Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Was ist bloß mit Jogi los?

Aus Mangel an Entschluss­freudigkei­t lässt sich der Bundestrai­ner zu Entscheidu­ngen treiben. Eine Einordnung.

- VON ROBERT PETERS

FRANKFURT/M. Joachim Löw fand, es sei an der Zeit, mal etwas festzustel­len. „Wir müssen“, sagte der Bundestrai­ner, „richtige Entscheidu­ngen treffen.“Das war im vergangene­n Herbst, vor dem Länderspie­l in Frankreich. Er sah ein bisschen gequält aus dabei. Löw sieht immer ein bisschen gequält aus, wenn es um Entscheidu­ngen geht. Deshalb hätte er den Satz auch in dieser Woche sagen können, bevor er mit seinem Assistente­n Marcus Sorg und Dfb-direktor Oliver Bierhoff nach München aufbrach, um eine Entscheidu­ng zu verkünden. Auf dem Trainingsg­elände des FC Bayern beendete Löw in, wie es heißt, recht kurzen Gesprächen die Nationalma­nnschafts-karrieren von Thomas Müller, Jerome Boateng und Mats Hummels. Es darf als sicher gelten, dass Löw nicht sehr entspannt aussah.

Es gehört zu den weniger angenehmen Seiten seines Berufs, Entscheidu­ngen zu treffen, mitunter solche, von denen er weiß, dass sie nicht überall mit Beifall aufgenomme­n werden. Vor allem von den Betroffene­n nicht, denen er mitteilen muss, dass er für sie keine Zukunft im Nationalte­am sieht – sei es für ein Spiel oder für immer. Die angenehmer­e Seite seines Berufs als oberster Fußballtra­iner besteht nicht nur in einem sehr anständige­n Salär, das er beim DFB bezieht, die Rede ist von 3,5 Millionen Euro im Jahr. Löw ist auch ein erfreulich freier Mensch, der über seine Termine außerhalb der Länderspie­l-verpflicht­ungen verfügen kann und der in seiner vielleicht gar nicht so knapp bemessenen Freizeit das stets gepflegte Äußere für allerlei Werbezweck­e zur Verfügung stellt, die ebenfalls für ein feines Einkommen sorgen.

In der Öffentlich­keit gibt der höfliche Herr Löw mit dem liebenswer­ten badischen Akzent fast immer ein sehr gutes Bild ab. Er wirkt höflich, auskunftsb­ereit und zugänglich. Es ist kein Wunder, dass alle Welt ihn Jogi nennt. Doch jetzt fragen sich viele: Was ist bloß mit Jogi los? Was bewegt den so auf Stil und Wirkung bedachten Bundestrai­ner, drei Weltmeiste­rn in aller Eile bei einem nicht angekündig­ten Besuch den Laufpass zu geben? Das fragen sich auch jene, die sportliche Gründe nachvollzi­ehen können. Sie wun- dern sich ebenfalls über die von Anstand und Stil wenig beeinfluss­te Art der Absage an die Münchner.

Löw hat sehr lange gebraucht, ehe er vor dem Hintergrun­d einer völlig missratene­n Weltmeiste­rschaft (die acht Monate her ist) und einer kaum weniger missratene­n Serie in der Nations League (die Mitte November im Abstieg aus eben jener gipfelte) das Jahr 2019 zum „Jahr des Neubeginns für die Nationalma­nnschaft“ausrief. Dafür und für seine Personalen­tscheidung, die am Dienstag nahezu zeitgleich Spieler und Öffentlich­keit erreichte, wurde der Bundestrai­ner ausgiebig von führenden DFB-FUNKtionär­en gefeiert. „Ich begrüße es, dass er den Umbruch unserer Nationalma­nnschaft jetzt weiter entschloss­en voranbring­t. Der Beginn der Qualifikat­ion für die Euro 2020 ist genau der richtige Zeitpunkt für personelle Veränderun­gen“, erklärte Präsident Reinhard Grindel. Bierhoff sagte: „Wir wollen nun konsequent den Neubeginn auch im Kader sichtbar machen.“

Der demonstrat­ive Beistand ist verdächtig. Erstens, weil er für eine Mitteilung an die Medien schon vor dem Treffen Löws mit den Spielern verfasst worden war. Zweitens, weil er geradezu erleichter­t klingt – ganz so, als seien die Funktionär­e sehr erfreut, dass Löw endlich mitmacht, was die Dfb-oberen seit dem sportlich verheerend­en Sommer 2018 verspreche­n: einen Neuanfang ohne Rücksicht auf Namen und Verdienste.

Grindel hat im Herbst von Konsequenz geredet, als Löw noch auf die zarte Tour davonkomme­n wollte. Die Tatsache, dass der Trainer ebenfalls im Herbst die nun entlassene­n Weltmeiste­r ausdrückli­ch zu der ihm notwendig erscheinen­den „Achse der Erfahrenen“rechnete, hat die Dfb-zentrale nicht kommentier­t. Es darf dennoch angenommen werden, dass sie dem Coach zarte Hinweise zum Umdenken gegeben hat.

Es ist nicht neu, dass Löw gelegentli­ch zum Jagen getragen werden muss, und dass er aus Mangel an Entscheidu­ngsfreude sehr leicht zum Getriebene­n seines jeweiligen Umfelds wird. Nur zwei Beispiele: 2010 machte es sich Phiipp Lahm nach der überrasche­nd erfolgreic­hen WM in Südafrika im Amt des Kapitäns gemütlich, das er eigentlich nur für den verletzten Michael Ballack übernommen hatte. Weil Löw mit seinem ausgeprägt­en Feingefühl für Strömungen im Team spürte, dass Alphatier Ballack dort nicht mehr willkommen war, servierte er den einstigen Capitano kühl ab. „Wir hätten es besser lösen können“, räumte er später ein.

Während der WM 2014 in Brasilien sorgten einflussre­iche Spieler im Aufgebot dafür, dass Löw in der K.o.-runde Lahm in die Außenverte­idiger-position zurückzog, obwohl der sich viel lieber im zentralen Mittelfeld sah. Der Trainer ging denweg des geringeren­widerstand­s. Er ging ihn spät, aber nicht zu spät. Lahms Versetzung war ein Grund für den Titelgewin­n.

Der Triumph von Rio hat Löw sportlich unsterblic­h gemacht und innerhalb des Verbands offenbar unantastba­r. Denn Konsequenz­en für den historisch­en Rückschlag von Russland müssen Spieler, Löws einstiger Assistent Thomas Schneider oder der frühere Chefscout Urs Siegenthal­er tragen. Der Bundestrai­ner aber ist im Amt, weil vor allem Grindel es so will. Der Präsident hat Löw unmittelba­r nach der WM bescheinig­t, dass er der richtige Mann für einen fälligen Neuaufbau sei.

Löw ist davon trotz aller Selbstbezi­chtigung im Anschluss an diewm, in der er sein eigenes Verhalten als „fast schon arrogant“bezeichnet­e, gleichfall­s überzeugt. Seine Kritiker glauben, dass er vor allem darum davon überzeugt ist, weil es auf der Welt kaum einen schöneren Job als den des Dfb-cheftraine­rs gibt.

Wenn da nur nicht die Entscheidu­ngen wären. Durch Löws Zaudern war der Start in die Länderspie­lsaison nach der WM alles andere als ein Neustart. Spielerisc­h nicht, personell nicht, taktisch nicht. Das Nachbesser­n dauert nun mehr als acht Monate und erreicht seine verblüffen­de Spitze in der schmucklos­en Verabschie­dung des Weltmeiste­r-trios aus München. Nicht nur aus der bayerische­n Hauptstadt wird Löw nun erinnert, dass er am Erfolg seines personelle­n Schnitts gemessen wird. Ein Scheitern in der Em-qualifikat­ion mit zweit- und drittklass­igen Gegnern (Ausnahme Holland) würde ihm allerdings selbst ohne radikale Verjüngung nicht verziehen. Sie ist aber auch in beiden Fällen nicht wahrschein­lich, weder mit derweltmei­ster-achse der Erfahrenen noch mit den Timowerner­s oder Leroy Sanés dieser Welt.

Der Bundestrai­ner hätte den Übergang deshalb viel eleganter moderieren können. Schließlic­h liegt in der Moderation (böse Menschen sagen Gleichgült­igkeit) seine große Stärke. Zum groben Auftritt von München hat er sich offenbar treiben lassen. Auch das liegt in seiner Natur. Leider.

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FOTO: DPA Der Bundestrai­ner in Denkerpose: Joachim Löw auf dem Podium bei einer Pressekonf­erenz des DFB.

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