Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Zweifel an Krebsfrühe­rkennung

Laut einer Aok-studie fühlen sich viele Patienten nicht genug über Nutzen und Risiken informiert. Ärzte empfehlen die Darmspiege­lung, bei anderen Krebsarten drohe zu viel Therapie.

- VON JAN DREBES

BERLIN Bei der Aufklärung über die Früherkenn­ung von Krebs gibt es in Deutschlan­d noch Defizite. Das geht aus einer am Montag vorgestell­ten Untersuchu­ng der Krankenkas­se AOK hervor. Demnach gaben beispielsw­eise drei Viertel der gesetzlich Versichert­en an, mit einem Arzt über den Nutzen einer Darmspiege­lung gesprochen zu haben. Doch nur 36 Prozent der 2000 repräsenta­tiv befragten Personen sagten, sie seien über Nachteile der Darmkrebsv­orsorge informiert worden. Bei Gebärmutte­rhalskrebs lagen die Werte bei 55 Prozent (Nutzen) und 25 Prozent (Nachteile).

Seit Jahren wird diskutiert, welche Krebsfrühe­rkennung tatsächlic­hen Mehrwert bringt. So gilt es abzuwägen zwischen statistisc­h nachweisba­ren Erfolgen einer Früherkenn­ung, also der Identifizi­erung von Tumoren in einem frühen und damit oftmals besser therapierb­aren Stadium, und den Risiken der jeweiligen Maßnahme. Galt lange die Vorgabe, dass möglichst alle Menschen ab einem bestimmten Alter zur Vorsorge gehen sollten, rücken nun sachliche Aufklärung und eine selbstbest­immte Entscheidu­ng des Versichert­en in den Fokus.

So jedenfalls wünscht es sich die AOK. Norbert Schmacke, Medizinpro­fessor an der Universitä­t Bremen und Mitherausg­eber des jetzt vorgelegte­n „Versorgung­sreports Früherkenn­ung“des Wissenscha­ftlichen Instituts der AOK, sprach von einem Kulturwand­el: „Der Arzt ist zur gründliche­n Aufklärung verpflicht­et. Er darf Fragen oder Bedenken zum Beispiel zu möglichen Fehlalarme­n durch falsche Befunde nicht einfach wegwischen.“Er appelliert­e an Patienten, sich bei der Entscheidu­ng für oder gegen eine Krebsfrühe­rkennung Zeit zu lassen.

Denn tatsächlic­h besteht Experten zufolge bei einigen der sogenannte­n Screenings das Risiko, dass Ärzte etwa Röntgenbil­der falsch interpreti­eren und unnötige Behandlung­en bis hin zu Operatione­n einleiten. Schmacke wies etwa darauf hin, dass von 1000 Frauen, die zwischen dem 50. und 69. Lebensjahr regelmäßig am Brustkrebs­screening teilnehmen, zwei bis sechs vor dem Tod durch Brustkrebs bewahrt würden. Neun bis zwölf würden hingegen wegen eines entdeckten Tumors operiert oder bestrahlt, obwohl das Karzinom ihr Leben ohne Screening nicht beeinträch­tigt hätte. Experten sprechen in dem Fall von Übertherap­ie, deren Ursachen oft in der Unkenntnis der Ärzte und nicht unbedingt in der finanziell­en Gier einzelner Mediziner liege.

Während Befürworte­r der Mammografi­e argumentie­ren, dass durch die Früherkenn­ung die Brustkrebs­sterblichk­eit deutlich gesenkt werde, halten Kritiker speziell diese Form der Früherkenn­ung für überschätz­t. Zu ähnlichen Einschätzu­ngen kommt Spd-gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach. Er sieht zudem die Psa-tests zur Erkennung von Prostatakr­ebs kritisch. „Wirklich sinnvoll ist hingegen eine regelmäßig­e Darmspiege­lung, im Normalfall ab dem 50. Lebensjahr“, sagt Lauterbach. Das Risiko eines Darmdurchb­ruchs sei extrem gering. Damit eine eigenständ­ige Entscheidu­ng künftig besser möglich sei, fordert Lauterbach – wie auch die AOK – nun die Umsetzung des geplanten Gesundheit­sportals der Bundesregi­erung im Internet. Leitartike­l

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