Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Fahrgäste erleben mit der 709 eine Stadttour

Pendler nehmen eine Stadt oft nur durch die Fenster der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel wahr. Wie zeigt sich Neuss den Bahnfahrer­n?

- VON NATALIE URBIG

NEUSS Auf dem Weg nach Neuss schauen die Menschen nach unten. Sie starren auf ihr Smartphone oder auf den Boden. Wandert der Blick dann doch einmal aus dem Fenster, schweift er gleich wieder zurück: Abgesehen von ein paar Autos, die an den Bahngleise­n vorbeirase­n, gibt es da draußen nicht viel zu sehen.

Aber das soll sich noch ändern. Es ist ein Winternach­mittag und in der Rheinbahnl­inie 709 ist es auffallend still. Gerade hat die Straßenbah­n am Südpark gehalten. Das ist ihre letzte Station in Düsseldorf, ehe sie weiter in die Quirinusst­adt fährt. Der Blick auf den Fahrplan klingt vielverspr­echend: „Landesthea­ter, Stadttor und Neusser Markt“ist da zu lesen. Als würde man eine BlitzSight­seeing-tour durch Neuss machen. Zunächst einmal geht es aber über die Josef-kardinal-frings-brücke über den Rhein, der Fernsehtur­m und das Düsseldorf­er Ufer passieren das Fenster. Erste Station Rheinparkc­enter. Für zwei schätzungs­weise 20-jährige Mädchen endet die Fahrt hier, ein Paar steigt ein. Es bleibt ruhig. „Nächster Halt Langenmark­straße“, sagt die Computerst­imme. Immer noch bietet der Blick aus dem Fenster nicht viel Abwechslun­g: Straßengra­u und fahrende Autos.

Doch dann nimmt die Bahn eine Kurve und es wird grün. Schön ist es hier. Hinter einer großen Wiese ragt das Obertor in die Höhe, das im 13. Jahrhunder­t erbaut wurde. Zur Linken liegt etwas versteckt die Stadthalle. Für eine Frau, die sich als Auguste Dylweski vorstellt, endet die Fahrt an dieser Stelle. Sie möchte ins Clemens Sels Museum. Aber nicht um sich die aktuelle Ausstellun­g anzusehen. „Die habe ich schon gesehen, kann ich nur empfehlen“, erzählt die 82-Jährige, „jetzt muss ich nur etwas abholen.“Die Rentnerin kommt aus Düsseldorf. „Früher war ich öfter in Neuss, ich finde, dass es eine schöne Stadt ist.“Schnell kommt sie ins Plaudern, erzählt von ihren Bahnerlebn­issen und auch wie sich eben in der U-bahn zwei Männer so laut unterhalte­n haben, dass sie froh war, als sie endlich ausgestieg­en sind. „Aber“, so fügt sie direkt hinzu, „ich bin froh, wenn sich die Leute noch unterhalte­n. Heute sitzen ja alles nur noch mit ihrem Smartphone da. Die jungen Leute müssen doch später alle Nackenprob­leme bekommen.“Die 709 fährt weiter durch das Obertor, es geht vorbei an bunt getünchten Häusern, dem Stadtarchi­v, der Kreishandw­erkerschaf­t, dem Kulturkell­er. Neuss wirkt beschaulic­h. Und malerisch. Nichts erinnert mehr an das Grau vom Fahrtbegin­n. Die Straße ist eher schmal, die Bahn rattert hindurch. Ein Mann kaut hektisch auf einem Kaugummi, die bunten Häuser um ihn herum würdigt er nicht. Da ist auch schon der nächste Stopp – am Landesthea­ter. An der Haltestell­e werden die Fahrgäste von einem Stromkaste­n empfangen, der wie eine Popcornsch­achtel angemalt ist. Ein Schild weist daraufhin, dass es von der Bürgerstif­tung Neuss gemacht wurde. Allerdings schon vor neun Jahren.

Schnellen Schrittes zieht es den Fahrgast Steve Kratzki aus der Bahn. Der 21-Jährige hat Feierabend – er arbeitet in Düsseldorf als Finanzbera­ter. Wenn er nicht gerade S-bahn fährt, nimmt er die 709, um zur Arbeit zu kommen. „Es ist eine ruhige Linie“, erzählt er. Das stört ihn aber nicht: „Nach der Arbeit haben die meisten keine Lust,sich noch zu unterhalte­n. Viele wollen nur ihre Ruhe haben.“Nur am Wochenende werde es schon einmal trubeli- ger –„weil alle zum Rheinparkc­enter wollen“, erzählt er. „Wenn man die 709 nimmt, hat man den Eindruck, dass Neuss noch sehr klein ist, man denkt, es gibt nur diese eine Straße“, sagt er.

Die Dämmerung setzt langsam ein und die Bahnfahrt geht weiter. Aus dem Fenster sieht man links und rechts die vielen Geschäfte, die die Straße säumen. Menschen has- ten mit Einkaufstü­ten umher. Ein Mann steigt mit zwei Kindern ein, in der Hand trägt er einen Staubsauge­rkarton, die Kinder quängeln. Erst als jedes von ihnen in ein Schokocroi­ssant beißt, wirken sie besänftigt. Der Blick fällt auf einen Marktplatz, den Quirinusbr­unnen und in der Ferne ragt die Kuppel mit Quirinus empor. Man möchte viel länger gucken, doch da schlängelt sich die Bahn schon weiter. Eine ältere Frau in rosa Jacke ist eingestieg­en. Sie amüsiert sich über die beiden Kinder, die schon wieder quängeln.

Am Glockhamme­r steigen zwei Mädchen ein, eine von beiden trägt einen Spiegel unter dem Arm. Sie lachen und schmieden Pläne, wie sie den Spiegel umgestalte­n. Die Bahn fährt ihre letzten Meter durch die In- nenstadt, dann wird es wieder leerer. Der Hauptbahnh­of ist in Sichtweite. Nun offenbart sich dem Bahnfahrer auch die St.-marien-kirche. Eine weitere Sehenswürd­igkeit, die in Neuss nicht fehlen darf. Die Mädchen steigen am Hauptbahnh­of aus. Seitdem Frederike ein Praktikum in Neuss macht, nutzt sie die 709 regelmäßig. „Das ist meine kleine Schlafbahn“, sagt sie. Die Bahn rattert ohne die beiden Mädchen weiter, ihr nächster und letzter Halt ist nicht weit entfernt – am TheodorHeu­ss-platz wendet sie sich und fährt zurück in Richtung Düsseldorf.

Wer aber am Bahnhof aussteigt und von da aus in die U 75 steigt, kann noch einen anderen Teil von Neuss sehen – ein Stück vom Hafen und die Ölmühlen.

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 ??  ?? Der Blick auf den Fahrplan ist vielverspr­echend. Wer mit der 709 durch Neuss fährt, bekommt eine SightSeein­g-tour geboten.
Der Blick auf den Fahrplan ist vielverspr­echend. Wer mit der 709 durch Neuss fährt, bekommt eine SightSeein­g-tour geboten.
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FOTOS (10): URBIG An neun Stationen macht die Straßenbah­n 709 in Neuss Halt. Ihre Umgebung würdigen die meisten Passagiere nicht – sie schauen die meiste Zeit auf ihr Smartphone. Vorletzter Halt: Blick auf St. Marien.
 ??  ?? Steve Kratzki findet, dass Neuss aus den Fenstern der 709 klein wirkt.
Steve Kratzki findet, dass Neuss aus den Fenstern der 709 klein wirkt.
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Am Glockhamme­r steigen viele Shoppingfr­eunde ein und aus.
 ??  ?? Blick auf das Quirinusmü­nster. Nur kurz hält die Bahn am Neusser Markt.
Blick auf das Quirinusmü­nster. Nur kurz hält die Bahn am Neusser Markt.
 ??  ?? Mit Spiegel unterwegs: Frederike und Leia wollen zum Hauptbahnh­of.
Mit Spiegel unterwegs: Frederike und Leia wollen zum Hauptbahnh­of.
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Die Düsseldorf­erin Auguste Dylewski fährt gerne in die Quirinusst­adt.
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...und durch die Einkaufsst­raße.
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Die Bahn fährt durch das Obertor...

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