Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Cambridge 5 – Zeit der Verräter
Sein neuer Plan war es, seinen Ruf wiederherzustellen, indem er eine Verleumdungsklage anstrengte. Es war eine ausgesprochen kluge Idee. Wenn jemand ihn öffentlich als sowjetischen Spion bezeichnete, konnte Philby ihn nach englischem Recht wegen Verleumdung vor Gericht bringen und damit seine „Unschuld“beweisen. Er brauchte nur noch jemanden, der ihm die Chance zu so einem Prozess bot.
Bis heute sind in Großbritannien die Gewinnchancen bei derartigen Verleumdungsklagen für den Kläger außergewöhnlich hoch. Philby hatte daher allen Grund zu hoffen, dass er auf diesem Weg öffentlich rehabilitiert werden würde und damit seine Kritiker endlich mundtot wären. Trotzdem verlief nicht alles nach Plan, wie er in seinen Memoiren beschreibt:
„Ich stand in der Untergrundbahn, als ich es las. Über meines Nachbarn Schulter blickend, sah ich meinen Namen in der Schlagzeile des Evening Standard. Colonel Marcus Lipton, Abgeordneter für Brixton, hatte an den Premierminister die Anfrage gerichtet, ob er weiter die zweifelhafte Tätigkeit des Mr. Philby decken wolle. Meine erste Reaktion war große Enttäuschung. Da Lipton als Abgeordneter Immunität hatte, konnte ich ihn nicht verklagen.“
Seine Mi6-freunde ermunterten ihn jedoch, nicht zu verzagen. Sie würden hinter den Kulissen für ihn an der Sache arbeiten.
Er solle erst einmal abwarten, wie die Unterhausdebatte über seinen Fall verlaufen würde. Sie waren guten Mutes, dass alles in seinem Sinne ausgehen würde. Sie sollten recht behalten. In der Parlaments- debatte sagte Außenminister Harold Macmillan, Philby habe seine Amtspflichten „gewissenhaft und geschickt erfüllt“.
Das kam einem Freispruch gleich, und Philby hatte allen Grund, ihn bis aufs Letzte auszukosten. Kurz nachdem er von Macmillans Aussage gehört hatte, lud er Journalisten zu einer Pressekonferenz ein. Er hatte unterschätzt, wie groß das Interesse sein würde, über fünfzig Journalisten waren gekommen, und die Fragen prasselten auf ihn ein. Er genoss jede einzelne:
„War ich ein Freund von Burgess und Maclean? Inwiefern war ich an ihrem Verschwinden schuld? Wo waren sie? Wie war ich politisch eingestellt? War ich der dritte Mann? Es war leicht.“Der letzte Satz war typisch für ihn. Sie hatten es ihm wieder einmal zu leicht gemacht. Er hatte sich nicht mal groß
anstrengen müssen. Besonders amüsierte ihn die Frage nach seinen kommunistischen Freunden. Er antwortet darauf mit fester Stimme:
„Das letzte Mal, dass ich wissentlich mit einem Kommunisten sprach, war 1934.“
Die ganze Pressekonferenz war ein einziger Siegeszug. Anschließend gab es keinen Grund mehr, Philby als Aussätzigen zu behandeln. Er wurde vom MI6 zurückgeholt, wenn auch unter Vorbehalt. Seine Rückkehr fand auf freiberuflicher Basis statt, und er hatte sie vor allem seinem alten Mi6-freund Nicholas Elliott zu verdanken. Das „Schweinsgesicht“Elliott besorgte Philby eine Stelle als Journalist. Er sollte für den Observer und den Economist aus dem Libanon berichten und nebenher dem MI6 nützliche Informationen aus dem Nahen Osten liefern. Auch wenn Philby jetzt nur noch freiberuflich für den MI6 unterwegs war, bedeutete es für ihn eine Rettung nach Jahren der Isolation. Die Arbeit im Libanon hatte noch einen anderen Vorteil. Er konnte seine Frau und die Kinder in England zurücklassen. Kim Philby packte so schnell wie möglich die Koffer und verschwand nach Beirut.
Bis heute kursieren in Beirut viele Geschichten über Kim Philby.vor allem in den Bars war er ein bekannter Gast. Said Aburish beschreibt in seinen Erinnerungen „The St. George‘s Hotel Bar“, wie all die ausländischen Journalisten sich täglich in dieser Bar einfanden, darunter auch Kim Philby und das amerikanische Ehepaar Sam und Eleanor Brewer.
Sam Brewer war ein wuchtiger Mann, der immer einen korrekten grauen Anzug trug und schon vormittags Cocktails bestellte. Brewer kannte Philby von früher. Sie hatten im Spanischen Bürgerkrieg mehrere Nächte zusammen
durchgemacht und waren„kriegskameraden“geworden. Brewer war viel unterwegs und hatte daher seiner Frau aufgetragen, sich um„kim“zu kümmern. Eleanor Brewer nahm diese Aufforderung etwas zu wörtlich und wurde nach kurzem Zögern Philbys Geliebte.
In ihren Erinnerungen beschreibt Eleanor, dass ihr als Erstes an Kim Philby seine Einsamkeit auffiel. Sie löste in ihr eine merkwürdige Mischung aus Beschützerinstinkten und sexuellem Interesse aus: „Er war vierundvierzig Jahre alt, mittelgroß, ein attraktives Gesicht mit vielen Furchen. Seine Augen waren ein intensives Blau.“Es schien zu reichen. Eleanor selbst war zwei Jahre jünger als Philby und eine für ihre Generation ungewöhnlich eman- zipierte Frau. Sie hatte in Washington studiert und einige Zeit für eine Werbefirma gearbeitet. Im Zweiten Weltkrieg war sie für Propagandaarbeit in Istanbul eingesetzt worden und hatte dort ihren Mann Sam Brewer kennengelernt. Das Paar bekam eine gemeinsame Tochter, die in Eleanors Autobiografie jedoch kaum erwähnt wird. Mit ihrem Mann führte Eleanor eine relativ offene Ehe. Sam Brewer tolerierte die Affäre seiner Frau, er war selbst öfters aushäusig, und da Philby offiziell immer noch als verheiratet galt, war kein Skandal zu erwarten. Doch dann änderte sich die Sachlage.
Im Dezember 1957 arbeitete Philby gerade an einem Zeitungsartikel, als seine älteste Tochter ihn aus England anrief. Solche Anrufe waren teuer und selten, aber dieser war nicht zu vermeiden gewesen. Die weinende Tochter berichtete, dass Aileen Philby in dem einsamen Haus in Crowborough tot aufgefunden worden sei. Die Kinder lebten schon lange nicht mehr bei ihrer Mutter, sie waren auf Internate undverwandte verteilt worden.wie lange Aileen tot in dem Haus gelegen hatte, konnte daher nicht mehr eindeutig rekonstruiert werden. Der Totenschein registrierte Herzversagen. Philbys Freunde kamen alle zu dem Schluss, dass es ein Unfall oder Selbstmord gewesen sein musste. Nur Aileens Psychiater glaubte sofort an Mord. Er hatte bereits 1955 dem MI5 mitgeteilt, er habe große Sorge, dass Aileens Leben in Gefahr sei. Sie sei der Überzeugung, dass ihr Mann ein sowjetischer Agent sei und sie möglicherweise umbringen wolle. Damit lag sie sehr nah an der Wahrheit.
(Fortsetzung folgt)