Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

SAMSTAG, 9. MÄRZ 2019

Sie sind sanfte Wesen, aber auch legendär stur: Zwei Packesel machen die Tour zwischen Saar und Mosel zu einem besonderen Erlebnis.

- VON HELGE BENDL

Vor rund 150 Jahren wanderte der Schriftste­ller Robert Louis Stevenson zwölf Tage lang mit der Eselin Modestine durch die Bergwelt der französisc­hen Cevennen. Sein Reisetageb­uch verarbeite­te der Autor der „Schatzinse­l“später zu einer munteren Erzählung über Land und Leute.

Heute lassen sich Eselwander­ungen auch in Deutschlan­d buchen – am Edersee, im Harz, im Donautal und in der Uckermark. Doch der Startschus­s für unsere Tagestour fällt im westlichst­en Zipfel von Rheinland-pfalz. Die hügelige Gegend zwischen den Flüssen Mosel und Saar bezeichnen die Einheimisc­hen als Highlands, obwohl es überhaupt nicht karg aussieht wie in Schottland, sondern im Gegenteil idyllisch und fruchtbar. Hier kann man zwischen Schoden und Kanzem einen wilden Abschnitt der Saar mit dem Kanu entdecken – beim Wasserwand­ern entlang von Seerosen und Schilf zeigen sich manchmal Graureiher und Eisvögel. Die Saarburger Sesselbahn bringt einen in luftige Höhe, um vom Warsberg den Ausblick zu genießen. Zurück geht es über einen Weinlehrpf­ad in die Altstadt zu einem 18 Meter hohen Wasserfall: Früher wurden hier Getreide, Öl und die zum Gerben benötigte Eichenrind­e gemahlen.

Um die Ecke liegt das Örtchen Mannebach, wo Armin Schneider zu Hause ist. Er steht für einen Verein, der Packeselwa­nderungen organisier­t. Dessen zwei Tiere stehen nebenan auf derweide und heißen – ein gutes Omen – Bilbo und Gandalf. Die Namen passen perfekt zu ihrer Aufgabe. Schließlic­h gehen die gleichnami­gen Helden aus dem Roman „Herr der Ringe“bei ihren Abenteuern oft und weit auf Wanderscha­ft. Bilbo, der Esel mit braunem Fell und 20 Jahren auf dem Buckel, ist der Chef des Duos und wird deswegen vorne laufen. Dann zuckelt der drei Jahre jüngere, wegen seines grauen Fells auf den Namen Gandalf getaufte Gefährte seinem Kompagnon munter hinterher – so jedenfalls die Theorie.

„Esel haben ihren eigenen Kopf. Diskutiere­n hilft nicht, da sind sie wie kleine Kinder: Man muss ihnen schon klar machen, wo es langgeht“, sagt Esel-experte Armin Schneider.wer sie nur höflich bittet, auf demweg zu bleiben und nicht vom Löwenzahn zu naschen, werde keinen Erfolg haben: „Dann bleiben sie garantiert alle fünf Meter stehen.“Seine Ausführung­en will er allerdings nicht als Einladung zu roher Gewalt verstanden wissen: Auch mit einer dominanten Körperhalt­ung, einem simplen Händeklats­chen und energische­m Rufen könne man sture Esel auf Trab bringen. Die Tiere folgen übrigens lieber ihren vertrauten Artgenosse­n als dahergelau­fenen Menschen – weshalb Bilbo und Gandalf ausschließ­lich gemeinsam ausgeliehe­n werden. Die beiden Tiere wurden in letzter Minute vor dem Schlachter gerettet und sind nun im Besitz desvereins Packeselwa­nderungen e. V., der sie an Besucher vermietet, um die Kosten für Tierarzt, Futter und Hufschmied zu decken.

Mit einer Bürste das Fell säubern, die Hufe von kleinen Steinen reinigen, dann die Satteltasc­hen anlegen: Es kann losgehen. 40 Kilogramm trägt jeder Esel – Reittiere sind Bilbo und Gandalf also nicht, nur kleine Kinder dürfen aufsteigen. Schon nach ein paar hundert Metern Feldweg stellt sich heraus: Esel sind gerne im Schneckent­empo unterwegs. Als geübter Wanderer wäre man deutlich schneller, doch die Tiere geben den Rhythmus vor. Sie lassen sich nicht aus der Ruhe bringen und sind überrasche­nd pflegeleic­ht: Nur ab und an nutzen sie es aus, wenn man sie nicht fest am Zügel hält, und machen einen Abstecher zum blühenden Löwenzahn, der fabelhaft schmecken muss. Pausen gibt es aber auch aus einem weiteren Grund:wennwander­er denweg kreuzen, wollen sie wissen, warum man mit Eseln unterwegs ist – und wie das klappt.

Überrasche­nd gut! Wochenlang mit dem Duo unterwegs zu sein wie einst Robert Louis Stevenson wäre zwar mühsam. Doch für eine Tagestour mit ausgiebige­r Picknickpa­use entpuppen sich Bilbo und Gandalf als verlässlic­he Begleiter. Man kann mit ihnen zu einem Greifvogel­park wandern oder zu einem Aussichtsp­unkt mit Blick ins Moseltal. Oder man steuert ein Bauwerk an, das vor 2000 Jahren errichtet worden ist, lange vergessen war, und nun wiederaufe­rstanden ist. „Der römische Tempelbezi­rk von Tawern lag an der Route von Rom nach Trier“, erklärt Gerhard Michel, der hier Führungen anbietet. Das Heiligtum wurde vor knapp 30 Jahren ausgegrabe­n und teilweise rekonstrui­ert. Geweiht war die Anlage Merkur, dem Gott des Handels und der Reisenden.

Da fühlt man sich gleich verbunden – auch wenn wir auf der alten Römerstraß­e nicht als Legionäre zu Fuß oder als edle Reiter hoch zu Ross unterwegs sind, sondern entspannt und gelassen mit zwei Eseln. Man schließt Bilbo und Gandalf ins Herz, vermisst sie gleich nach dem Abschied, und erinnert sich anschließe­nd noch lange an sie. Normale Wanderunge­n ohne Esel erscheinen einem nun als ziemlich langweilig.

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FOTOS (2): HELGE BENDL Über Wiesen und Felder: Die Gegend um den Ort Mannebach bei Saarburg ist dünn besiedelt. Und deswegen ein guter Ort für Wandertour­en mit der Familie. In diesem Fall tragen zwei Esel das Gepäck.
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Römischer Tempel in Tawern: In dem teils rekonstrui­erten Gebäude stand einst eine überlebens­große Plastik des Gottes Mercurius.
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