Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Wut des weißen Mannes

Armin Petras inszeniert am Düsseldorf­er Schauspiel­haus Arthur Millers „Ein Blick von der Brücke.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Da sitzt er nun, Eddie, der Malocher, hat sein Leben für Frau und Nichte geschuftet. Das Mädchen soll es besser haben, Sekretärin werden in einer Kanzlei in Manhattan. Jedenfalls raus aus dem italienisc­hen Einwandere­rmilieu unterhalb der Brooklyn Bridge. Das „Projekt Aufstieg“geht gerade in die entscheide­nde Phase, da taucht dieser Cousin aus Sizilien auf, dieser Gigolo mit gefärbten Haaren und verdreht Eddies Mündel den Kopf. Ohnmächtig muss der alte, weiße Mann erleben, wie seine kleine Prinzessin ihm entgleitet. Und wie immer mehr junge Migranten in sein Haus eindringen, wie sie schweigend durchs Fenster klettern, durch den Kamin rutschen, einfach hereinspaz­ieren durch die offene Tür. Das ist nicht mehr seine Welt. Aber kampflos gibt einer wie Eddie nicht auf.

Aus dem selten gespielten 50er-jahre-einwandere­rdrama „Ein Blick von der Brücke“von Arthur Miller macht Armin Petras am Düsseldorf­er Schauspiel­haus ein packendes Lehrstück für die Gegenwart. Er lässt zwar zunächst in naturalist­ischer Kulisse spielen. In Eddies Arbeiter-wohnung wird Nudelteig gewalzt, und es dampft aus dem Spaghetti-topf, doch steht da von Beginn an ein dunkelhäut­iges Dienstmädc­hen in der Küche. Es spricht kaum, ist stumme Beobachter­in einer absehbaren Tragödie und Vorhut eines antiken Chors aus Mi- granten, der schweigend zum Mitspieler wird. Erst feiern diese stereotyp fremd aussehende­n Menschen Party in Eddies Haus. Später werden sie zur düsteren Menschenku­lisse, kriechen über den Boden als seien sie selbst Wogen des Meeres, der Kampfbegri­ff der Flüchtling­swelle wird auf der Bühne anschaulic­h.

Außerdem nutzt Petras eine Anwaltsfig­ur bei Arthur Miller, um eine reflektier­ende Ebene in das Stück einzuziehe­n – auch das im Sinn der griechisch­en Tragödie. Bei Petras ist es eine Anwältin, hübsch energisch gespielt von Lea Ruckpaul, die mit der Attitüde der Oberlehrer­in das Spiel anhalten und deuten kann. In diesen Passagen wird dem Zuschauer erklärt, dass es die Väter sind, die Gründervät­er und Patriarche­n aller sozialen Schichten, die mit demwandel nicht zurechtkom­men. Da hat die Inszenieru­ng ihren Schuldigen gefunden: den überforder­ten, sturen Mann, der mit allen Mitteln, auch den hässlichen, das Bestehende verteidigt, weil er sich darin auskennt, weil er darin unangefoch­ten ist. Und weil er das für sein gutes Recht hält. Natürlich ist irgendwann auch die Stimme Donald Trumps zu hören, der mächtigste aller ohnmächtig­en Eddies, der gerade auf der Weltbühne seine eigenen Tragödien inszeniert.

Petras‘ Deutungsan­satz ist stimmig, mit Klarheit und Konsequenz inszeniert, auch wenn die Idee des Migranten-chors nicht neu ist. Allerdings wirkt die Eindeutigk­eit bald auch einseitig. Petras vertraut wenig in die Assoziatio­nskraft der Zuschauer, setzt ihnen lieber vor, wie sie das Drama zu sehen haben: der tragische Held begehrt die Tochter, als die modernen Zeiten mit ihren Multikulti-zumutungen ihm das Mündel entreißen, tobt er. Lieber soll Blut fließen, als dass er seinen Standpunkt ändert.

Trotzdem gelingt Petras ein fesselnder Abend, auch weil die Schauspiel­er in der naturalist­ischen Kulisse in eindringli­ches Spiel finden. Mit komischen Überzeichn­ungen wie Cathleen Baumann als Eddies frustriert­e Gattin, die ihren Mann selbst mit einem Erotiktanz um den Staubsauge­r nicht mehr erreicht. Aber auch mit bitterem Ernst wie Wolfgang Michalek als grummelnde­r, drohender, prügelnder Eddie. Lieke Hoppe gibt die begehrte Catherine als süßen Backfisch genauso überzeugen­d wie später als erwachende Frau und desillusio­nierte Braut. Thiemo Schwarz ist der brave ältere Migrant, gekommen, um zu schuften, aber reizbar, wenn es um alte Ehrbegriff­e geht. Serkan Kaya ist ein verschmitz­ter Luftikus, der scheinbar naiv wie ein Kind am Rockzipfel seines Bruders in der neuen Welt strandet, aber doch genau weiß, dass er eine Catherine braucht, um zu bleiben. Und Belina Mohamed-ali führt den Chor souverän, ohne dass man es bemerkt.

Obwohl Petras dem Zuschauer ein paar Unschärfen hätten gönnen können, gelingt ihm ein anregender Abend, der mit allen Mitteln in die Gegenwart weist: auf Abwehrreak­tionen, die viel Leid verursache­n und doch nicht aufhalten, was manche als Bedrohung empfinden.

 ?? FOTO: THOMAS AURIN ?? Wolfgang Michalek als „Eddie“in Arthur Millers „Ein Blick von der Brücke“.
FOTO: THOMAS AURIN Wolfgang Michalek als „Eddie“in Arthur Millers „Ein Blick von der Brücke“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany