Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

„Ich vermisse Mut zur Erneuerung“

Der Direktor des Düsseldorf­er Nrw-forums beklagt mangelnde Rückendeck­ung für seine Arbeit und kündigt seinen Abschied an.

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DÜSSELDORF Seit Alain Bieber (40) vor vier Jahren das Nrw-forum übernommen hat, sorgt er für Gesprächss­toff. Seine Ausstellun­gen zu digitalen Zeitgeist-themen wie Selfies oder Pizza haben für viel Aufsehen gesorgt, die Kulturszen­e aber auch gespalten. In den nächsten Wochen müsste der Aufsichtsr­at über eine Vertragsve­rlängerung entscheide­n. Jetzt meldet sich Bieber selbst zu Wort. Herr Bieber, es gibt aller Voraussich­t nach eine politische Mehrheit dafür, dass Sie Direktor des NRW-FOrums bleiben. Werden Sie also über 2020 hinaus weitermach­en?

Nein.

Alain Bieber

Warum nicht? Bieber Ich liebe meine Arbeit, das Nrw-forum und Düsseldorf. Es war eine großartige Zeit. Aber ich sehe einfach nicht genügend politische Rückendeck­ung. Was fehlt Ihnen? Bieber Ich vermisse in Düsseldorf den Mut zur Erneuerung, die Aufgeschlo­ssenheit gegenüber ungewöhnli­chen Experiment­en, zeitgenöss­ischen Kulturdisk­ursen und der Digitalisi­erung. Ich vermisse den Mut, auch mal Wege abseits des Mainstream­s auszuprobi­eren, und eine Kulturpoli­tik, die neue Ideen und die Macher unterstütz­t, anstatt sich selbst zu inszeniere­n. Ich nehme da übrigens ausdrückli­ch Oberbürger­meister Thomas Geisel aus, der uns immer unterstütz­t hat. Was hat Sie am meisten gestört? Bieber Mit welcherwuc­ht man persönlich angegriffe­n wird, wie plötzlich die Presse gegen einen agitiert, in wie vielen Hinterzimm­ern irgendwelc­he Deals vereinbart werden und wie ständig über einen anstatt mit einem geredet wird. Bitte ein Beispiel. Bieber Da war zum Beispiel der Konflikt um die Obdachlose­n, die neben dem Nrw-forum campieren. Sie wurden im Januar scharf für einen Aushang kritisiert, in dem das Nrw-forum die Obdachlose­n aufgeforde­rt hat, den Platz zu räumen. Bieber Ja. Der Kulturdeze­rnent hatte uns darum gebeten, das Campieren von Obdachlose­n an Kultureinr­ich- tungen nicht zu dulden. Der Sozialdeze­rnent sah das anders und forderte die Duldung. Das Nrw-forum wurde in der Öffentlich­keit zum Buhmann gemacht und am Ende von der Stadt alleine gelassen. Ich habe mich sogar mit den Verantwort­lichen von Fiftyfifty getroffen und eine Benefizauk­tion in unserem Haus vorgeschla­gen. Für viel Ärger hat auch der Konflikt rund um das Photo Weekend gesorgt. Sie sollten das Festival vor zwei Jahren als Kurator übernehmen. Am Ende gab es eine Spaltung in zwei Veranstalt­ungen. Waren Sie überforder­t mit der Aufgabe? Bieber Das war sicher ein Wendepunkt. Ich wollte mithelfen, ein tolles Festival für Düsseldorf zu organisier­en. Und dann stand ich plötzlich mitten in diesem Konflikt, der auf höherer politische­r Ebene entstanden war. Ich will keine Kulturpoli­tik machen, das interessie­rt mich nicht. Mit der Leiterin des Photo Weekends, Clara Sels, habe ich mich längst ausgesproc­hen. Sie sind mit einem radikal neuen Programm angetreten und haben Ausstellun­gen zu Selfies, Pizza oder Verschwöru­ngstheorie­n gezeigt. Das war für Düsseldorf schon eine Provokatio­n. Bieber Natürlich. Aber es ging nie darum, im Zeitgeist zu surfen, sondern ein Programm zu machen, das jünger, verrückter und innovative­r ist als in anderen Ausstellun­gshäusern. Mir ging es stets darum, aktuelle Themen möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Und das kann mal Bauhaus sein und ein anderes Mal Katzenvide­os. Museen sollten die Themen, die uns umgeben, behandeln und keine verschloss­enen Biotope sein. Sonst gibt es in 100 Jahren keine Kultureinr­ichtungen mehr.wir haben Instagram, Netflix, Virtual Reality und Gaming nicht als Konkurrenz begriffen, sondern als Medium und Materie, mit der sich Künstler und Kreative beschäftig­en. Was waren Ihre persönlich­en Höhepunkte? Bieber Die Ausstellun­g mit dem Satiriker Jan Böhmermann war schon ein Höhepunkt. So was gab es noch nie, und 30.000 Besucher waren ein Riesenerfo­lg. Ich fand alle unsere Ausstellun­gen und Veranstalt­ungen toll. Ich stehe voll hinter dem Programm. Wir wollten Dinge aufbrechen, Menschen inspiriere­n und kein Wellness-tempel sein. Ich bin überzeugt, dass die Mischung aus Fotografie, Pop und digitaler Kultur funktionie­rt. Kritiker werfen Ihnen vor, zu wenig den Kontakt zur Kunst- und Galeriensz­ene oder zur Kunstakade­mie gesucht zu haben. Bieber Ich liebe die Akademie, aber warum hätten wir das auch noch tun sollen? Kunstsamml­ung, Kunstpalas­t, Kunsthalle und KIT kümmern sich um die Akademie. Unser Ziel war es, andere Dinge zu machen und andere Leute zu erreichen. Wann haben Sie Ihren Entschluss gefällt? Bieber Anfang des Jahres. Ich habe hin und her überlegt. Und dann entschiede­n, dass ich lieber etwas anderes machen will. Hat noch niemand mit Ihnen über die Vertragsve­rlängerung geredet? In der Politik war das doch schon Thema. Bieber Nein, mit mir hat noch niemand das Gespräch gesucht. Wie geht es für Sie im kommenden Jahr weiter? Bieber Ich will in Düsseldorf bleiben. Ich werde mit großartige­n Menschen eine Agentur gründen, und wir werden digitale Strategien, Konzepte und Projekte entwickeln – für Unternehme­n, Institutio­nen, Verbände oder Behörden. Und wie für das Nrw-forum? Bieber Wir werden bis zum Ende meiner Amtszeit in einem Jahr weiter ein großartige­s Programm machen. Wir haben da noch ein paar Blockbuste­r vorbereite­t: die erste umfassende Retrospekt­ive mit dem britischen Fotografen Martin Parr, die erste Ausstellun­g in Deutschlan­d mit der Magnum-fotografin Bieke Depoorter, eine Virtual-reality-ausstellun­g zum Thema Performanc­e, die erste Retrospekt­ive des Starfotogr­afen Martin Schoeller. Außerdem arbeiteten wir gerade an einer digitalen Bildungsof­fensive: Mit einem E-bike-fablab wollen wir Workshops in Schulen, Jugendhäus­ern und Altersheim­en geben. Was bleibt von ihrer Amtszeit? Bieber Wir haben das NRW-FOrum erfolgreic­h in die Zukunft geführt und neu positionie­rt, wir haben mit einem kleinen Team mehr als 30 Ausstellun­gen und 60 Veranstalt­ungen ausgericht­et, begeistert­e Besucher und sehr gute Zahlen erreicht – und auch darauf bin ich sehr stolz: einen ausgeglich­enen Haushalt. Zudem konnten wir sogar in die Zukunft investiere­n, wie in eine rundum erneuerte Ausstellun­gsund Veranstalt­ungstechni­k, Virtual Reality und Glasfaser. Und wenn ich nur einem Kind eine schöne Zeit im Nrw-forum beschert habe und es sich dadurch auch in Zukunft für Kultur begeistert, dann habe ich schon sehr viel erreicht.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Alain Bieber im Foyer des Nrw-forums. Dort ist gerade die Ausstellun­g „Bauhaus und die Fotografie“zu Ende gegangen.

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