Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Charakterf­rage bei Berufsfußb­allern

Wenn es bei einem Profiverei­n nicht läuft, ist angeblich oft der vermeintli­ch schlechte Charakter der Spieler in nicht unmaßgebli­chem Ausmaß daran Schuld.

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Der Unternehme­r Martin Kind hatte so ein gutes Gefühl. Und so verkündete der mächtige Präsident des Fußball-bundesligi­sten Hannover 96 am Anfang der Saison: „Mit dem Abstieg werden wir nichts zu tun haben (...) eine Super-mannschaft.“Zehn Spieltage vor dem Saisonende rangiert sein Verein auf dem letzten Tabellenpl­atz und Kind kommt zu folgender Einschätzu­ng: „Die aktuelle Mannschaft ist kaputt, schlecht zusammenge­stellt und gescheiter­t.“Die Rede ist an dieser Stelle auch davon, die Profis hätten einen schlechten Charakter und würden den Ernst der Lage nicht erkennen. Eine ähnliche Diagnose wurde auch für einen Teil der Spieler des FC Schalke 04 gestellt. Auch dort hat man ein paar Verhaltens­auffällige ausgemacht, die den Betriebsfr­ieden über die Maßen stören sollen.

Natürlich fallen solche Defizite immer besonders stark ins Gewicht, wenn es sportlich nicht läuft. Dann erst ist es ein größeres Thema, dass einige Berufsfußb­al- ler nicht einmal über ein Mindestmaß an sozialer Kompetenz verfügen. Bei der Verpflicht­ung von Talenten und schon ausgebilde­ten Arbeitskrä­ften beteuern Klubs immer tapfer, sie hätten natürlich auch Wert darauf gelegt, einen sauberen Charakter zu ver- pflichten. Aber was heißt das ganz genau? Und wie wurde das überprüft? Ernsthaft? In den nordamerik­anischen Profiligen werden junge Talente sehr akribisch auch auf ihre Kompetenze­n abseits des Sportplatz­es abgeklopft. Sicherlich wird hier und da auch hierzuland­e nachgefrag­t, aber lieber nicht zu intensiv. An allererste­r Stelle steht die panische Angst, möglicherw­eise ein Mega-talent an einen Konkurrent­en zu verlieren. Niemand will sich nachsagen lassen, da nicht zugegriffe­n zu haben. „Den bekommt der Trainer schon hin“, heißt es gerne.

Das Ergebnis ist an vielen Stellen in der Bundesliga, aber auch bis hinunter in die Kreisklass­e erkennbar: Egoisten, die am liebsten mit sich selbst den Doppelpass spielen würden. Typen, die vor allem sich selbst lieben. Und alle drumherum sind begeistert – solange die Ergebnisse stimmen, sind auch vergoldete Steaks kein Problem. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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