Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Bach verswingt: Zum Tod des Jazzpianis­ten Jacques Loussier

- VON WOLFRAM GOERTZ

PARIS Von Johann Sebastian Bach gibt es eine wundervoll­e Orgelfuge, sie steht in g-moll und hat die Nummer BWV 542. Unter Organisten heißt sie liebevoll die „Kaffeewass­er-fuge“– weil das Thema mit dem lustigen Text„das Kaffeewass­er kocht, das Kaffeewass­er kocht“gesungen werden könnte. Bach klingt ja in wirklich jeder Version, selbst wenn er auf vier Kämmen geblasen würde.

Und dann kam dieser Mann, nahm sich diesen Bach und diese Fuge vor und transferie­rte alles in eine neue Welt: in den Jazz. Er ließ die Musik swingen, sie bekam Drive, der Kontrabass erfand eine neue pulsierend­e Basslinie, und das Schlagzeug gab den Heizer.

Als Trio wurden Jacques Loussier am Piano, Pierre Michelot am Kontrabass und Christian Garros am Schlagzeug eine Sensation. Die drei Franzosen eroberten die Festivals, alle rissen sich um die drei Piraten, die Bach als Beute gemacht hatten, aber doch seine ehrfürchti­gsten Diener blieben. Man könnte sagen: Sie zeigten Bach von einer anderen Seite, aber es blieb dabei eben doch Bach.

Loussiers erste Aufnahme mit Bach-bearbeitun­gen war 1959 erschienen. Sie war die Frucht kindlicher Bach-begehungen gewesen, erster Versuche mit dem „Notenbüchl­ein für Anna Magdalena Bach“– und dann kam der Moment aller Momente: „Ich habe kleine Änderungen ausprobier­t, das Thema umspielt“. Das Ergebnis blieb Bach, aber mit Verwandlun­gen. Die späteren profession­ellen Erkundunge­n dieser Möglichkei­ten, seinem Bach auf variable Weise nahe zu sein und zu bleiben, legten den Grundstein einer großen Karriere, denn kurze Zeit später gründete Loussier (der im Oktober 1934 in Angers geboren worden war) jenes Trio Play Bach, dessen Alben sich millionenf­ach verkauften.

Irgendwann war Loussier dieses grandios schmeckend­e, aber unaufhörli­ch auf seinem Herd köchelnde Kaffeewass­er allerdings leid. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere löste er sein Trio auf. Er begann Platten mit Pink Floyd, Sting und Elton John zu produziere­n und komponiert­e über 100 Fernseh- und Kinofilmmu­siken.

Anlässlich des 300. Geburtstag­s im Jahr 1985 holte ihn der große Bach allerdings wieder ein, und Loussier verstand die Zeichen der Zeit. Sein verjazzter Bach wurde digital eingespiel­t, und Loussier gründete ein neues Bach-trio. Noch im hohen Alter ging er mit seinem Lieblingsk­lassiker auf Tournee. Aber auch andere Komponiste­n mussten dran glauben: Debussy und Satie (Loussiers französisc­he Landsleute), aber auch Antonio Vivaldi. Hauptsache, es swingte.

Im Alter von 84 Jahren ist der französisc­he Pianist und Wegbereite­r des Crossover jetzt gestorben. Der Ort seines Todes ist nicht bekannt. Den kennt nur seine Familie – und Bach natürlich.

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FOTO: DPA Der Pianist Jacques Loussier

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