Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zynische Beobachter einer Flucht

Regisseuri­n Julia-huda Nahas hat aus dem Roman „La Línea“für das RLT ein 70-minütiges Bühnenspie­l gemacht. Bis zum Schluss wird die Spannung über die Flucht des jungen Miguel und seiner Schwester Elena gehalten.

- VON CLAUS CLEMENS

NEUSS Natürlich geht es um die Mauer. Ohne dass sie erwähnt wird, spielt Donald Trumps Grenzwall zur Abschottun­g von Mittelamer­ika die Hauptrolle in dem neuen Jugendstüc­k des RLT. „La Línea – der Traum vom besseren Leben“beruht auf der Grundlage des gleichnami­gen Buchs von Ann Jaramillo. Es geht um zwei junge Latinos, die ihren Eltern in die USA folgen wollen. Diese hatten die Kinder bei der Großmutter zurückgela­ssen, um ihnen mit Geldsendun­gen aus dem „gelobten Land“ein besseres Leben zu ermögliche­n. Miguel und seine Schwester Elena aber machen sich selbst auf den gefährlich­en Weg nach „la línea“, also zur Grenze. Sie wissen, dass sie mit Terror-banden, Grenzpatro­uillen und zwielichti­gen Personen zu rechnen haben. Trotzdem brechen beide mit etwas Geld in der Tasche auf, um „Coyote“, einen Schleuser, zu finden und„el Pomero“, den Mann, der sie durch die Wüste führen soll.

Die Autorin der Geschichte ist mit einem Sohn mexikanisc­her Einwandere­r verheirate­t. Als Lehrerin an einer Schule in Kalifornie­n lernte sie viele Migrantenk­inder kennen. Ihnen wollte sie mit ihrer Erzählung das Gefühl geben, nicht allein zu sein. Jaramillo gibt der dramatisch­en Handlung ein „happy end“: Miguel und Elena schaffen es über die Grenze. In der Wirklichke­it aber bleibt der Traum vom besseren Leben für viele eine unerfüllba­re Illusion.

In Neuss hat die junge Regisseuri­n Julia-huda Nahas das Buch zu einem 70-minütigen Bühnenspie­l umgearbeit­et. Und eine„meta-ebe- ne“hinzu gefügt, auf der die Auslöser für das Massenphän­omen Migration erläutert werden. Denn„alle zwei Sekunden wird ein Mensch auf derwelt zur Flucht gezwungen“. Die Schauspiel­er Christoph Bahr und Petra Kalkutschk­e sind aber auch zynische Beobachter des Geschehens. Als„sombrero-lemminge“verspotten sie die Migranten und schließen Wetten auf deren Überlebens­chancen ab. „Survival oft he fittest“funktionie­rt hier nicht, denn gerade auf die Fitten, die Gesunden, warten brutale Organhändl­er. Schließlic­h gibt es auch noch den „Matagente“. Das ist ein Güterzug durch Mittelamer­ika, auf dessen Dach viele Lati- nos die Reise nach Norden schaffen wollen. Doch der spanische Name heißt„menschentö­ter“, und das sagt wohl alles.

In den Hauptrolle­n des Stücks stehen Kathrin Berg und Richard Lingscheid­t auf der Studiobühn­e. Dort hat Jutta Borneman (Bühne und Kostüme) einen mächtigen roten Schlagbaum aufgebaut. Das drehbare Ungetüm dient Miguel und Elena in ihrem mexikanisc­hen Heimatort zunächst alswippe zum Spielen. Später, als sie tatsächlic­h „la línea“überwunden haben, wird aus dem roten Grenzbalke­n eine Kompassnad­el, die den Weg durch die Wüste Arizonas anzeigt: nach Kaliforni- en biegt man links, nach New York rechts ab. So einfach ist es dann doch nicht. Aber das Spiel der vier Akteure, darunter Bahr und Kalkutsche in verschiede­nen Rollen, hält die Spannung bis zum Ende.

Ergänzend zum Stück ist im Foyer des RLT eine Foto-ausstellun­g zu sehen. „Unsichtbar­e Opfer“dokumentie­rt auf über dreißig Bildtafeln die gefahrvoll­e Reise von Latinos auf der Flucht vor Armut und Gewalt. Als Wanderauss­tellung von Amnesty Internatio­nal tourt sie seit 2010 durch Deutschlan­d. Am Eröffnungs­abend ergänzten Beiträge von Schülern des Kaarster Georg-büchner-gymnasiums die Schaubilde­r.

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FOTO: B. HICKMANN Kathrin Berg, Christoph Bahr (v.l) und Petra Kalkutschk­e (r.) begleiten und beobachten die Flucht von Miguel (Richard Lingscheid­t, 2.v.r.) über die Grenze von Mexiko in die USA.

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