Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Kinderschu­he auf dem Prüfstand

Als erste Stadt in NRW prüft die Stadt Wülfrath ab Montag in allen Kitas, ob die Kinder Schuhe in der richtigen Größe tragen. Befürchtet wird, dass viele Schuhe zu klein sind. Das Familienmi­nisterium begrüßt die Aktion.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/WÜLFRATH Gudula Kohn vom Wülfrather Jugendamt möchte es nicht länger hinnehmen, dass Kinder mit zu kleinen, engen oder zu großen Schuhen herumlaufe­n, nur weil sich die Eltern keine passenden Kinderschu­he leisten können. „Wir haben auf unserer Armutskonf­erenz beschlosse­n, in allen Kitas unserer Stadt die Füße der Kinder zu vermessen“, sagt sie. „Sollten wir bei manchen feststelle­n, dass die Eltern kein Geld für neue Schuhe haben, springen wir ein und stellen Schuhe zur Verfügung“, sagt sie. Kinderfüße wüchsen schnell. „Und leider haben nicht alle Familien die Mittel, alle sechs Monate neue Schuhe zu kaufen.“Kohn betont aber auch, dass mit der Aktion niemand stigmatisi­ert werden soll. „Auch Kinder reicher Eltern tragen teure Schuhe, die zu klein sind.“

Die Maßnahme, die am Montag in den Wülfrather Kitas startet und bei der die Füße von 677 Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren gemessen werden, dürfte in der Form beispiello­s sein. Jedenfalls kennt Kohn keine vergleichb­aren Aktionen in anderen Städten. Und auch beim für Kinder zuständige­n Nrw-familienmi­nisterium ist kein ähnlicher Fall bekannt. Es begrüßt die Aktion in Wülfrath.„gesunde Füße sind wichtig für die gesunde Entwicklun­g von Kindern. Hier können Kitas wichtige Unterstütz­ung leisten“, sagte eine Sprecherin des Ministeriu­ms. Da die Aktion alle Kinder der Wülfrather Kitas einbeziehe, sei keine Stigmatisi­erung zu erwarten.

Eine Umfrage des Onlineport­als „stylers.de“, einem Spezialist­en für Kleidergrö­ßen, ist im Jahr 2017 zu dem Ergebnis gekommen, dass rund 65 Prozent aller Kinder zu kleine Schuhe tragen, davon 47 Prozent eine Nummer zu klein und 18 Prozent sogar zwei Nummern zu klein. Nach Meinung von Kinderärzt­en und Orthopäden können zu kleine Schuhe schwerwieg­ende gesundheit­liche Spätfolgen wie Verformung­en und Fehlstellu­ngen zur Folge haben.

Besonders bei Kindern bis zum Alter von drei Jahren müssten die Schuhe gut passen, sagt eine Fachverkäu­ferin eines Düsseldorf­er Fachgeschä­fts für Kinderschu­he. „Die müssen an den Fuß angepasst sein mit einem kleinen Zuwachs“, erklärt sie. Aber das könnte man nicht pauschal sagen. „Grundsätzl­ich ist eine Beratung extrem wichtig. Dafür muss man sich auch Zeit nehmen. Im Internet sollte man daher eher keine Kinderschu­he für Kleinkinde­r bestellen“, sagt die Fachverkäu­ferin. Man dürfe auch nicht jeden Schuh einfach nehmen, nur weil er von der Größenanga­be her passen könnte.„es spielen auch andere Faktoren wie die Fußbreite eine Rolle.“Auch der Düsseldorf­er Kinderarzt Hermann Josef Kahl rät vom Kauf im Internet ab. „Kinderschu­he müssen unbedingt anprobiert werden“, sagt er. Und grundsätzl­ich sollten Kleinkinde­r Schuhe nur anziehen, wenn sie aus dem Haus nach draußen müssten. „In der Wohnung reichen Stoppersoc­ken völlig aus. So kann sich der Fuß am besten entwickeln.“

Das weiß auch der Düsseldorf­er Familienva­ter Christian Niehaus. Ihm und seiner Frau ist es sehr wichtig, dass ihre Tochter Marit immer passende Schuhe trägt. Alle drei bis vier Monate kauft er für die Zweieinhal­bjährige neue Schuhe. Dafür geht er in der Regel in ein Fachgeschä­ft, die Beratung ist ihm wichtig. „Der Schuh muss richtig sitzen und etwas elastisch sein“, sagt Niehaus. Für den Besuch im Fachgeschä­ft nimmt er sich auch gerne etwas Zeit. „Und das Geld dafür gebe ich auch gerne aus“, sagt er. Auch die Aktion in Wülfrath findet er gut. Das sei ein wichtiges Thema.

Edwin Ackermann, NRW-SPREcher des Berufsverb­andes der Kinder und Jugendärzt­e“hält eine Überprüfun­g wie in Wülfrath allerdings für unnötig. „Wir können nicht feststelle­n, dass Kinder vermehrt zu kleine Schuhe tragen“, sagt er. Aber wenn es so wäre, sei es naheliegen­d, dass Kinder aus ärmeren Verhältnis­sen betroffen seien. Aber auch das möchte er erst einmal mit harten Zahlen untermauer­t sehen.

Nicht nur die falsche Schuhgröße ist es, über die sich Kohn ärgert. Auch die Wahl der Schuhe sei oftmals falsch. „Im Herbst kommen Kinder mit Sandalen in die Kitas, im Sommer mit Gummistief­eln“, sagt sie. Die Messungen in den Wülfrather Kitas werden von Ehrenamtli­chen durchgefüh­rt, die von einem Orthopäden dafür geschult worden sind. Für die Überprüfun­gen müssen die Eltern eine Einverstän­dniserklär­ung unterschre­iben. Bei der Aktion soll aber der Spaß für die Kinder nicht zu kurz kommen. So müssen sie vor der Messung einen Parcours mit Geschickli­chkeitsübu­ngen durchlaufe­n. Anschließe­nd erhalten sie eine Urkunde. Und für die Eltern gibt es ein Formular mit einer Ampel. „Steht sie auf rot, sind die Schuhe zu klein“, sagt Kohn.

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FOTO: ANNE ORTHEN Die zweijährig­e Marit probiert im Düsseldorf­er Kinderschu­hgeschäft „Schuhhause“ein neues Paar Schuhe an. Ihren Eltern ist es sehr wichtig, dass die Schuhe ihrer Tochter gut passen.

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