, ist es nicht beliebig. Unser geschultes Gewissen sagt uns in der Regel sehr genau, was richtig oder falsch ist. Sich daran zu orientiere­n, das ist Wahrhaftig­keit.

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FOTO: WOI Pfarrer Sebastian Appelfelle­r ist Vorsitzend­er der Evangelisc­hen Gemeinden in Neuss.

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