Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Soll man die Schuldenbr­emse abschaffen?

Führende Ökonomen streiten darüber, wie sinnvoll eine Abkehr von der Begrenzung der Staatsvers­chuldung ist.

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Die Schuldenbr­emse ist ein pädagogisc­h wertvolles polit-ökonomisch­es Konzept, wenn man davon überzeugt ist, dass Parlamenta­rier nur kurzfristi­g denken können und in der Folge künftige Generation­en zwangsläuf­ig ausgebeute­t werden. Dafür wird auf die scheinbar uferlose Neuverschu­ldung in der schlechten alten Zeit verwiesen. Allerdings haben in den zurücklieg­enden 50 Jahren Regierunge­n zur Haushaltss­anierung wiederholt kräftig in die Ausgabenst­rukturen eingegriff­en. Verteilung­skonflikte wurden dabei – anders als unter der neuen Regel – nicht gescheut. Und die Konsolidie­rung der letzten zehn Jahre resultiert­e vor allem aus den niedrigen Zinsausgab­en und den beschäftig­ungsbeding­t exorbitant hohen Steuereinn­ahmen und Sozialbeit­rägen.

Aus ökonomisch­er Perspektiv­e ist die Schuldenbr­emse jedoch fragwürdig. Liegt der langfristi­ge Zins auf Staatsschu­ldtitel höher als die Zuwachsrat­e des Bruttoinla­ndsprodukt­s (BIP), kommt es zwar zu einer Umverteilu­ng zulasten der künftigen Generation. Dennoch kann es sinnvoll und geboten sein, öffentlich­e Aufgaben durch Kredit zu finanziere­n. Dann nämlich, wenn sie einen positiven Effekt auf den Wachstumsp­fad haben. Diese notwendige­n staatliche­n Investitio­nen alleinig aus dem Steuerhaus­halt zu finanziere­n, benachteil­igt die heutige Generation.

In der Ökonomik spricht man von der „goldenen Regel“, staatliche In- vestitione­n durch Kredit zu finanziere­n. Für diese Regel spricht zusätzlich, dass das Zinsniveau nicht nur außerorden­tlich niedrig ist, sondern genauso unter der BIP-ZUwachsrat­e liegt. Aufgrund der demografis­chen Alterung wird das noch lange so bleiben; die Umverteilu­ng zulasten künftiger Generation­en entfällt. Und für öffentlich­e Investitio­nen zeigen die vorhandene­n Studien einen positivenw­achstumsef­fekt.

Darauf verzichten wir derzeit in erhebliche­n Umfang, weil gebotene Investitio­nen in einer Verwendung­skonkurren­z um die Steuereinn­ahmen insbesonde­re zum riesigen – und stetig wachsenden – Sozialhaus­halt stehen. Das geht umso weniger auf, wenn die Sozialbeit­räge bei 40 Prozent gedeckelt werden sollen, zumal bei unserer demografis­chen Alterung. Zudem muss mehr für Sicherheit ausgewende­t werden. Wir sind mitten in einem technologi­schen Sprung – nur wegen der Schuldenbr­emse dürfen wir den Anschluss keinesfall­s verlieren. in Milliarden Euro

Die Schuldenbr­emse wurde im Jahr 2009 eingeführt nach der Erfahrung von fast vier Jahrzehnte­n trendmäßig steigenden Staatsschu­ldenquoten. Die Staatsschu­lden waren stärker angestiege­n als das Bruttoinla­ndsprodukt. Angesichts der demografis­chen Entwicklun­g und der durch die Finanzkris­e hinzugekom­menen hohen Finanzbeda­rfe wollten Bund und Länder die finanzpoli­tische Solidität erhalten. Seither hat die Schuldenbr­emse ihren Beitrag zum Rückgang der Staatsschu­ldenquote geleistet.

Ihre Bewährungs­probe steht jedoch noch bevor. Dies gilt weniger im konjunktur­ellen Sinne. Die Schuldenbr­emse zielt auf ein maximales strukturel­les Haushaltsd­efizit des Bundes von 0,35 Prozent ab, bei den Ländern auf den strukturel­len Haushaltsa­usgleich. Zudem sind für schwere Rezessione­n, Naturkatas­trophen und andere adverse Ereignisse, die sich der Kontrolle des Staates entziehen, mit Kanzlermeh­rheit zusätzlich­e diskretion­äre Maßnahmen möglich.

Vielmehr gilt es die Zielkonfli­kte zwischen Steuer- und Ausgabenpo­litik, zwischen unterschie­dlichen Ausgabenpr­ojekten, also Konsum- vs. Investitio­nsausgaben versus Transfers, zu lösen. Die Behauptung, die Schuldenbr­emse sei eine Investitio­nsbremse ist schlicht falsch. Der Rückgang staatliche­r Investitio­nen in Deutschlan­d datiert viel früher, zuletzt haben diese so- gar angezogen. Die Kommunen, die anteilig die meisten Investitio­nen tätigen, sind durch die Schuldenbr­emse nicht restringie­rt.

Der Verweis auf die Niedrigzin­sphase springt ebenfalls zu kurz. Einerseits haben niedrigere Zinsausgab­en zuletzt schon die Konsolidie­rung der öffentlich­en Haushalte erleichter­t und erhebliche strukturel­le Mehrausgab­en in anderen Bereichen erlaubt. Doppelt ist die Dividende, die Deutschlan­d als sicherer Hafen in der Eurozone einfährt, nicht einsetzbar. Anderersei­ts sind aktuell niedrige Zinsen kein Argument, dass dies dauerhaft so sein wird. Dies müsste aber der Fall sein, wenn sich Deutschlan­d dauerhaft höher verschulde­n wollte.

Die Prioritäte­n müssen richtig gesetzt werden. Zukunftsau­fgaben dürfen nicht gegenüber den sozialen Wohltaten zurücksteh­en. Für die Auflösung dieser Zielkonfli­kte ist die Politik zuständig. Es gibt keinen Grund, ihr diese Aufgabe mit höheren Schulden zu erleichter­n.

Höhe der Schulden des Öffentlich­en Gesamthaus­halts in Deutschlan­d

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FOTOS: DPA Lars Feld ist Professor für Wirtschaft­spolitik und Ordnungsök­onomik an der Universitä­t Freiburg und einer der fünf Wirtschaft­sweisen.
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Michael Hüther ist Direktor des arbeitgerb­ernahen Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln.

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