Neuss-Grevenbroicher Zeitung Neuss

Verführeri­sches Eigentum

Die gesellscha­ftliche Vereinbaru­ng, sich nicht gegenseiti­g zu bestehlen, ist überaus nützlich. Eine moralisch gute Sache ist sie auch. Allerdings gibt es einen Haken.

- VON THOMAS APOLTE

Du sollst nicht stehlen! Warum nicht? Wo das Gestohlene doch nicht weg ist, sondern es nur ein anderer hat. Dem stiftet es vielleicht sogar einen größeren Nutzen. Angenommen, das Gebot sei theologisc­h wie weltlich unbekannt. Dann dürfte zum Beispiel jeder mein Fahrrad stehlen. Gewiss: Ich könnte mir einfach das nächste Fahrrad stehlen. Aber jeder würde sich ein möglichst gutes Fahrrad stehlen, und davon gibt es immer nur relativ wenige. Würde mir davon eins gestohlen, dann müsste ich für ein neues entweder lange suchen oder es mir selbst herrichten oder jemandem Geld dafür geben. So oder so würde mich das Zeit kosten.

Also müsste ich ein gutes Fahrrad vor Dieben schützen. Dazu könnte ich ein Schloss stehlen. Aber dann würde ein anderer einen Bolzenschn­eider stehlen. Schließlic­h würden Schlösser und Bolzenschn­eider knapp. Diese zu beschaffen, könnte uns am Ende genau jene Zeit kosten, die wir bräuchten, uns Fahrräder zu besorgen. Spätestens jetzt könnten wir einen Vertrag miteinande­r schließen, in dem steht: Du sollst keine Fahrräder stehlen. Hielten sich alle daran, dann bliebe uns wieder Zeit, uns ein gutes Fahrrad herzuricht­en – oder Geld dafür zu verdienen. Bei gleichem Zeitaufwan­d hätten alle gewonnen.

Leider gewönne jeder Einzelne noch mehr, wenn sich alle an das Gebot hielten, nur nicht er selbst. Hier kommt die Moral ins Spiel, denn dieservers­uchung nachzugebe­n, muss fortan als unmoralisc­h gelten und bestraft werden. So formuliert­e es der Philosoph Thomas Hobbes im 16. Jahrhunder­t, aber lange nachdem Moses die Gebote am Berg Sinai empfangen hatte. Der Sender des siebten Gebotes war den Philosophe­n aus Fleisch und Blut also weit voraus, was (k)ein Wunder ist.

Leider hat die Sache einen Haken, und auch den kannten Philosophe­n und Theologen immer schon, weshalb sie stets ein ambivalent­es Verhältnis zum Eigentum hatten. Denn zum Zeitpunkt des Vertragssc­hlusses wird nicht jeder gleich gut mit Fahrrädern ausgestatt­et sein. Allgemein gilt: Die Verteilung des Eigentums war immer sehr ungleich und wurde meist zu Recht als ungerecht empfunden. Deshalb fanden die Marxisten den Schutz des Eigentums eine Schnapside­e. Mitunter haben sie das Eigentum daher ganz abgeschaff­t, was aber auch eine Schnapside­e war.

Der Liberale John Stuart Mill hat im 19. Jahrhunder­t eine 100-prozentige Erbschafts­teuer gefordert, damit jeder sein Eigentum selbst erwirtscha­ften muss. Das war keine Schnapside­e, aber der Weisheit letzter Schluss war es auch nicht. Und nun? Abgesehen von ein paar Superreich­en retten nur wenige ihre Erbschafte­n über viele Generation­en. Wichtiger ist daher das, was man den gerechten Zugang zu Humanvermö­gen nennt, also (Aus-)bildung. Nichts produziert höhere Einkommens­zuwächse, nichts kann besser für gerechte Eigentumsv­erhältniss­e sorgen. Damit kombiniert, kann das siebte Gebot seine nützliche Wirkung deshalb ohne schlimme Nebenwirku­ngen entfalten. Humanvermö­gen hat einen weiteren Vorteil: Man kann es nicht stehlen. „Fridays for Future“ist keine Sekte, sondern eine politische Bewegung mit einer von vielen (von mir nicht) als charismati­sch empfundene­n Symbolfigu­r. Nicht mehr, nicht weniger. Kein Wahn, sondern von Wissenscha­ftlern unterstütz­te Warnung. Meisner attackiert­e damals mit ausdrückli­chem Blick auf den Umweltschu­tz die falschen „Propheten, die uns weismachen wollen, alles Machbare sei auch erlaubt“. Wer gegen deren Überheblic­hkeit das Wort erhebt, dem sollte man schon zuhören. Wie auch immer man ihn dann nennt. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de

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FOTO: UNI MÜNSTER Thomas Apolte (58) ist Wirtschaft­swissensch­aftler und Inhaber des Lehrstuhls für Ökonomisch­e Politikana­lyse in Münster.

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