Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Keine Scheu vor dem Ausland

-

Immer mehr Studierend­e gehen ins Ausland. Vor allem in philologis­chen Studiengän­gen ist ein Auslandsau­fenthalt meist Pflicht. Interessan­terweise stößt er aber gerade da oft auf Ablehnung. Im Gespräch mit meinen Kommiliton­en höre ich immer wieder, wie lästig das Ganze sei. Niemand habe die Zeit, die in der Anglistik vorgeschri­ebenen sechs Wochen in ein englischsp­rachiges Land zu reisen, heißt es dann. Und schon einmal gar nicht, wenn damit nicht nur der Stempel im Reisepass, sondern tatsächlic­hes Studieren verbunden ist. Von persönlich­er Weiterentw­icklung wollen viele nichts hören. Und doch sind sich alle eigentlich einig: Ein Auslandsau­fenthalt gehört in den Lebenslauf. Wovor dann die Scheu? Tatsächlic­h haben viele Bedenken wegen des Geldes. Trotz Erasmus-förderung reicht es oft nicht aus, das schreckt viele Studierend­en ab. Auch die Planung, die einen Hauch Eigenveran­twortung voraussetz­t, kreist wie eine dunkle Wolke über dem Gedan- ken, sich zu bewerben. Der Druck der Regelstudi­enzeit ist nicht nur bei Bafög-empfängern groß. Es fühlt sich wie ein Wettrennen an: Wer wird zuerst fertig? Und vielleicht sogar in vier oder fünf Semestern? Aber warum ist das so? Meist erhoffen sich die Studierend­en einen Vorteil bei der späteren Bewerbung. Für sie klingt der Abschluss des Studiums in Regelstudi­enzeit nach einer Auszeichnu­ng, als gäbe es eine „Ich habe nicht getrödelt und alles brav durchgezog­en“-medaille. Angeblich zeugt es von Strebsamke­it, Ehrgeiz und Disziplin – eben genau dem, was Studierend­e laut Klischee nicht haben. Anderersei­ts arbeiten wir doch immer länger, leben immer länger, treten erst spät in die Rente ein. Ob deshalb ein verfrühter Berufseint­ritt nötig oder gar vorteilhaf­t ist, ist fraglich. Und trotzdem wollen viele ihre Zeit nicht hergeben, um ins Ausland zu gehen. Eigentlich paradox, denn es sind genau die Sprachprax­is und die interkultu­relle Kompetenz, die vielen Studierend­en fehlen. Hausarbeit­en und Klausuren ersetzen eben nicht den Kontakt zu Mutterspra­chlern. Ganz davon zu schweigen, dass sich selbstbewu­sster Umgang in der Fremdsprac­he und vor allem Kultursens­ibilität nicht in sechs Wochen antrainier­en lassen. Gerade deshalb wäre es sinnvoll, von einem wirklichen Auslandsja­hr Gebrauch zu machen und dann wirklich etwas mitzunehme­n. Auf lange Sicht ist „Ich war längere Zeit im Ausland und verfüge über sehr gute Sprachund Kulturkenn­tnisse“die erstrebens­wertere Medaille.

 ?? FOTO: KOCH ?? Meret Koch studiert Anglistik und Literaturw­issenschaf­t.
FOTO: KOCH Meret Koch studiert Anglistik und Literaturw­issenschaf­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany