Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
SAMSTAG, 9. MÄRZ 2019
Die Kanareninsel La Gomera ist ein Paradies für Wanderer. Im Norden gibt es Märchenwälder, im Süden Sonne und Palmen.
Am Anfang ist alles gut. Fester Händedruck, langes schwarzgraues Haar und wache, lebensbejahende Augen: Marina Seiwert wirkt ungefährlich. Auf fünf Tagestouren möchte die Wanderführerin der kleinen Gruppe ihre Wahlheimat La Gomera näherbringen. Außerdem scheint die Sonne. Aber Achtung: Wer auf dem platten Land in Niedersachsen aufgewachsen ist und als Kind unter der wanderwütigen Verwandtschaft im Glottertal gelitten hat, ist beim Anblick von lächelnden Wanderguides mit Rucksack und ausgefahrenen Wanderstöcken von Natur aus skeptisch.
„Der Wald öffnet die Herzen“, sagt sie, geht voran und verschwindet im dichten Lorbeerwald. Hier bei Las Creces, ganz im Westen des Nationalparks Garajonay, wird der Wanderer von einer Urzeitvegetation verschluckt. Vor 30 Millionen Jahren sah es in Südeuropa verbreitet so aus, jetzt gibt es diesen prähistorischen Wald nur noch auf den Azoren, auf Madeira und hier. Lorbeerbäume, Heidebäume, Stechpalmen, Gagelbäume und der Riesenfarn Woodwardia, dazu rund 150 endemische Tierarten, darunter Fledermäuse, Buchfinken und Lorbeertauben. Der größte zusammenhängende Lorbeerwald Europas bedeckt mehr als zehn Prozent der Fläche der kleinen Kanareninsel und ist seit 1986 Unesco-weltnaturerbe. Große Teile des Nationalparks dürfen nicht betreten werden und sind bis heute unberührt.
Plötzlich stehen wir in einer Wolke. Moose wachsen an den Bäumen, Wassertropfen wachsen an den Moosen und glitzern wie Diamanten. Bartflechten und Moose saugen die Feuchtigkeit aus dem Nebel, den der Nordostpassat hier einlädt. In dieser Urzeitkulisse vermutet derwanderer hinter jedem knorrigen Baumstamm Feen, Elfen und Kobolde. Besonders beeindruckend ist dieser immergrüne Dschungel zwischen Los Roques und El Cedro in der Mitte der Insel, wo der Duft von Nadelbäumen und Zitronenthymian intensiv in der Luft hängt. Und am Aussichtspunkt Mirador de los Roques ist ein Naturschauspiel zu beobachten, das das Klima und die so unterschiedlichevegetation La Gomeras erklärt: Von rechts drückt der Nordostpassat dichte Wolken über die Berge, die auf dem Bergrücken herunterfallen und augenblicklich in der Sonne wegbrutzeln.
So feucht der Norden, so trocken der Süden.vom winzigen Örtchen Las Toscas aus geht es zunächst gut drei Kilometer leicht bergab nach Benchijigua. Palmen statt Heide, Wolfsmilchbüsche statt Far- ne, Kakteen statt Kobolde und Sonne statt Wolken. Kurz hinter dem malerischen Örtchen Benchijigua mit seinen sechs weißen Häusern, die heute nur noch als Ferienhäuser dienen, fährt Marina Seiwert mit einem Ruck die Wanderstöcke aus und zeigt nach oben. Ich bekomme Angst. Dann geht es steil bergauf. Der Atem wird schneller, der Herzschlag intensiver, Schweiß klebt an den Beinen. Der Ungeübte muss auf jeden Schritt achten, Sei- wert nicht. Sie kennt die Pfade, jeden Stein, jeden Kaktus. Seit 1998 ist die gebürtige Saarländerin auf La Gomera zu Hause und als Wanderguide unterwegs. Immer dabei: Mischlingshündin Calima.
Endlich oben! Auf dem Berggrat entschädigt ein fantastischer Rundumblick für die Plackerei und man spürt, dass man lebt. Auf der anderen Seite des Tals leuchten die Häuser des Örtchens Imada in der Sonne. Während die Wander- gruppe aus dem letzten Loch pfeift, pfeift Marina Seiwert „El Silbo“. Die Pfeifsprache hatten die Gomeros entwickelt, um Botschaften über Schluchten hinweg von Dorf zu Dorf weiterzugeben. Seit 2009 ist Silbo Gomero Weltkulturerbe der Unesco.
In Hermigua ist alles Banane. Ein Marsch durch das lang gezogene Dorf im Norden La Gomeras führt immer am Fluss El Cedro entlang durch zahlreiche Bananenplantagen. Die Wanderung über Lepe nach Agulo ist nicht nur wegen der Bananen erwähnenswert, sondern weil der geneigte Wanderer je nach Jahreszeit ein wahres Früchteparadies durchschreitet. In Lepe finden sich Mangobäume und Sternfrüchte am Wegesrand, außerdem Maracujas und Orangen. In den Gärten unterhalb des malerischen Ortes Agulo wachsen Exoten wie Birnenmelonen, Erdbeerguaven und viele mehr. Und traumhafte Ausblicke aufs tiefblaue Meer gibt’s gratis dazu. Am Ende ist alles gut. Diese Recherchereise wurde vom Spezialreiseveranstalter Mitoura unterstützt.