Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
Fahrgäste erleben mit der 709 eine Stadttour
Pendler nehmen eine Stadt oft nur durch die Fenster der öffentlichen Verkehrsmittel wahr. Wie zeigt sich Neuss den Bahnfahrern?
NEUSS Auf dem Weg nach Neuss schauen die Menschen nach unten. Sie starren auf ihr Smartphone oder auf den Boden. Wandert der Blick dann doch einmal aus dem Fenster, schweift er gleich wieder zurück: Abgesehen von ein paar Autos, die an den Bahngleisen vorbeirasen, gibt es da draußen nicht viel zu sehen.
Aber das soll sich noch ändern. Es ist ein Winternachmittag und in der Rheinbahnlinie 709 ist es auffallend still. Gerade hat die Straßenbahn am Südpark gehalten. Das ist ihre letzte Station in Düsseldorf, ehe sie weiter in die Quirinusstadt fährt. Der Blick auf den Fahrplan klingt vielversprechend: „Landestheater, Stadttor und Neusser Markt“ist da zu lesen. Als würde man eine BlitzSightseeing-tour durch Neuss machen. Zunächst einmal geht es aber über die Josef-kardinal-frings-brücke über den Rhein, der Fernsehturm und das Düsseldorfer Ufer passieren das Fenster. Erste Station Rheinparkcenter. Für zwei schätzungsweise 20-jährige Mädchen endet die Fahrt hier, ein Paar steigt ein. Es bleibt ruhig. „Nächster Halt Langenmarkstraße“, sagt die Computerstimme. Immer noch bietet der Blick aus dem Fenster nicht viel Abwechslung: Straßengrau und fahrende Autos.
Doch dann nimmt die Bahn eine Kurve und es wird grün. Schön ist es hier. Hinter einer großen Wiese ragt das Obertor in die Höhe, das im 13. Jahrhundert erbaut wurde. Zur Linken liegt etwas versteckt die Stadthalle. Für eine Frau, die sich als Auguste Dylweski vorstellt, endet die Fahrt an dieser Stelle. Sie möchte ins Clemens Sels Museum. Aber nicht um sich die aktuelle Ausstellung anzusehen. „Die habe ich schon gesehen, kann ich nur empfehlen“, erzählt die 82-Jährige, „jetzt muss ich nur etwas abholen.“Die Rentnerin kommt aus Düsseldorf. „Früher war ich öfter in Neuss, ich finde, dass es eine schöne Stadt ist.“Schnell kommt sie ins Plaudern, erzählt von ihren Bahnerlebnissen und auch wie sich eben in der U-bahn zwei Männer so laut unterhalten haben, dass sie froh war, als sie endlich ausgestiegen sind. „Aber“, so fügt sie direkt hinzu, „ich bin froh, wenn sich die Leute noch unterhalten. Heute sitzen ja alles nur noch mit ihrem Smartphone da. Die jungen Leute müssen doch später alle Nackenprobleme bekommen.“Die 709 fährt weiter durch das Obertor, es geht vorbei an bunt getünchten Häusern, dem Stadtarchiv, der Kreishandwerkerschaft, dem Kulturkeller. Neuss wirkt beschaulich. Und malerisch. Nichts erinnert mehr an das Grau vom Fahrtbeginn. Die Straße ist eher schmal, die Bahn rattert hindurch. Ein Mann kaut hektisch auf einem Kaugummi, die bunten Häuser um ihn herum würdigt er nicht. Da ist auch schon der nächste Stopp – am Landestheater. An der Haltestelle werden die Fahrgäste von einem Stromkasten empfangen, der wie eine Popcornschachtel angemalt ist. Ein Schild weist daraufhin, dass es von der Bürgerstiftung Neuss gemacht wurde. Allerdings schon vor neun Jahren.
Schnellen Schrittes zieht es den Fahrgast Steve Kratzki aus der Bahn. Der 21-Jährige hat Feierabend – er arbeitet in Düsseldorf als Finanzberater. Wenn er nicht gerade S-bahn fährt, nimmt er die 709, um zur Arbeit zu kommen. „Es ist eine ruhige Linie“, erzählt er. Das stört ihn aber nicht: „Nach der Arbeit haben die meisten keine Lust,sich noch zu unterhalten. Viele wollen nur ihre Ruhe haben.“Nur am Wochenende werde es schon einmal trubeli- ger –„weil alle zum Rheinparkcenter wollen“, erzählt er. „Wenn man die 709 nimmt, hat man den Eindruck, dass Neuss noch sehr klein ist, man denkt, es gibt nur diese eine Straße“, sagt er.
Die Dämmerung setzt langsam ein und die Bahnfahrt geht weiter. Aus dem Fenster sieht man links und rechts die vielen Geschäfte, die die Straße säumen. Menschen has- ten mit Einkaufstüten umher. Ein Mann steigt mit zwei Kindern ein, in der Hand trägt er einen Staubsaugerkarton, die Kinder quängeln. Erst als jedes von ihnen in ein Schokocroissant beißt, wirken sie besänftigt. Der Blick fällt auf einen Marktplatz, den Quirinusbrunnen und in der Ferne ragt die Kuppel mit Quirinus empor. Man möchte viel länger gucken, doch da schlängelt sich die Bahn schon weiter. Eine ältere Frau in rosa Jacke ist eingestiegen. Sie amüsiert sich über die beiden Kinder, die schon wieder quängeln.
Am Glockhammer steigen zwei Mädchen ein, eine von beiden trägt einen Spiegel unter dem Arm. Sie lachen und schmieden Pläne, wie sie den Spiegel umgestalten. Die Bahn fährt ihre letzten Meter durch die In- nenstadt, dann wird es wieder leerer. Der Hauptbahnhof ist in Sichtweite. Nun offenbart sich dem Bahnfahrer auch die St.-marien-kirche. Eine weitere Sehenswürdigkeit, die in Neuss nicht fehlen darf. Die Mädchen steigen am Hauptbahnhof aus. Seitdem Frederike ein Praktikum in Neuss macht, nutzt sie die 709 regelmäßig. „Das ist meine kleine Schlafbahn“, sagt sie. Die Bahn rattert ohne die beiden Mädchen weiter, ihr nächster und letzter Halt ist nicht weit entfernt – am TheodorHeuss-platz wendet sie sich und fährt zurück in Richtung Düsseldorf.
Wer aber am Bahnhof aussteigt und von da aus in die U 75 steigt, kann noch einen anderen Teil von Neuss sehen – ein Stück vom Hafen und die Ölmühlen.