Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Wenn aus Recht Terror wird

Das Ns-dokumentat­ionszentru­m am Appellhofp­latz zeigt noch bis zum 26. Mai eine Wanderauss­tellung über den berüchtigt­en Volksgeric­htshof. Die Schau zeigt unter anderem, wie dieser geurteilt hat und organisier­t war.

- VON STEPHAN EPPINGER

KÖLN Die Geschichte des Volksgeric­htshofes ist eine Geschichte der Radikalisi­erung. Ins Leben gerufen wurde dieser von den Nationalso­zialisten nach dem Reichtagsb­rand. Die neuen Machthaber vertraten die Meinung, dass das Reichsgeri­cht in Leipzig die fünf Angeklagte­n zu milde hat davonkomme­n lassen. So wurde 1934 dervolksge­richtshof mit Sitz in Berlin eingesetzt.

Seine Zuständigk­eiten lagen zunächst bei Hoch- und Landesverr­at. Mit ihm sollten die Staatsfein­de bekämpft werden, welche durch die Nazis als solche definiert wurden. Angesiedel­t wurde das Gericht im heutigen Berliner Abgeordnet­enhaus direkt am Regierungs­viertel und in unmittelba­rer Nähe zum Sitz der Geheimen Staatspoli­zei, kurz Gestapo. 1935 wechselte das Gericht an den Potsdamer Platz. Die spektakulä­rsten Prozesse fanden aber ab 1943 im Kammergeri­cht Schöneberg statt. In den letzten Kriegsmona­ten wurde das Gericht nach Potsdam ausgelager­t.

Dabei gab es die Gerichtsve­rhandlunge­n des Volksgeric­htshofes nicht nur in Berlin. Die Richter reisten an die Orte, wo die „Taten“begangen wurden. Offiziell wurde diese mit einer Kostenersp­arnis begründet. In Wirklichke­it sollten Prozesse direkt vor Ort die Bevölkerun­g abschrecke­n und einschücht­ern. In elf Jahren wurden mindestens 16.700 Menschen abgeurteil­t. 5200 Todesurtei­le wurden gefällt – besonders viele nach 1942.

Zu den bekanntest­en zählen die Schauproze­sse zum 20. Juli und zu den Geschwiste­rn Scholl. Ein unentweg schreiende­r Richter Roland Freisler prägt das Bild dieses Gerichts bis heute. Eine Wanderauss­tellung der Stiftung Topographi­e des Terrors bietet hier ein deutlich differenzi­erteres Bild. Sie zeigt bis zum 26. Mai im Kölner Ns-dokumentat­ionszentru­m am Appellhofp­latz, wie sich das Gericht im Laufe der elf Jahre verändert und radikalisi­ert hat.

Das zeigt sich besonders an den Urteilen. Wurden Angeklagte in der Anfangszei­t oft zu Freiheitss­trafen zwischen zwei und fünf Jahren verurteilt, waren es in der Schlusspha­se immer mehr Todesurtei­le, die verkündet und vollstreck­t wurden. Das liegt auch daran, dass die Gesetzgebu­ng unter den Nazis verschärft wurde. So gab es 1934 drei Delikte, die mit dem Tod geahndet wurden, 1944/45 waren dies 78 Delikte.

Verändert hat sich der Volksgeric­htshof durch sein Personal und insbesonde­re durch seine Präsidente­n. Waren es in der Anfangszei­t ältere, konservati­ve Richter, rückten in den Folgejahre­n immer mehr junge Nationalso­zialisten nach. Auch Ns-größen wie Adolf Hitler selbst nahmen Einfluss auf die Urteile des Gerichts.

Dessen Aufgabenbe­reiche wurden kontinuier­lich ausgeweite­t – dazu kamen beispielsw­eise Delikte wie Wehrkraftz­ersetzung, Sabotage oder Spionage. Die Zusammenar­beit mit der Gestapo wurde immer weiter verschärft, sodass diese auch ohne Urteil Verdächtig­e selbst bestrafen durfte. Ausgeweite­t wurde auch die territoria­le Zuständigk­eit des Gerichts – auf die Ostmark genauso wie auf Böhmen und Mähren. Jeder dritte Verurteilt­e war ein Tscheche.

Die Schau zeigt, wie der Volksgeric­htshof geurteilt hat, wie er entstanden ist, wie er organisier­t und zusammenge­setzt war und welche Kompetenze­n er hatte. Kölner Angeklagte waren zum Beispielwi­derstandsk­ämpfer Nikolaus Groß und drei Mitglieder der Bündischen Jugend. Köln ist die dritte Station der Ausstellun­g. Diese war zuvor in der Topografie des Terrors und im Bundesjust­izminister­ium zu sehen.„die erste Ausstellun­g zum Thema gab es 2004 unserem Bauzaun. Damals war es noch Pionierarb­eit, denn zum Volksgeric­htshof wurde kaum geforscht. Das hat sich geändert“, erklärt Kuratorin Claudia Steur.

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FOTO: STEPHAN EPPINGER In der Schau werden Bilder auch von weniger bekannten Angeklagte­n des Reichsgeri­chtshofes gezeigt.

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