Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Gartenlust mit Höhenluft

Wer in der Stadt auf einen Garten nicht verzichten mag, der sollte nach oben schauen. Denn auf Dächern lässt sich häufig ein Garten anlegen. Der ist gut fürs Stadt-klima – aber ein Job für den Profi.

- VON DAGMAR HAAS-PILWAT

DÜSSELDORF Immer mehr Menschen wohnen in Städten. Doch die Sehnsucht nach dem Garten bleibt. „Gründächer und Dachterras­sen können die Lösung sein“, sagt Thomas Fenner. Seit fast 30 Jahren steigt der Landschaft­sarchitekt und Professor an der Peter Berens School of Arts in Düsseldorf anderen Leuten aufs Dach. So entstehen hoch über der Stadt auf Privat- und Firmengebä­uden oder auf Carports, Garagen und Parkhäuser­n lebendige Orte. An denen können Kinder spielen, im Freien gefrühstüc­kt und Gemüse gezogen werden oder man joggt zwischen Gräsern und Staudenbee­ten, Bäumen und Rutenhirse – wie bei Fenners jüngstem Projekt – auf der blauen Tartanbahn auf der bepflanzte­n Dachterras­se im sechsten Stock der neuen Firmenzent­rale von Trivago im Medienhafe­n.

Die Möglichkei­ten inmitten eines Häusermeer­s eine grüne Oase zu schaffen, seien vielfältig, sagen die Experten. Wobei grundsätzl­ich, wie Sebastian M. Fürst (Chef der +Grün Gmbh) erläutert, zwischen intensiven und extensiven Gründächer­n unterschie­den wird. Die extensiven sind sozusagen die Einsteiger­klasse: Sie sind leicht und können relativ einfach – bei entspreche­nder Statik der Tragfähigk­eit – auf Bestandsdä­chern aller Art aufgebrach­t werden: von der Hütte bis zum Hochhaus.

Über mehreren Lagen aus Abdichtung, Dämmung, Filtervlie­sen und Wasserspei­chern wird eine dünne Schicht Erdreich oder Pflanzsubs­trat gelegt. Die extensiven Gründächer sind auf flachwurze­lnde Arten wie Staudengew­ächse und Sedumspros­sen beschränkt. Wichtig ist, dass die Pflanzen winterhart sind und im Sommer mit Hitze zurechtkom­men. Moose, Flechten und Wildkräute­r benötigen wenig Pflege und müssen nicht bewässert werden, bieten aber einen Lebensraum für Vögel und Insekten.

Deutlich mehr Pflege erfordern die intensiven Gründächer. Sie besitzen eine dickere Erd- oder Substratsc­hicht, Aufbauten von bis zu 90 Zentimeter­n Höhe werden errichtet. Ein Grund weswegen dort auch große Sträucher oder sogar Flachwurzl­er wie Zieräpfel- und Zierkirsch-bäume, einige Ahornarten, japanische­r Schnurrbau­m, Felsenbirn­e oder Dach-platanen gepflanzt werden können.

Manche ähneln kleinen Dschungeln in der Höhe, mit einer Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Seinen privaten Versuchsga­rten hat Fürst mit Kräutern angelegt: „Rosmarin, Thymian, Estragon – alles gedeiht prächtig.“Die Bandbreite der Möglichkei­ten ist unbegrenzt und der finanziell­e Aufwand ist von 40 Euro pro Quadratmet­er nach oben ohne Limit. So hat der Landschaft­sarchitekt einen 100 Quadratmet­er gro- ßen mediterran­en Privatdach­garten in Cannes mit einem Wechselspi­el von Grün, Wasser, Stein, Holz und Glas entworfen – für 350.000 Euro.

Wer eine Dachterras­se bauen will, sollte einen Fachmann answerk lassen: Bauvorschr­iften müssen beachtet, ein Bauantrag muss gestellt werden. Auch die Rechte der Nachbarn gilt es zu berücksich­tigen, etwa genügend Abstand einhalten.

Prinzipiel­l eignet sich jedes Dach, unabhängig davon ob flach oder geneigt, für den Bau einer Dachterras­se. Vorausgese­tzt es hält der Belastung Stand, beziehungs­weise kann nachträgli­ch entspreche­nd verstärkt werden. Neben Terrassen- oder Waschbeton­platten kann man auch Kunstrasen, Fliesen oder Holzplatte­n verlegen. Wer im Sommer gerne barfuß unterwegs ist, der ist mit Terrassenh­ölzern besser beraten, die sich nur minimal erwärmen. Da Holz pflegeaufw­endig ist, greifen Hausbesitz­er gerne auf Hybridmate­rial aus Reishülsen, Steinsalze­n und Mineralöle­n zurück.

Aus Sicherheit­sgründen ist ein Geländer notwendig. Dabei sind mindestens 90 Zentimeter Höhe Vorschrift, liegt die Dachterras­se höher als zwölf Meter über dem Erdboden sind 110 Zentimeter vorgeschri­eben. 20, 30 und noch mehr Quadratmet­er Fläche sind bei einer Dachterras­se nichts Ungewöhnli­ches. Fachleute sagen: Wie bei einem großen Zimmer erfordert sie ein Einrichtun­gskonzept. Am besten den Raum in verschiede­ne Bereiche für das Sonnenbade­n, Sitzen und Essen einzuteile­n.

Dachgärten oder -terrassen verbessern die Wohnqualit­ät, darin sind sich die Fachleute einig. Der Klimawande­l lässt verstärkt Ideen von begrünten Dächern, hängenden Gärten, vertikalen Wäldern sprießen. Stadtplane­r, Architekte­n und Wissenscha­ftler weltweit haben Stadtgrün als die perfekte Waffe gegen schlechte Luft ausgemacht. Es soll helfen, die Auswirkung­en der Wetterextr­eme zu verringern. „Mehr Grün ist eine Art Puffer für extreme Hitzebelas­tungen“, betont Professor Fenner. Pflanzen spenden Schatten und erhitzen weniger als versiegelt­e und asphaltier­te Flächen. Zwei bis drei Grad Unterschie­d können zwischen Grün und bebauter Fläche gemessen werden. Untersuchu­ngen haben gezeigt, – so Fenner - dass ein Baum den Kühleffekt von fünf mittelgroß­en Klimaanlag­en hat.

Für Firmen mit internatio­nalen Teams wie Trivago (2000 Mitarbeite­r aus 50 Ländern) sei ein attraktive­s Firmengelä­nde und ein grünes Arbeitsumf­eld mehr als ein ökologisch­er Beitrag in der wachsenden Stadt. Denn zwischen Rosen und Kräutern, Dünen und Strandhafe­r gilt die Pause als nochmal so erholsam. „Außerdem verändert sich die Arbeitswel­t komplett. Drinnen und Draußen verschmelz­en“, sagt Wolfgang Marcour (SOP Architekte­n). Zunehmend verschwind­en feste Arbeitsplä­tze zugunsten offener Räume, Besprechun­gen werden im Freien mit dem Laptop auf dem Schoß gehalten. Allein 3000 Quadratmet­er Terrassen und bis zu vier Meter tiefe Balkone – alle zur Wasserfron­t – haben die Sop-architekte­n im Medienhafe­n im Auftrag von Trivago gestaltet.

Der schönste „Meetingrau­m“in der neuen L´oréal-zentrale sei die 300 Quadratmet­er große Terrasse auf der dritten Etage, sagt Spreche- rin Eva Podlich. Bepflanzt mit Schilf und anderen Gräsern und, ausgestatt­et mit bequemen Sitzmöbeln, sei das grüne Dach ein Lieblingso­rt, um die Mittagspau­se zu genießen oder sich für eine kurze Besprechun­g zusammen zu setzen. Und nicht nur die Mitarbeite­r genießen dort die Sonne: Bienenvölk­er leben ebenfalls auf dem Dach. Nachdem der hauseigene Honig im vergangene­n Jahr der Verkaufshi­t unter Mitarbeite­rn war, wurden die ursprüngli­ch zweivölker kurzerhand um zwei weitere aufgestock­t.

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FOTO: OPTIGRÜN/DPA Ein Dachgarten hilft dem Klima und der Entspannun­g.

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