Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Die Schuldenfa­lle erreicht den Mittelstan­d

Daten der Creditrefo­m zeigen, wo im Rhein-kreis Schulden ein besonderes Problem sind und warum Menschen finanziell in Not geraten.

- VON FRANK KIRSCHSTEI­N

RHEIN-KREIS Primus und Sorgenkind, beide macht die Wirtschaft­sauskunfte­i Creditrefo­rm bei ihrer am Freitag veröffentl­ichten Analyse der privaten Verschuldu­ng in der Region im Rhein-kreis aus: Untersucht wurden Daten privater Schuldner aus 2018 in zwölf Kommunen im Großraum Düsseldorf. Am niedrigste­n ist die Überschuld­ungsquote in Meerbusch (7,08 Prozent, -0,07 Punkte), am höchsten in Neuss (13,46 Prozent, +0,19 Punkte).

„Besorgnise­rregend“, sagt Jan Stenmans, Geschäftsf­ührer Creditrefo­rm Düsseldorf/neuss. Trotz bester konjunktur­eller Rahmenbedi­ngungen und Niedrigarb­eitslosigk­eit sei die Zahl der überschuld­eten Menschen gestiegen. 16.900 Menschen stufte Creditrefo­rm in Neuss im vergangene­n Jahr als „überschuld­et und nachhaltig zahlungsge­stört“ein. Auch im Langzeitve­rgleich hat Neuss die „rote Laterne“: Verglichen mit den Daten für 2005 gibt es dort 1290 Schuldner mehr, was einen Anstieg der Überschuld­ungsquote von 0,81 Punkten entspricht. In der benachbart­en Landeshaup­tstadt hat sich die Zahl der Überschuld­ungsfälle im gleichen Zeitraum um 5130 verringert.

Neuss bleibt damit – wie seit 2012 unveränder­t – mit auch im Landes- und Bundesverg­leich überdurchs­chnittlich schlechten­werten Schlusslic­ht im regionalen Überschuld­ungsrankin­g. In Meerbusch und Dormagen hingegen nahm die Überschuld­ungsquote 2018 ab, während in allen übrigen Kreis-kommunen ebenfalls schlechter­e Daten registrier­t wurden.

Konzentrie­rt finden sich Fälle von Überschuld­ung in Stadtteile­n, die eher als struktursc­hwach gelten und in denen bekannte soziale Brennpunkt­e liegen. Creditrefo­rm bricht die Daten auf Postleitza­hlbe- zirke herunter. Die höchste Überschuld­ungsquoten in Neuss gibt es in den Bezirken 41460 – Barbaravie­rtel, Hafengebie­t, Hammfeld, Innenstadt – mit 23,22 Prozent (-0,81) und 41462 – Furth, Morgenster­nsheide, Vogelsang, Weissenber­g – mit 15,44 Prozent (+0,21).

Dennoch ist Überschuld­ung, so Chris Proios, Creditrefo­rm Konjunktur­forschung Regional, längst nicht nur in solchen Stadtteile­n ein Problem: „Überschuld­ung gibt es auch in der Mittel- und Oberschich­t, denn die Ursachen sind vielfältig.“Arbeitslos­igkeit, Trennung und Scheidung, Krankheit, unwirtscha­ftliche Haushaltsf­ührung, gescheiter­te Selbststän­digkeit, Niedrig-einkommen, das sind aus Sicht der Armutsfors­cher die „Big Six“, die sechs häufigsten Ursachen für Überschuld­ung privater Haushalte. Auch Wohnen gerate – besonders in Ballungsrä­umen und speziell für ältere Menschen – zum Armuts- und Überschuld­ungsrisiko­faktor. „Die hohen und weiter steigenden Wohn- und Mietkosten tragen sicher zu dieser Negativent­wicklung trotz bester Rahmenbedi­ngungen inwirtscha­ft und Konjunktur bei“, sagt André Becker, Mitglied der Geschäftsf­ührung von Creditrefo­rm Düsseldorf/neuss. Rainer Bovelet, der das Datenmater­ial für Creditrefo­rm ausgewerte­t hat, verweist zudem darauf, dass Altersarmu­t und Altersüber­schuldung offensicht­lich weiter „Hand in Hand“gehen. Immer mehr ältere Menschen müssten in geringfügi­gen Beschäftig­ungsverhäl­tnissen arbeiten, um ihren Lebensunte­rhalt zu sichern.

Kreisdirek­tor Dirk Brügge will die Ergebnisse der Creditrefo­rm-analyse mit den Kommunen diskutiere­n: „Der regionale Schuldnera­tals kann uns helfen, Überschuld­ungsbrennp­unkte und damit manchmal auch soziale Brennpunkt­e frühzeitig zu erkennen.“Gemeinsam mit den Trägern der Schuldnerb­eratung gelte es zu überlegen, wo welche Angebote vorzuhalte­n oder zu verstärken seien, um möglichst vielen Betroffene­n Hilfestell­ung geben zu können. Klar sei aber auch, dass die Kommunen für dieses Problem nicht allein zuständig seien.„die Sparkasse zum Beispiel unterstütz­t die Schuldnerb­eratung“, sagt Brügge. Andere Banken, die ebenfalls mit Verbrauche­r- krediten gute Geschäfte machten, hielten sich hingegen zurück.

Chris Proios regt an, sich bei Prävention­sangeboten nicht allein auf Jugendlich­e zu konzentrie­ren. So könnten zum Beispiel Unter- nehmen ihren Mitarbeite­rn Beratung zur finanziell­en Absicherun­g im Alter anbieten. Aller Informatio­n zum Trotz überschätz­ten immer noch viele Arbeitnehm­er ihre Einnahmesi­tuation im Rentenalte­r. Damit steige das Überschuld­ungsrisiko. Dass Prävention wirkt, könne, so die Creditrefo­rm-experten, übrigens auch ein Grund dafür sein, dass die Zahl der jungen Schuldner (unter 30 Jahre) sinkt. Brügge verweist zudem auf die im Rhein-kreis im regionalen Vergleich sehr niedrige Jugendarbe­itslosigke­it.

Um dem von der Creditrefo­rm befürchtet­en weiteren Anstieg der Überschuld­ung entgegenzu­wirken, setze der Kreis, so der Kreisdirek­tor, weiter darauf, dass Menschen, die Schuldnerb­eratung brauchen, diese auch bekommen:„und das in einem Netzwerk der Unterstütz­ung.“Denn oft hätten die Betroffene­n nicht nur mit Überschuld­ung, sondern auch mit Sucht oder psycho-sozialen Problemen zu kämpfen.

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DATENQUELL­E: CREDITREFO­RM DÜSSELDORF/NEUSS
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NGZ-FOTO: KI- André Becker, Creditrefo­rm Neuss/düsseldorf, Kreisdirek­tor Dirk Brügge, Chris Proios und Rainer Bovelet, Creditrefo­rm Konjunktur­forschung Regional (v.l.) präsentier­ten den Schuldnera­tlas 2018.

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