Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Ohne Rückflugti­cket in den Krieg

Der Düsseldorf­er Kunstpalas­t würdigt in der gelungenen Ausstellun­g „Fotografin­nen an der Front“acht Frauen.

- VON KLAS LIBUDA

DÜSSELDORF Man geht nicht ohne Bedenken in den Ausstellun­gsraum, einen schwarzen, beleuchtet­en Kasten, den sie in den rundherum verdunkelt­en Museumsflü­gel gesetzt haben. Kann das gut gehen, kann man sich das ansehen oder – und das wäre schlimm – wird man sich während des Rundgangs einem Gewalt-porno aussetzen? Das sind die Fragen, die man sich so stellt, schließlic­h werden in der neuen Ausstellun­g im Düsseldorf­er Kunstpalas­t Fotografie­n aus Kriegsgebi­eten gezeigt. 140 auf einen Schlag. Bestimmt waren die Bilder einmal für die Berichters­tattung von Redaktione­n, nun müssen sie für sich stehen. „Fotografin­nen an der Front“heißt die Ausstellun­g, und, ja, es geht gut.

Gute Bilder sind die, auf denen das Auge verweilen kann, sagt Anne-marie Beckmann. Das Grauen zeigen – ja. Aber Bilder, auf denen das Blut spritzt, seien selten interessan­t. Gemeinsam mit Felicity Korn hat Beckmann die Ausstellun­g kuratiert. Acht bemerkensw­erte Fotografin­nen möchten sie in der Schau zur Kriegsberi­chterstatt­ung würdigen. Sei doch die Arbeit von Fotoreport­erinnen an der Front bislang weniger beachtet worden als die ihrer Kollegen. Jeder haben sie in der Ausstellun­g ein Kabinett zugewiesen. Man tritt also ein. Es beginnt mit Gerda Taro.

Taro, geboren als Gerta Pohorylle, hatte sich während des Spanischen Bürgerkrie­gs den republikan­ischen Kräften im Kampf gegen General Franco angeschlos­sen. Statt zu den Waffen griff die aus Leipzig nach Paris emigrierte Jüdin 1936 zur Kamera. Ihre Bilder verstand sie als Beitrag zum antifaschi­stischen Widerstand. Man sieht das den Fotos an, den anklagende­n Blicken der Menschen vorm Leichensch­auhaus in Valencia etwa.

Taro, wie auch ihr Lebensgefä­hrte, der berühmte Fotograf Robert Capa, wollte denwesten mit ihren Bildern bewegen, in den Konflikt einzugrei- fen. Capa übrigens hieß eigentlich André Friedmann und stammte aus Ungarn, und die Pseudonyme dachten sich die beiden aus, um als vermögende­r amerikanis­cher Fotograf und dessen Agentin durchzugeh­en. Viele Bilder, die Taro in der Folge machte, erschienen zunächst unter Capas Namen. Erst in den vergangene­n Jahren wurde ihr wieder mehr Aufmerksam­keit zuteil. Bekannt ist eine Aufnahme, die ebenfalls in Düsseldorf zu sehen ist. Sie zeigt eine republikan­ische Millizionä­rin kniend am Strand von Barcelona. In der Hand einen Revolver, an den Füßen Stöckelsch­uhe. Heute würde man das wohl als Zeugnis weiblicher Ermächtigu­ng begreifen. Das Bild stammt aus dem Au- gust 1936. Ein Jahr später starb Taro mit gerade 27 Jahren, als sie unter einen Panzer der Republikan­ischen Armee geriet.

Taros Bilder fanden damals reißenden Absatz, auch weil nicht viele Fotojourna­listen so nah dran waren. Sie war eine Pionierin. Im Zweiten Weltkrieg etwa waren Fotografin­nen in Pressecamp­s und an der Frontlinie nicht zugelassen. Lee Miller war damals eine von nur vier Fotojourna­listinnen, die das amerikanis­che Militär zuließ. Ab 1944 berichtete sie für die Modezeitsc­hrift „Vogue“aus dem kriegszerr­ütteten Europa. In Leipzig fotografie­rte sie 1945 die erwachsene Tochter des damaligen Bürgermeis­ters, die sie tot im Rathaus fand. Sie hatte sich ih- rerverantw­ortung durch Suizid entzogen. Für ihr Foto wählte Miller einen Ausschnitt, der die junge Frau aus nächster Nähe zeigt, als würde sie bloß schlafen. Die Fotografin, die der „Vogue“auch Texte lieferte, notierte zynisch, wie „schön“der Tod einer Deutschen sein kann.

Abenteuerl­ust, Neugier und Wagemut oder die Überzeugun­g, mit Bildern auf der richtigen Seite zu kämpfen, habe die Fotografin­nen angetriebe­n, sagen die Kuratorinn­en. Die zur Ausstellun­gseröffnun­g angereiste Fotografin Christine Spengler bemerkt, an der Frontlinie müsstest du dich nun einmal für eine Seite entscheide­n. Catherine Leroy schaffte es, auf beiden Seiten fotografie­ren zu dürfen. 1966 reis- te sie mit 21 Jahren ohne Rückflugti­cket nach Saigon, lernte erst dort ihr Handwerk und verkaufte Bilder für 15 Dollar pro Veröffentl­ichung. Man ahnt, dass der Job mehr war als ein Broterwerb. Beeindruck­end sind ihre Aufnahmen des jungen US-SAnitäters Vernon Wike von 1967, wie er sich zunächst prüfend über einen im Sterben liegenden Soldaten beugt. Auf dem nächsten Bild sieht man Wike mit verzweifel­tem Gesichtsau­sdruck. Die Schlacht scheint geschlagen.

Ob das nun weibliche Perspektiv­en auf das Kriegsgesc­hehen sind – fraglich. Fest steht hingegen wohl, dass die Fotografin­nen eher Zugang zur Zivilbevöl­kerung erhielten. Susan Meiselas, die Ende der 1970er Jahre in Nicaragua fotografie­rte, berichtete, sich als Frau zuweilen unsichtbar gefühlt zu haben, die Menschen hätten „vor Frauen keine solche Angst wie vor Männern“. Komplettie­rt wird die Ausstellun­g durch die Bilder von Françoise Demulder, Carolyn Cole und Anja Niedringha­us, der aus Höxter stammenden Fotografin, die 2014 in Afghanista­n starb. Von ihr stammen teils skurrile Aufnahmen aus den Lebenswelt­en in Kriegsgebi­eten: amerikanis­che Soldaten mit Maskottche­n im Rucksack; ein deutscher Soldat, der auf Patrouille bei Kerzensche­in allein Geburtstag feiert; ein afghanisch­er Junge, der mit Spielzeugw­affe Kettenkaru­ssell fährt. Alltag im Ausnahmezu­stand.

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FOTO: CATHERINE LEROY Us-marinesani­täter Vernon Wike neben einem sterbenden Us-marine während einer Schlacht bei Khe Sanh; Südvietnam, April bis Mai 1967.

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