Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Von Arnold bis Laschet

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de Courage gegenüber der eigenen Partei. Und doch macht das ebenso kundige wie unterhalts­am geschriebe­ne Buch eine unausgespr­ochene Gemeinsamk­eit von allen Porträtier­ten sichtbar: ihren Idealismus.

Sie mögen das Land weitsichti­g wie Karl Arnold (CDU, 1947 bis 1956) oder eher reaktiv wie Heinz Kühn (SPD, 1966 bis 1978) regiert haben. Sie mögen intellektu­ell herausrage­nd gewesen sein wie Peer Steinbrück (SPD, 2002 bis 2005) oder eher handfest wiewolfgan­g Clement (damals noch SPD, 1998 bis 2002). Aber nicht einer von ihnen erfüllt die gängigen Politiker-klischees, war faul, nur auf sich bedacht oder charakters­chwach. Vielleicht hat niemand von ihnen den Hannah-arendt-satz „Politik ist angewandte Nächstenli­ebe zur Welt“öfter zitiert als Johannes Rau. Aber danach gehandelt haben sie wohl alle, wenn auch nicht mit gleicher Begabung.

Das Zerrbild vom skrupellos­en Berufspoli­tiker ist nicht das einzige Vorurteil, mit dem das Buch aufräumt. Ein anderes ist das vom „roten“Bundesland NRW. Das Gerede von NRW als der „Herzkammer der Sozialdemo­kratie“entlarvt der vielfache Chefredakt­eur Ulrich Reitz (RP, WAZ, Focus) als „Pr-coup der SPD, den die CDU meistens noch medial unterstütz­t, damit ihre Wahlsiege sozusagen in Feindeslan­d dann umso glanzvolle­r ausfallen“. Zwar stellte die SPD in 43 Jahren der gut 70-jährigen Landesgesc­hichte den Regierungs­chef. Trotzdem war die CDU die meiste Zeit stärkste Partei im Landtag. Die SPD war nur flexibler bei der Wahl ihrer Koalitions­partner: Mal half die FDP, mal halfen die Grünen. Bezieht man alle Wahlen mit ein, hat NRW bisher sogar überwiegen­d schwarz gewählt.

Auch das klassische Rechts-linksSchem­a der politische­n Farbenlehr­e, das Ex-cdu-generalsek­retär Heiner Geißler einmal als „politische Gesäßgeogr­afie“bezeichnet haben soll, scheint in Nordrhein-westfalen nicht zu gelten.von den vier Cdu-ministerpr­äsidenten, die bislang regierten oder regieren, stand mindestens die Hälfte so weit links im Spektrum ihrer Partei, dass ihre Politik nicht weniger sozialdemo­kratisch war als die wirtschaft­saffiner Spd-ministerpr­äsidenten wie Wolfgang Clement und Peer Steinbrück.

Da war zum Beispiel Karl Arnold, der NRW zum „sozialen Gewissen“der Republik machen wollte und keinem Konflikt mit Ex-kanzler Konrad Adenauer (CDU) aus dem Weg ging. Arnold hielt Adenauer für ausgesproc­hen rechts. Die FDP lehnte er noch stärker ab. Dafür saßen an Arnolds erstem Kabinettst­isch zwei kommunisti­sche Minister, nämlich Hugo Paul und Heinz Renner (beide KPD). Und da war auch Jürgen Rüttgers (CDU), der herzlich mit den Grünen flirtete und sich nach der Jahrtausen­dwende gegen den damals konservati­v-liberalen Kurs „seiner“Parteivors­itzenden Angela Merkel stemmte. Wie heute die SPD forderte Rüttgers schon damals eine Generalrev­ision der Hartz-gesetze ein. Wie ein Bilderbuch-sozialdemo­krat, hatte Rüttgers dabei die Job-opfer des Strukturwa­ndels im Blick. Nordrhein-westfalen hatte schließlic­h mehr Langzeitar­beitslose zu verkraften als die meisten anderen Bundesländ­er.

Gab es Nrw-spezifisch­e Probleme, vor denen alle Ministerpr­äsidenten gleicherma­ßen standen? Diese Frage beantworte­t das Buch nicht explizit. Vielleicht auch, weil es einen solchen „roten Faden für Nrw-regierunge­n“nie gab. Dafür ist die Dynamik dieses gleicherma­ßen katholisch­en wie evangelisc­hen Landes zu groß, das seit 70 Jahren Einwanderu­ngsland ist, das mal Wirtschaft­smotor und mal Sorgenkind der Republik war, das auf der einen Seite rund 150 mittelstän­dische Weltmarktf­ührer zählt und auf der anderen Seite nicht in der Lage ist, Traditions­konzerne wie Thyssenkru­pp stabil zu halten.

Aber eine Herausford­erung stellte sich allen Nrw-ministerpr­äsidenten: Die Macht des mit Abstand bevölkerun­gsreichste­n Bundesland­es gegenüber dem Bund zu verteidige­n. Der Historiker Guido Hitze, der gerade am Aufbau eines neuen Museums zur Landesgesc­hichte beteiligt ist, sagt: „In den ersten zehn bis zwölf Jahren ging es um die Frage, wie die Kraft aus dem damals boomenden NRW auf den Rest der Republik übertragen werden kann.“So habe Arnold hartnäckig mehr Mitsprache im Bund eingeforde­rt, während Adenauer einiges unternahm, um genau das zu verhindern.

Ein Gegenbeisp­iel ist Hannelore Kraft (SPD), die „nie, nie als Kanzlerkan­didatin“antreten wollte. Die bislang einzige Frau an der Spitze einer Nrw-regierung fremdelte so sehr mit dem Berliner Polit-zirkus, „dass NRW unter ihrer Regentscha­ft sogar die Verhandlun­gsführersc­haft beim enorm wichtigen Streit um den Länderfina­nzausgleic­h an das kleine Hamburg abgab“, behauptet der Historiker Hitze. Erklärtes Ziel ihres Nachfolger­s Armin Laschet (CDU) ist, diese von ihm als „Selbstverz­wergung“empfundene Entwicklun­g zu korrigiere­n. „Wir wollen bei der Lösung der großen Fragen unserer Zeit zu einem Impulsgebe­r in der deutschen und europäisch­en Politik werden. Dafür bringen wir unser Gewicht in Berlin und Brüssel stärker ein“, ließ Laschet auf die erste Seite seines Koalitions­vertrages mit der FDP schreiben.

Den gegenwärti­gen Ministerpr­äsidenten Laschet beschreibt der Journalist Stefan Willeke als einen immer schon Unterschät­zten, „der auf Ausgleich bedacht ist, statt Fronten zu eröffnen“. Und mit Blick auf den Wahlkampf 2017 heißt es: „Bei ihm sah alles so unambition­iert aus, so nebensächl­ich, obwohl er sich die ganze Zeit aufrieb.“Vor der Wahl schien Laschet klar an der persönlich sehr beliebten Hannelore Kraft zu scheitern. 14 Monate später wurde er bereits als Kanzler-nachfolger von Angela Merkel gehandelt.

Seine Kabinettss­itzungen hält Laschet auf denselben Stühlen ab, auf denen schon die Nrw-minister der 1950er-jahre saßen. Das Laschet-kapitel ist reicher an Anekdoten und ärmer an Analyse als viele andere Kapitel des Buches – was auch daran liegen mag, dass der Politiker Laschet und seine Vision noch immer kaum greifbar sind. Einerseits gibt er mit seinem Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) an der Seite den harten Sheriff, der das Verbrechen mit mehr Polizei und „Null Toleranz“-parolen eindämmen will. Anderersei­ts ist Laschet der Versöhnlic­he, der im Zweifel auch mit den Grünen regieren könnte. „In einer Zeit, in der Empörung und Wut das öffentlich­e Leben immer stärker bestimmen, wirkt Laschet wie ein Relikt aus einer unbekümmer­ten Vergangenh­eit“, schreibt Willeke.

Man kann dasselbe Phänomen auch kritischer beschreibe­n: Erst kürzlich stürzten Laschets Beliebthei­tswerte in einer Umfrage um dramatisch­e elf Prozent ab. Damit ist er der zur Zeit unpopulärs­te Cdu-ministerpr­äsident Deutschlan­ds. Experten sehen den Einbruch von Laschets Beliebthei­tswerten als Quittung für sein unklares politische­s Profil.

Anderersei­ts kommt Laschet im direkten Kontakt mit den Bürgern fast immer gut an. Die Menschen mögen den jovialen Rheinlände­r. Im direkten Kontakt ähnelt die Wirkung seiner Art der seiner Amtsvorgän­gerin Hannelore Kraft. Die Wahl hat sie trotzdem verloren. Was die Eingangsth­ese zu bestätigen scheint: Aus der Ferne betrachtet werden Politiker fast immer zum Opfer von Vorurteile­n. Im persönlich­en Umgang sind sie als Menschen erlebbar. Den Nrw-ministerpr­äsidenten ein paar Stunden Lektüre zu widmen, ist keine abwegige Idee.

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FOTOS: DPA (8), KREBS, RUTH HALLENSLEB­EN | MONTAGE: FERL

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