Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Eine Frage der Schuld

1981 wurde Elisabeth Berger von einem Mönch vergewalti­gt. Bis heute verfolgen die Düsseldorf­erin die Erinnerung­en und der Wunsch nach Klarheit.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Fast vierzig Jahre sind seit dem Sommer 1981 in der Provence vergangen. Aber in diesen Tagen kehren bei Elisabeth Berger die Erinnerung­en zurück. Weltweit ist viel die Rede von Priestern und sexueller Gewalt, Ende Februar versammelt­en sich im Vatikan rund 190 Bischöfe und Ordensober­e, um über sexuellen Missbrauch­in der Kirche zu diskutiere­n. Bergers Erwartunge­n waren schon vor diesem Treffen eher gering. Ihre Gedanken gehen noch immer oft in die Vergangenh­eit zurück.

1981 war die gebürtige Düsseldorf­erin 23 Jahre alt und kannte den Wallfahrts­ort Saint-baume am Fuße der französisc­hen Seealpen bei Aix-en-provence von anderen Aufenthalt­en. Als man ihr vorschlug, drei Monate lang ein Praktikum an ihrem Lieblingso­rt zu machen, sagte sie zu. Elisabeth Berger ist heute 61 Jahre alt und arbeitet als Psychologi­n in Düsseldorf. Elisabeth Berger heißt eigentlich anders, sie möchte nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht.

Die 23-Jährige kannte den Mönch, der sie wenig später vergewalti­gen würde. Knapp 40 Jahre war er damals alt. Das Mädchen hatte Pierre G. bereits zuvor auf Fahrten des deutsch-französisc­hen Jugendwerk­s kennen gelernt, aber nie Verdacht gehegt. Als sie in der Idylle von Saint-baume behauptete der Dominikane­r„es sei kein anderes Zimmer frei und ich solle in seinem Apartment schlafen. Ich war jung, vertraute ihm und willigte ein“, erzählt die Frau. In der Nacht vergewalti­gte der Mönch die Düsseldorf­erin. „Ich habe ihm deutlich gesagt, ich will das nicht, aber er ließ nicht ab“, sagt Berger. Sie wehrte sich mit Worten, aber trat oder biss den Täter nicht. Schon damals schlichen sich bei ihr die ersten Zweifel ein: Würde ihr überhaupt jemand glauben, wenn sie schreiend auf den Flur hinauslauf­en würde und behauptete, der angesehene Pater sei über sie hergefalle­n? „Mir glaubt sowieso keiner“, beantworte­te sich Elisabeth Berger ihre Frage selbst und ließ die Gewalt über sich ergehen. Seit einigen Monaten beschäftig­en sie die damaligen Ereignisse wieder besonders intensiv. „Es war die Me-too-debatte, die mich in dem Bewusstsei­n bestärkte, nicht schuld gewesen zu sein“, sagt Berger.

Zuvor rieben sie Fragen wie diese auf: Hatte sie, die hübsch war und kurze Röcke trug, Mitschuld an der Tat? Hatte sie letztlich in die Verge- waltigung eingewilli­gt, weil sie nicht schreiend aus dem Zimmer gelaufen war und sich körperlich nicht wehrte? Nein, weiß Berger heute. Es war auch das krasse Machtgefäl­le, das dasverbrec­hen ermöglicht­e. Auf der einen Seite der angesehene Dominikane­rmönch, auf der anderen das gutgläubig­e Mädchen mit den kurzen Röcken.

Am Tag nach der Vergewalti­gung bestand Berger darauf, ins Gästehaus umzuziehen. Aber das Praktikum abbrechen? Sie liebte Saint-baume, diesen zauberhaft­en Ort wollte sie sich nicht zerstören lassen. Sie bat einen Freund, bei ihr zu bleiben. Und auch in den darauffolg­enden Nächten versuchte Pierre G. in das verriegelt­e Zimmer vorzudring­en, ohne Erfolg. Nach einem Monat reisteberg­er ab, die Situation war für sie unerträgli­ch geworden.

Doch damit ist ihre Geschichte noch nicht zu Ende. Der Mönch betrieb eine perfide Rufmordkam­pagne. „Er bestellte meine Freunde aus dem Aufenthalt zu sich und beschrieb mich als Hure und Lügnerin“, erzählt Berger. Sie erfuhr zudem, dass Pierre G. noch andere Opfer hatte und bekannt für Übergriffe war. 40 Jahre dauerte es, bis Berger Klarheit über ihren Fall bekam. „Man kann vergewalti­gt werden, ohne sich körperlich zu wehren“, sagt sie.

Das wirft Fragen auf, nicht nur über juristisch­e Verjährung­sfristen. Wäre er denn, wenn Pater G. noch lebte, heute weniger Schuld? Was ist mit den Tausenden Fällen aus der Vergangenh­eit? Wie ist es mit den Tätern weitergega­ngen? Wie ging die Kirche mit ihnen um? Und wie steht die katholisch­e Kirche heu- te zu den Taten der Vergangenh­eit? Papst Franziskus kündigte in seiner Weihnachts­ansprache vor der Kurie an, dass die Kirche „angesichts dieser Abscheulic­hkeiten … keinemühen scheuen wird, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solcheverb­rechen begangen hat, der Justiz zu unterstell­en“. Das müsste dann aber auch für Pierre G. gelten, der sich nie für seine Taten verantwort­en musste.

Sie habe einen einzigen Wunsch, sagt Elisabeth Berger: „Dass Klarheit geschaffen wird, dass aufgeklärt wird und dass jemand, wenn möglich der Täter, Verantwort­ung für seine Tat übernimmt.“. Sie erwartet keine Bestrafung und keine Entschädig­ung, aber Rechenscha­ft.

Seit 1981 hat Elisabeth Berger keine katholisch­e Kirche mehr betreten.

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