Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss
„Privat gelte ich als Diplomat“
Was passiert, wenn man mit dem Dschungelcamp-autor ein ernsthaftes Gespräch über Anstand führt?
KÖLN Micky Beisenherz ist für die Pointen zuständig. Gerne auch für die der anderen. Denn von Atze Schröder bis zum Dschungelcamp hat der 41-jährige Comedy-autor schon alle beliefert, tritt aber auch immer wieder selbst in Erscheinung – etwa in der WDR-REIhe „Das Lachen der anderen“. Außerdem schreibt er Kolumnen für den„stern“, die nun gesammelt unter dem Titel „... und zur Apokalypse gibt es Filterkaffee“(288 Seiten, Rowohlt, 16 Euro) erscheinen.
Kann der Mann auch ernst? Unser Reporter hat es gewagt und mit ihm über die Frage gesprochen:wie kann man im Jahr 2019 ein anständiger Mensch bleiben? Wann haben Sie das letzte Mal gedacht: „Was für ne miese Type“? MICKY BEISENHERZ Das war ich selbst. Sehr großzügig, sich als erstes zu nennen. Was haben Sie angestellt? BEISENHERZ In einer Kolumne habe ich Inhalte aus einer Whatsapp-gruppe wiedergegeben, die mehr Rückschlüsse auf eine Person zuließen, als ich das vorhatte. Ganz sicher wollte die Person nicht von mir in die Öffentlichkeit gezerrt werden. Ich möchte nicht zu sehr ins Detail gehen, sonst würde ich die Frau wieder exponieren. Sie hat mir dann geschrieben, dass es sie sehr verletzt hat, und ich habe gedacht: Alter, was bist du für ein Arsch! Da überwog der eigene Geltungsdrang die emotionale Intelligenz. Und? BEISENHERZ Ich habe mich entschuldigt, aus tiefstem Herzen. Neigen Sie eher als Privatperson oder in der Öffentlichkeit zu unmöglichem Verhalten? BEISENHERZ Ganz klar in der Öffentlichkeit. Im Privaten gelte ich – man mag es kaum glauben – als der Diplomat. Enge Freunde sagen mir: Du magst ja jeden. Das fasse ich als Beleidigung auf.wenn ich privat Menschen nicht mag, gehe ich ihnen aus dem Weg. In der Öffentlichkeit ist es gut, mal über ein paar Dinge zu sprechen, über die ich mich wundere. Das können die Leute auch vertragen, die das betrifft. Aber wenn ich mich gegen eine Sache stelle, die viele gut finden, weiß ich: Da werden sich einige Leute beschweren.wenn ich nur Zuspruch haben wollte, wäre ich Busfahrer geworden. In einer Kolumne schreiben Sie über die Schauspielerin Jana Pallaske: „Ihre unbedingte Beschlafbarkeit ist leider schon ein paar Baumumarmungen her.“Geht das in Zeiten von Metoo noch? BEISENHERZ Es ist natürlich ein lupenreiner Sexismus. Da sind wir uns einig. BEISENHERZ Andererseits darf man an dieser Stelle nicht komplett vergessen, dass uns der Sexismus auch in der nächsten Generation als Gesellschaft noch ein bisschen zusammenhält. Und da Jana Pallaske sich nicht in einem Angestelltenverhältnis zu mir befindet und nicht beruflich von mir abhängig ist, habe ich mir das einfach gegönnt. Haben Sie sich in der Metoo-debatte selbst überprüft? BEISENHERZ Die Debatte hat in mir insofern nur bedingt etwas ausgelöst, als ich mich permanent überprüfe in meinem Umgang mit Menschen. Die Leute, die jetzt behaupten, man dürfe gar nichts mehr sagen, sind die, die vorher mächtig rumgeholzt haben. Diese Leute hatten ein massives Problem im Umgang mit Menschen, Männer wie Frauen. Metoo ist ja keine Diskussion über Sex, sondern über Macht, über strukturellen Machtmissbrauch. Dahingehend bin ich eher unschuldig. Nicht mal ein bisschen gehemmt jetzt? BEISENHERZ Nein. Die Debatte ist gut und ein Beispiel dafür, dass ein klein wenig Hysterie auch zur Verbesserung der Gesamtsituation führt. Grundsätzlich ist es aber so, dass jede menschliche Begegnung eine Abwägung erfordert. Wir wünschen uns alle einen allgemeingültigenverhaltenskodex, den einen großen Leitsatz. Der soll uns dann von der Aufgabe entbinden, uns immer wieder neu auf das Individuum einzustellen. Wir kommen aber nicht umhin, genau das zu tun. Treffen Ihre Gags jeden und manchmal auch Frauen? BEISENHERZ Selbstverständlich.wobei Sie davon ausgehen können, dass Witze über Frauen bei Twitter ein härteres Echo finden als über Männer. Was ich aber nachvollziehen kann. Warum kann eine Gerburg Jahnke auf der Bühne pausenloswitze über Männer machen, und wieso kann ein Mann das nicht über Frauen? Da heißt es dann: Aber das muss doch möglich sein. Natürlich kannst du das machen, nach dem Prinzip der Gleichberechtigung. Man sollte aber wissen, dass eine Frau noch im Jahr 1960 nicht ansatzweise denselben Stand hatte wie der Mann. Und das, was sie sich jetzt gerade mal erkämpft hat, steht noch immer auf tönernen Füßen. Die gesellschaftliche Stellung der Frau in Frage zu stellen, wird gerade wieder salonfähig. Das Gegenteil von miesem Verhalten ist Anstand. Kann man Anstand lernen? BEISENHERZ Anstand kommt in weiten Teilen aus sich selbst heraus, lässt sich aber auch in höherem Alter noch lernen. Das hängt auch davon ab, ob man Korrektive zulässt. Meine Freundin ist ein sehr anständiger und emotional begabter Mensch. Die sagt mir dann und wann: Mach das mal so und mach das mal so. Oder auch: Bist du doof? Lösch das sofort. Ansonsten geht das eher in Richtung: Dem und dem geht es gerade nicht so gut, melde dich mal bei dem. Ich selbst habe da auch ein Auge drauf, aber um es mal mit Hartmut Engler zu sagen: Zwei Herzen sehen oft mehr als eines. Ich weiß allerdings nicht, ob Hartmut Engler das wirklich gesagt hat. Wie kriegt man Anstand sonst noch hin? BEISENHERZ Das Internet bringt es mit sich, dass man für sein eigenes Verhalten selten die Konsequenzen zu tragen hat. Du haust im Internet einen raus, kriegst zwanzig Daumen, aber siehst nicht mehr, was das beim Gegenüber auslöst. Deshalb ist es wichtig, gerade bei Kindern, die Vis-a-vis-situation wiederherzustellen. Was löst es aus im Gesicht des anderen, wenn du jemanden beleidigst? Das sollte Schulstoff sein. Es klingt wahnsinnig banal, aber vieles wird gerade wegdressiert. Ich bin ja selber Vater einer Tochter. Für ein Kind ist das erst mal unsinnig, wenn es sieht, dass ich einer Frau die Einkaufstasche zum Auto trage. Da muss man ihm erklären, dass alle ein bisschen aufeinander gucken müssen. Und wenn meine Tochter es macht, merkt sie auch, dass es ihr selber gut tut. Sonst würde man es schließlich nicht tun. BEISENHERZ Mutter Teresa hat in Kalkutta viel Gutes getan, in erster Linie, weil sie sich besser damit gefühlt hat. Aber mir sind egoistische Leute lieber, die sich gut fühlen, weil sie anderen helfen, als egoistische Leute, die sich gut fühlen, weil sie zur Dividendenerhöhung 3000 Leute rausgeschmissen haben.