Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Konditorin aus der Keupstraße setzt sich durch
Hülya Özdag ist Chefin einer orientalischen Feinkonditorei in Köln-mülheim. Sie liebt ihr Geschäft, hat aber oft mit Vorurteilen zu kämpfen.
KÖLN Spiderman, Batman und Captain Marvel stehen im Schaufenster der orientalischen Feinkonditorei „Hasan Özdag“auf der Keupstraße – die Figuren sind eingerahmt von zweistöckigen Torten mit modellierten rosa Blüten und goldenen Essperlen. „Superhelden sind gerade der Renner bei Kindergeburtstagstorten“, sagt Hülya Özdag, die Geschäftsführerin der Konditorei. Die 38-Jährige hat das Geschäft 2008 von ihrem Vater übernommen und leitet es mit ihrer Schwester Zülya. Die beiden beschäftigen 23 Angestellte, bald kommen fünf bis zehn Konditoren dazu. Weil die Backstube aus allen Nähten platzt, haben sie eine Halle in Stammheim gemietet, die sie zur Produktionsstätte umbauen.
„Wenn Saison ist, verkaufen wir in der Woche bis zu zehn Hoch- zeitstorten, etwa 200 andere Torten kommen noch dazu“, sagt Hülya Özdag. „Geburtstag, Kommunion, Beschneidung, Taufe, um die Hand anhalten – Kunden kommen oft mit Tortenfotos aus dem Internet zu uns und wir sagen: Okay, ist machbar.“
Es war nicht immer einfach für Hülya Özdag, sich in der männerdominierten Straße im Kölner Stadtteil Mülheim zu behaupten. In der kleinen Geschäftsstraße leben überwiegend Türken. Am Anfang kam es vor, dass Kunden den Chef sprechen wollten. „Ich habe dann gesagt: Ich bin das“, sagt sie. „Das fanden viele komisch, vor allem, weil ich vier Brüder habe. Die Frauen in der Straße konnte man damals an einer Hand abzählen.“Der Vater habe sich auch anhören müssen: „Warum lässt du deine Töchter arbeiten?“Das sei nicht Aufgabe von Frauen. Sie seien nicht ernst genommen worden.
Der Vater stand immer hinter seinen Töchtern, sagt Hülya Özdag. Er hat sie früh zur Selbstständigkeit erzogen, alle sieben Kinder mussten in der Konditorei mit anpacken. „Seine Spezialität waren Halka Tatlisi, das sind Hefekringel, die in Zuckerwasser getränkt werden.“Oft halfen die Kinder schon vor Schulbeginn mit, dort hieß es dann: „Ihr stinkt nach Öl.“Weil sie nicht sagen wollten, dass sie gearbeitet haben, sagten die Geschwister: „Unsere Mama hat gestern Pommes gemacht.“Heute sagt Hülya Özdag: „Das ist eine Erfahrung, die mir keiner nehmen kann – auch wenn ich es damals manchmal hasste. Mein Vater wollte, dass wir Verantwortung übernehmen, er war aber immer fair, wir mussten nicht umsonst arbeiten und er hat uns früh großen Entscheidungsspielraum gelassen.“
Dervater, der 1971 nach Deutschland kam, habe seine drei Töchter und vier Söhne liberal und gleichberechtigt erzogen. „Er konnte aber auch nicht krampfhaft seine Tradition und seine Kultur durchsetzen – wir wollten ausgehen, Spaß haben, frei entscheiden dürfen“, sagt sie. Demvater sei dann lieber gewesen, dass seine Kinder nichts heimlich machen. „Meine Schwester ist mit einem Amerikaner verheiratet, ich habe zwei Kinder mit einem Kubaner, bin aber nicht verheiratet – diese Dinge waren eher für Außenstehende ein Problem, nicht für meine Eltern.“
Nach dem Nagelbombenattentat in der Keupstraße hatten die Geschäftsleute der Straße mit falschen Verdächtigungen zu kämpfen, die Kunden blieben fern. Die Er- mittler waren sich im Sommer 2004 schnell sicher, es mit einer Milieustraftat zu tun zu haben. Von einem Racheakt war die Rede, ein fremdenfeindlicher Hintergrund wurde ausgeschlossen. Bis der Anschlag dem „Nationalsozialistischen Untergrund“(NSU) zugeordnet werden konnte, mussten die Geschäftsleute und Anwohner der Keupstraße mit Vorurteilen leben. Sieben Jahre lang.
Hülya Özdag sagt: „Die Keupstraße läuft heute wieder gut, aber Menschen, die noch nie hier waren, haben Vorurteile.“Sie sucht gerade Konditoren. „Aber die hören Keupstraße und türkische Konditorei und bewerben sich erst gar nicht.“Kommt dann doch einer, sei der überrascht. „Ah, ihr sprecht ja deutsch und es ist ja voll locker hier. Ihr habt ja auch Buttercremetorten und Marzipan.“Hülya Özdag lacht und verdreht die Augen. „Ich denke dann immer: Mensch, Leute.“