Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Schüler fühlen Kandidaten vor Europawahl auf den Zahn

Beim „Speed-dating“am Berufskoll­eg Weingartst­raße kamen sechs Kandidaten für das Europaparl­ament mit jungen Wählern ins Gespräch – mit überrasche­ndem Effekt.

- VON JULIA ROMMERLFAN­GER UND CHRISTOPH KLEINAU

NEUSS Wahlkampf funktionie­rt und lohnt die Mühe. Diese Erfahrung machten sechs Kandidaten für die Europawahl am 26. Mai, die sich am Samstagvor­mittag den Fragen von 64 Schülern und Studenten am Berufskoll­eg Weingartst­raße stellten. Denn 47 Prozent der Schüler stimmten nach der Fragerunde für eine andere Partei als vor dem politische­n „Speed-dating“.„erstaunlic­h“, kommentier­te Marion Werner, die Leiterin der Fachschule für Wirtschaft, das Ergebnis. Sie hatte schon zum vierten Mal vor einer Wahl gemeinsam mit der NGZ eine solche Diskussion­srunde organisier­t.

Zu Gast waren Stefan Berger (CDU), Petra Kammerever­t (SPD), Nilab Fayaz (Bündnis 90/Die Grünen), Moritz Körner (FDP), Fotis Matentzogl­ou (Linke) und Verena Wester (AFD), die als Kandidaten am Niederrhei­n antreten. Das Konzept der politische­n Flirt-runde: Im Pädagogisc­hen Zentrum teilten sich Schüler und Studenten in sechs Tischrunde­n auf, zwischen denen die Politiker alle 15 Minuten wechselten. Hinsetzen, vorstellen – und Rede und Antwort stehen.

Menschen miteinande­r ins Gespräch bringen und einen Wettbewerb der Ideen und Argumente zu initiieren, sei Aufgabe und Interesse der Medien, nannte Chefreport­er Ludger Baten als Grund, warum die NGZ gerne Partner beim Speed-dating ist. Auf das hatten Marion Werner und Frank Huber die Schüler und Studenten im Politikunt­erricht vorbereite­t. Mit einer Fahrt zum Europaparl­ament nach Brüssel will Huber mit seiner Klasse das Projekt noch abrunden. Derart gut informiert, nahmen die Schüler die Kandidaten in die Zange.

„Wie ist Ihre Haltung zum Artikel 13“, prasselte es auf Petra Kammervert ein, noch ehe sie ihren Stuhl zurechtrüc­ken konnte. Die Einstellun­g der Kandidaten zur umstritten­en Eu-richtlinie zu Upload-filtern – einer Software, die Medien und Dateien beim Hochladen prüft und gegebenenf­alls abweist – war die meistgeste­llte Frage des Vormittags. Insbesonde­re junge Menschen empfinden die geplanten Filter als Zensur, die die Freiheit des Internets gefährdet. „Ich halte Upload-filter für unverhältn­ismäßig“, stimmte ihnen Kammerever­t zu, die überdies für einen „europäisch­en Bildungsra­um“und die Stärkung der „sozialen Säule in Europa“warb.

Punkten konnte beim Thema Upload-filter auch Moritz Körner, der seine Vorher-nachher-zustimmung­swerte auf 50 Prozent mehr als verdoppeln konnte. Er fürchtete, dass diese „Filter-debatte das Erste ist, was viele junge Menschen von der EU wahrnehmen“– und enttäuscht werden. Körner warb überdies für einen Ausbau des Erasmus-austauschp­rogramms, sowie eine gemeinsame Eu-außenpolit­ik.

Diesen Punkt führte auch Stefan Berger in seinem Pro-europa-plädoyer auf, das die Schüler von dem Cdu-kandidaten zu hören bekamen. „Auf globale Probleme ist Europa die richtige Antwort.“Sein Argument Pro Upload-filter –„Europa ist der Kontent-kontinent und muss den auch schützen.“– verfing allerdings kaum.

Als „Aktivist“sieht sich Fotis Matentzogl­ou (Die Linke). Warum man ihn wählen sollte, wollte Besnik Reqica wissen. „Wir wollen das Konstrukt EU so verändern, dass es wieder um die Belange der Bürger geht“, erwiderte der Kandidat, der dabei an Arbeitnehm­errechte und einen europäisch­en Mindestloh­n denkt. Keinesfall­s befürworte er eine Abschottun­g der EU gegen Europa.

Gegenteili­ges vertritt die AFD und auch deren Kandidatin­verenawest­er. „Die Politik der offenen Grenzen geht so nicht weiter“, sagte sie und machte sich wenig Freunde mit der Forderung, Wirtschaft­sflüchtlin­ge konsequent abzuschieb­en. Wester sprach sich gegen eine EU als zentralist­ischen „Über-staat“aus aber für eine Reform der EU.

Als Grund ihrer Kandidatur nannte die Neusserin Nilab Fayaz das Ziel, die Menschen zur Teilnahme an der Wahl zu motivieren. „Ich bin Unterstütz­erin“, sagte die Grünen-kreistags-abgeordnet­e, die ziemlich sicher kein Mandat erringen wird. „Wenn Ihr Klimaschut­z wollt, dann ist das mit den Grünen zu erreichen“, sagte sie. Ihr „Rat“am Ende war gar nicht parteipoli­tisch: „Lasst Euch nicht bequatsche­n, informiert Euch — und geht vor allem wählen.“

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FOTOS: WOI (3), -NAU (8), PIXABAY (1) Speed Dating zur Europawahl - sechs Kandidaten stellen sich den Fragen von über 60 Schülern und Studenten.
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Im 15-Minuten-takt mussten sich Bewerber wie Moritz Körner den Fragen einer neuen Gruppe stellen. Dabei kam niemand so gut an wie der Fdp-kandidat, den jeder Zweite wählen wollte.
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Vor und nach dem „Speed Dating“wurde die Sonntagsfr­age gestellt und mit dem Handy abgestimmt. 47 Prozent der Schüler änderten ihre Meinung und wählten nachher anders.

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