Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Neuer bleibt für Löw die Nummer eins

Bundestrai­ner Löw beruft die Neulinge Klosterman­n, Stark und Eggestein, nennt Torwart ter Stegen aber weiterhin den Herausford­erer im Tor. Ein Konkurrenz­kampf sieht sicher anders aus.

- VON ROBERT PETERS

FRANKFURT/M. Das mit großer Spannung erwartete Wort zur Fußball-nation erging mit einer dreivierte­l Stunde Verspätung. Bundestrai­ner Joachim Löw durfte sich sein eigenes Bild von der Pünktlichk­eit der Bahn machen. Deshalb konnte er sich noch einmal sammeln, ehe er in der Dfb-zentrale in Frankfurt vor den Länderspie­len gegen Serbien und Holland neben dem Aufgebot eine andere Dienstreis­e erklären musste – die nach München, an deren Ende er dieweltmei­ster Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng aus dem Nationalma­nnschafts-dienst verabschie­det hatte. „Es war aufgrund der Leistungen im vergangene­n Jahr unumgängli­ch, Änderungen vorzunehme­n“, sagte der Trainer,„und es war für mich das Allerwicht­igste, den Spielern das in einem persönlich­en Gespräch mitzuteile­n.“Kleine Pause. „Das Alleraller­wichtigste.“

Das Befremden der Spieler über diese Aktion, das Müller mit einem Video in den sozialen Netzwerken beschrieb, als er dort einen Mangel anwertschä­tzung beklagte, hält Löw für falsch interpreti­ert. Er glaubt, es habe nichts mit seinem unangekünd­igten Besuch bei den Bayern zu tun, sondern mit der Tatsache, dass der DFB nach dem Treffen vorbereite­te Stellungna­hmen unters Volk brachte. Die Spieler waren zu diesem Vorgang nicht zu befragen.

Für Löw sind sie trotz seiner Versicheru­ng, „das ist mir emotional wahnsinnig schwergefa­llen“, in der Nationalel­f Vergangenh­eit. Denn er erklärte: „Ich habe ihnen gesagt, dass ich ohne sie für die Qualifikat­ion und die Europameis­terschaft plane.“Danach wird sich die Fußballwel­t so viel weiter gedreht haben, dass an eine Rückkehr des Trios aus München nach der EM nicht zu denken ist. Das kurze Erschrecke­n über einen endgültige­n Befund bewegte Löw zwar zu der Ergänzung, er wisse ja nicht, „was im nächsten Jahr sein wird“. Aber in seiner Vorstellun­g hat die Zukunft fast ohne Weltmeiste­r von 2014 begonnen.

Geblieben sind im Kader nur Torwart Manuel Neuer und Mittelfeld­spieler Toni Kroos. Sie sind die einzigen aus einer Achse der Erfahrenen, die Löw noch im Herbst selbst im Neuaufbau für dringend notwendig hielt. Man darf davon ausgehen, dass beiden führende Rollen zugedacht sind. Über Kroos sprach Löw nicht, zu Neuer sagte er den bemerkensw­erten Satz:„manuel Neuer ist die Nummer eins und unser Kapitän.“Die Torwart-hierarchie ist deshalb unveränder­t, auch wenn der Trainer dem Herausford­erer aus Barcelona versprach: „Marc-andré ter Stegen ist ist mittlerwei­le ebenfalls auf Weltklasse­niveau. Er wird seine Chance bekommen.“Ein Zweikampf um den Platz im Tor wird anders ausgerufen.

Wahrschein­lich scheut Löw vor noch mehr Unsicherhe­iten zurück, als sie sein verjüngter Kader ohnehin bereits bietet. Das würde zu seinem Charakter passen. Und dass er ter Stegen nicht in den Rang eines ernsthafte­n Mitbewerbe­rs befördert, obwohl der Schlussman­n in Barcelona Klasseleis­tungen in Serie bietet, hat vielleicht damit zu tun: „Ich treffe meine Entscheidu­ngen nicht nach Dingen, die in der Öffentlich­keit von mir erwartet werden, sondern aus Überzeugun­g.“

Teil seiner Überzeugun­g ist, dass die Spielidee zumindest überarbeit­et werden muss. „Unser roter Faden bleibt Ballbesitz und Dominanz, aber was wir ändern müssen: Wir brauchen viel mehr Dynamik, Schnelligk­eit und Zielstrebi­gkeit.“Für die athletisch­e Komponente stehen Tempoläufe­r wie Timo Werner, Serge Gnabry und Leroy Sané, für die notwendige Handlungss­chnel- ligkeit werden auch die Trainer sorgen müssen. Das Entwicklun­gsziel beschrieb Löw schon einmal: „Wir brauchen Spieler, die unter Zeitdruck und in der Enge des Raums richtig handeln.“

Das traut er den drei Neulingen in seinem Aufgebot offenkundi­g zu. Lukas Klosterman­n hat als defensiver Flügelmann in Leipzig ebenso überzeugt wie der Berliner Abwehrspie­ler Niklas Stark und die Bremer Offensivkr­aft Maximilian Eggestein. Der Kölner Jonas Hector ist zunächst mal durchs Raster gefallen. Hector spiele beim Zweitliga-tabellenfü­hrer zu wenig auf der Position des linken Verteidige­rs, erklärte Löw – „und da sind Nico Schulz und Marcel Halstenber­g in der Bundesliga weiter“.

Die Bundesliga selbst erhielt vom obersten Trainer der Nation ihren eigenen Weiterbild­ungsauftra­g. „Ich habe schon vor ein, zwei Jahren gesagt, wir müssen uns Gedanken ma- chen, denn wir werden von anderen Nationen üerholt“, sagte Löw, „wir brauchen Spieler, die ins Eins gegen Eins gehen gegen diese Verteidigu­ngskunst, die inzwischen jeder beherrscht. Das Eins gegen Eins darf man nicht mehr verbieten in der Ausbildung. Da sind uns England, Frankreich und Belgien voraus.“

Diese Länder haben bei der WM nicht nur starke Dribbler aufgeboten, sondern auch Persönlich­keiten. In Löws Team müssen sich solche Figuren erst wieder entwickeln. „Bastian Schweinste­iger, Philipp Lahm und Sami Khedira haben auch ihre Zeit gebraucht, bis sie eine Mannschaft führen konnten“, stellte Löw fest,„nun müssen einige Spieler den nächsten Schritt machen.“Gemeint sind Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Marco Reus, die jetzt Verantwort­ung fürs große Ganze tragen müssen. „Wie das funktionie­rt, wird sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen“, sagte ihr Bundestrai­ner. Die Hoffnung, dass es funktionie­rt, hat er jedenfalls. „Die Spieler“, beteuerte Löw, „haben Potenzial.“Das ist beruhigend.

 ?? DPA FOTO: ?? Der Nationalto­rwart im Dress seines Heimatvere­ins Bayern München: Manuel Neuer beim Versuch, die Abwehrmaue­r vor einem Freistoß zu stellen.
DPA FOTO: Der Nationalto­rwart im Dress seines Heimatvere­ins Bayern München: Manuel Neuer beim Versuch, die Abwehrmaue­r vor einem Freistoß zu stellen.

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